Freitag, 19. April 2024

Archiv


Dein Arzt, dein Suizidhelfer

In der Diskussion um die gewerbliche Sterbehilfe kritisiert der Medizinrechtler Wolfgang Putz die "absolut apodiktische Haltung" der Bundesärztekammer. Diese verhindere, "dass niemals auch nur in irgendeinem Einzelfall ein Arzt helfen kann". Daher würden sich Menschen, die ihr Leben beenden möchten, nicht ihren Ärzten anvertrauen, sondern sich in die Hände von gewerblichen Organisationen begeben.

Moderation: Christian Schütte | 04.07.2008
    Christian Schütte: Wer einem Menschen dabei hilft, Selbstmord zu begehen, indem er etwa einen tödlichen Medikamentenmix ans Bett stellt, macht sich in Deutschland nicht strafbar, kann allerdings wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt werden. Der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch hatte am Wochenende eine solche Beihilfe zum Suizid geleistet. Das hat die Diskussion um Sterbehilfe in Deutschland befeuert. Heute befasst sich der Bundesrat mit einem Antrag einiger CDU-geführter Bundesländer zum Thema Sterbehilfe.

    Mitgehört hat am Telefon Wolfgang Putz, Medizinrechtler aus München. Guten Tag Herr Putz!

    Wolfgang Putz: Guten Tag!

    Schütte: "Wir wollen keine gewerbliche Sterbehelfer in Deutschland." Das sagen viele Politiker und auch Bürger. Warum tun sich Juristen so schwer, diesen vermeintlich einfachen Satz in ein Gesetz zu übertragen?

    Putz: Naja, das in das Gesetz übertragen allein wäre nicht die Problematik, sondern die Frage ist, ob allein diese Sache zu verbieten das gesellschaftliche Problem löst. Wir haben 12.000 bis 13.000 Suizidenten im Jahr und das werden nicht weniger werden, wenn wir diese Organisationen verbieten. Es ist einfach unbefriedigend, dass man die zweifellos dubiosen Organisationen nicht haben möchte, andererseits aber niemanden hat, der für diese große Zahl von Suizidwilligen oder von Suizidgefährdeten oder von depressiven Kranken keine richtige Organisation, keine richtige Hilfe hat.

    Wenn die Patienten sich an ihre Hausärzte wenden würden, bekommen sie dort mit Sicherheit keine Hilfe zum Suizid. Deswegen wenden sie sich nicht dorthin, und deswegen können die Hausärzte auch nicht helfen. Das ist das große Problem.

    Schütte: Bleiben wir noch einmal bei der Problematik, die der Richterbund angesprochen hat. Die Gründung eines solchen Vereins zur gewerblichen Sterbehilfe kann nicht mit einer Strafe belegt werden. Warum nicht?

    Putz: Ich meine, man kann es schon so regeln. Ich bin jetzt allerdings kein Verfassungsrechtler und vielleicht hat der Richterbund Recht, ob es rein technisch nicht möglich ist, ob es rein gesetzlich nicht möglich ist. Das Kuriose ist doch, dass im Einzelfall die Beihilfe zum Suizid eben nicht strafbar ist und auch weiterhin, auch von den Befürwortern dieses heutigen Gesetzentwurfs, weiterhin nicht unter Strafe gestellt werden soll.

    Alle, die für den heutigen Gesetzentwurf sind, sind sich umgekehrt auch einig, dass es in Einzelfällen eine korrekte und moralisch angesehene Begleitung, Hilfe bei einem Suizid geben darf und muss. Man möchte eben nur das Gewerbsmäßige und das Geschäftsmäßige nicht haben, und das ist juristisch schwer, irgendwie in den Griff zu kriegen, dass etwas, was im Einzelfall korrekt sein kann, automatisch deswegen nicht korrekt sein soll, weil es geschäftsmäßig, also mit Wiederholungsidee betrieben wird. Da unterstellt man jedem, der helfen will, wenn er mehr als einmal hilft, wird er zum schlechten Menschen. Das ist tatsächlich sehr unlogisch.

    Schütte: Wären Sie, Herr Putz, denn dafür, dass man beispielsweise die Sterbehilfe zwar organisiert, aber dann eben nicht gewerblich, damit es nicht auf den unmittelbaren Angehörigen, auf die Angehörigen zurückfällt?

    Putz: Gewerblich heißt gegen Geld. Geschäftsmäßig heißt zur Wiederholung gedacht. Und es soll ja schon das Geschäftsmäßige verboten werden. Ich wäre, um es ganz klar zu sagen, was ich immer sage, ich wäre dafür - das kann aber der Bundesgesetzgeber allein nicht machen -, dass die Ärzte sich öffnen dürfen, nicht müssen, sondern dürfen.

    Das heißt, dass ein Arzt, der das machen will, der einen Patienten hat, dem er helfen will, wo er im Einzelfall überzeugt ist, hier darf man mal helfen, hier ist es moralisch in Ordnung, dass der nicht mit dem Berufsverbot von der Bundesärztekammer bedroht wird. Strafrechtlich darf er ja helfen, aber er wird als Bürger wie jeder andere, der straffrei handelt, wird er plötzlich mit Berufsverbot bedroht. Und das denke ich, das verhindert, dass die Menschen sich an den einzig sinnvollen Ansprechpartner in Deutschland wenden, nämlich an ihren Hausarzt.

    Schütte: Aber der Arzt ist ja an den Hippokratischen Eid gebunden, der traditionell geschworen wird, wenn auch nicht offiziell?

    Putz: Der Hippokratische Eid beinhaltet auch das Abtreibungsverbot und er hat auch das Gallensteinschneiden verhindert und verbietet es. Er ist einfach 2400 Jahre alt und wird von der Bundesärztekammer an anderen Stellen überhaupt nicht ernst genommen. Und ich denke, dass Hippokrates, wenn er so Einzelfälle wie zum Beispiel Hannelore Kohl gekannt hätte, ein so großartiger Arzt war, dass er ihr nicht die Hilfe verweigert hätte.

    Sondern natürlich ist der Hintergrund dieses Hippokratischen Eides: Man darf niemanden beim Suizid beraten oder helfen, ist, dass man nicht Kranken hilft, die depressiv sind, denen man helfen könnte, denen man mit Palliativmedizin eine Option bieten könnte. Aber Menschen, die - und es gibt genügend Fälle in Deutschland wie zum Beispiel Hannelore Kohl -, wo man sagt, wenn Helmut Kohl ihr das Gift beschafft hat und der Hausarzt das Rezept geschrieben hat, warum sollen diese Menschen bestraft werden. Völlig unsinnig!

    Schütte: Das heißt, Herr Putz - ich fasse das noch mal zusammen -, das Problem an dieser Stelle sagen Sie, das ist nicht das Strafrecht, das geltende, sondern das Problem ist die Bundesärztekammer?

    Putz: Ich halte die Bundesärztekammer für das Problem in ihrer absoluten apodiktischen Haltung, dass niemals auch nur in irgendeinem Einzelfall ein Arzt helfen kann. Das macht es so schwierig. Der Arzt darf erstens nicht helfen. Damit kann er den Leuten auch nicht sagen, kommt zu mir, ich schau mal, ob ich euch vielleicht helfen kann. Damit kommt natürlich niemand zum Arzt.

    Zweitens geht niemand zum Arzt, weil er ganz konkret befürchten muss, dass der Arzt seine Einweisung in die Psychiatrie veranlasst und tatsächlich auch veranlassen muss, wenn ein Suizid aus depressiven Gründen konkret bevorsteht. Und das zusammen macht es so unendlich schwierig für depressive oder suizidwillige Menschen, sich ihrem Arzt anzuvertrauen. Und dann ist es natürlich eine große Versuchung, sich solchen Organisationen anzuvertrauen.

    Übrigens, legal ist die Beihilfe im Einzelfall oder auch eine organisierte immer nur, wenn sicher ist, dass der Patient nicht depressiv ist. Angeblich hat das Herr Kusch ja auch so abgeklärt. Wenn zum Beispiel ein Gesetz die organisierte Beihilfe regeln würde, dass die Voraussetzung für eine organisierte Beihilfe ein in jedem Einzelfall eingeholtes psychiatrisches Gutachten ist, dann wäre das vielleicht ein sinnvoller Ansatz. Dann würde wenigstens den Kranken nicht geholfen, sondern vielleicht den ein, zwei Prozent freiwilligen und frei verantwortlichen Menschen.

    Schütte: Für einen Angehörigen bleibt also, wenn er einen Todkranken gewissermaßen begleitet, noch ein gewisses Risiko. Wie lässt sich das konkret juristisch ausräumen?

    Putz: Also, im Einzelfall lässt sich das Risiko sicher abwenden. Dazu haben wir auch in Veröffentlichungen genügend ausgesagt. Die neue Rechtsprechung lässt es eindeutig zu, dass man bis zur Einnahme des todbringenden Mittels hilft, es auch beschafft, solange es kein Betäubungsmittel ist, und dann auch nach der Einnahme des todbringenden Mittels dabei bleibt bis zum Tod. Der Angst, sich einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig zu machen, muss dadurch begegnet werden, dass man vorher sicher abklärt, dass dieser Patient frei verantwortlich, nicht seelisch krank, nicht neurologisch krank ist.

    Und ich hätte mir zum Beispiel bei Herrn Kusch gewünscht, dass er nicht so feige gewesen wäre, dann zu gehen, sondern dass er, wenn er nämlich weiß, dass diese Frau frei verantwortlich ist, dann darf er auch dabei bleiben. Das ist keine unterlassene Hilfeleistung. Das wusste der Jurist Kusch ganz genau. Warum er das nicht gemacht hat, das wäre das einzig Neue gewesen. Das ist so noch nicht entschieden worden, aber es ergibt sich aus der neueren Rechtsprechung, denn die alte Rechtsprechung ging immer nur von Auffindungssituationen aus, dass sie also in einer Wohnung einen Patienten finden, der gerade noch atmet, und sie sehen: Der hat Suizid begangen. Natürlich müssen sie den retten. Da kennen sie ja die Vorgeschichte nicht.

    Aber wenn ich die Vorgeschichte genau kenne und gutachtlich psychiatrisch abgeklärt habe wie Herr Kusch, dann muss ich diese Frau im Sterben nicht allein lassen. Das ist auch etwas, was mich sehr gestört hat.

    Schütte: Herr Kusch wartet jetzt auf eine Reaktion der Justiz. Der zuständige Staatsanwalt soll ermitteln. Mit welcher Reaktion rechnen Sie?

    Putz: Mit einer Einstellung des Verfahrens, denn das, was er getan hat, ist Beihilfe zum Suizid. Er hat einer Frau geholfen, wo ein Gutachten vorliegt, dass sie frei verantwortlich ist, noch dazu - das muss ich zugeben, dass diese Videos auch so laienhaft erst mal dafür sprechen - der Staatsanwalt das Problem hat, er müsste nachweisen, dass diese Frau nicht frei verantwortlich war, er müsste posthum nachweisen, dass sie seelisch krank, depressiv oder neurologisch krank war. Das wird er alles nicht nachweisen können. Spätestens im Zweifel für den Angeklagten gilt, dass Herr Kusch nicht verfolgt werden kann.

    Aber er ist ja auch, was das etwas Interessantere ist, für die Phase nach der Gifteinnahme ist er ja nicht bei dieser Frau geblieben, und das ist auch so eine Sache. Da hätte er endlich mal die neue Rechtsprechung auf den Suizid provozieren können, und das wäre wichtig gewesen. Also, ich finde immer so Einzelgänger, wenn man das als 30-Jahre-Medizinrechtler so verfolgt, dann sagt man: Schade, wieder eine gute Chance vergeben und die Sache in ein schlechtes Licht gerückt.

    Schütte: Wolfgang Putz, Medizinrechtler aus München. Vielen Dank für das Gespräch.

    Putz: Bitte schön. Auf Wiederhören!