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Defizite bei der Prüfung von Pestiziden

Forscher empfehlen eine Ergänzung der Zulassungsverfahren für Pestizide. Es gebe beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weit mehr Abbauprodukte, die im Boden verblieben, als gedacht, so ein US-amerikanischer Biochemiker. Eine Forschergruppe aus Tübingen beklagt zudem einen Mangel an Studien mit Modell-Ökosystemen.

Von Volker Mrasek |
    Pestizide sollen zweierlei: Schädlinge ausmerzen. Aber auch Nützlinge und andere wild lebende Arten verschonen. Dass Pflanzenschutzmittel diesen Spagat hinbekommen, sollen aufwendige Zulassungsverfahren garantieren, mit Labortests an Modellorganismen. Dazu Heinz Köhler, Professor für Physiologische Ökologie der Tiere an der Universität Tübingen und Experte für die Wirkung von Pestiziden in der belebten Umwelt:

    "Es gibt bestimmte Labororganismen, die stellvertretend für ganze Artengemeinschaften eingesetzt werden. Zum Beispiel eine Wasserfloh-Art für eine ganze Reihe von Süßwasserorganismen. Im terrestrischen Bereich sind das Regenwürmer. Auch Fische werden getestet. Und auf der Basis dieser Verfahren wird beurteilt, ob ein Gefährdungspotenzial ausgeht von diesem Pestizid, was zugelassen werden soll."

    Doch nicht immer sind positive Labortests und die anschließende Zulassung eine Gewähr dafür, dass Umweltschäden durch ein Pestizid später tatsächlich ausbleiben.

    "Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Berichte über Populationsrückgänge oder Artensterben in Gebieten, die sehr intensiv bewirtschaftet werden, in denen eben auch Pestizide eingesetzt werden. Es kann also manchmal zu Effekten im Freiland trotz erfolgter Risikoabschätzung kommen."

    In einem Aufsatz für die Wissenschaftszeitschrift Science beklagen Heinz Köhler und seine Fachkollegin Rita Triebskorn jetzt Forschungslücken auf diesem Gebiet. Es gebe bisher zu wenige Studien mit Pflanzenschutzmitteln im Freiland oder in nachgebauten Modell-Ökosystemen. Solche Experimente seien aber nötig, wenn man belegen wolle, dass wirklich ein Zusammenhang besteht zwischen dem Einsatz von zugelassenen Pestiziden und Bestandsrückgängen bei wild lebenden Arten - so die Tübinger Forscher:

    "Wir brauchen vergleichende Studien von verschiedensten Wissenschaftlern - Chemiker, Ökologen, Fischereibiologen -, die alle an dem gleichen System jeweils arbeiten und versuchen, diese Interaktionen, die es von dem Pestizid geben kann mit der belebten Umwelt, um das nachweisen zu können."

    In der Vergangenheit haben sich Pestizide als Ursache dafür herausgestellt, dass Vogeleier zu dünne Schalen hatten und Alligatoren Fruchtbarkeitsstörungen. Solche kausalen Nachweise seien aber die Ausnahme, sagt Köhler. Dabei kann sich der Zoologe vorstellen, dass Pflanzenschutzmittel auch heute noch Ökosysteme beeinträchtigen.

    Das jüngste Beispiel sind hier die noch relativ jungen Neonikotinoide. Das sind Insekten-Bekämpfungsmittel, die von Landwirten weltweit eingesetzt werden. Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass Bienenbestände in unserer Kulturlandschaft stark zurückgehen.

    "Es wurde nachgewiesen, dass diese Bienen Orientierungsschwierigkeiten haben, also das heißt zurückzufinden in den Stock. Was aber nicht zweifelsfrei bisher nachgewiesen wurde: dass es dadurch zum Kollaps von Bienenvölkern kommt. Auf der anderen Seite haben wir allerdings den Kollaps von Bienenvölkern."

    Immerhin: Die EU-Kommission hat jüngst beschlossen, die Vermarktung von drei Neonikotinoiden auszusetzen. Allerdings nur vorübergehend - denn definitiv belegt ist der Zusammenhang mit dem Bienensterben noch nicht.

    Ein weiteres Problem in Agrar-Ökosystemen sind stabile Abbauprodukte von Pestiziden. Auch sie müssen im Zulassungsverfahren eigentlich erfasst und bewertet werden. Doch offenbar gibt es mehr von ihnen als gedacht. Das vermutet Lawrence Wackett, Professor für Biochemie an der Universität von Minnesota in den USA:

    "Eine meiner Kolleginnen in der Schweiz hat ein neues Computerprogramm entwickelt. Es sagt vorher, wie Pestizide und andere Chemikalien unter verschiedensten Umweltbedingungen zersetzt werden. Demnach könnte es viel mehr Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln geben, als man bisher entdeckt hat."

    Auch hier empfiehlt sich laut Wackett eine Ergänzung der bisherigen Zulassungsverfahren. Solche Vorhersagemodelle sollten grundsätzlich bei neuen Pestiziden eingesetzt werden, sagt der US-Forscher. Um später, bei ihrer Anwendung auf dem Acker, keine bösen Überraschungen zu erleben - mit Abbauprodukten, die niemand vorhergesehen hat.