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Dein Film

"Hätt' ich gerne. Hab' ich nicht." denkt Dennis, wenn er Angie sieht. "Hätt' ich gerne. Hab' ich nicht." Denkt er im Kino, denn er träumt von einer Rolle als Held. Rocky, Rambo. Schöne Frauen. Schnelle Autos. Aber die Rollen sind schon besetzt. Also was Neues: Am besten gleich einen eigenen Film. "Hätt' ich gerne. Hab ich nicht." heißt Dennis' Mantra aber auch da. Denn er packt's einfach nicht, mit dem Drehbuch zu seinem Film anzufangen. Zitat: "Er raucht im Bett und starrt die Decke an. Wie ein ums Vieh betrogener Cowboy, der auf die Fieberstrahlen der Morgensonne wartet. Dennis schweigt intensiv, raucht intensiv, starrt intensiv aus dem Fenster. Als käme so der Durchbruch. Er sah gut dabei aus, sodass Angie ihn gewähren ließ, jahrelang."

Brigitte Neumann |
    Die 29-jährige Deutsch-Pakistanerin Sarah Khan schreibt von dem Durcheinander im Leben, das an der Grenze zum Erwachsenwerden herrscht. Und sie schreibt vom Drama der Liebe. Cyberwelt hin oder her: Es ist das gleiche Schlachtfeld wie vor fünfzig Jahren. Und die Kontrahenten nehmen die bekannten Plätze ein: "Du bist meine Prinzessin!", sagt Johnny, der erfolgreiche Londoner Filmregisseur zu Angie, die jung und schön und ziellos ist. Darauf sie: "And you are reality!" Und ein Schlüsselsatz des Romans heißt: "Sex ist die einzige Möglichkeit, vernünftig mit einem Mann zu reden."

    Sarah Khan ist die Tochter eines pakistanischen Teppichhändlers - das hört sich gut an, irgendwie nach Tausendundeine Nacht. Aber der Teppichhändler ist SPD Mitglied, wohnt seit 13 Jahren in Hamburg, hat nach Aussagen seiner Tochter noch nie einen Roman gelesen - auch ihre nicht. und hätte es lieber gesehen, die Tochter hätte Mann und Kinder, statt Bücher. Zuhause sprach man Urdu, ein pakistanischer Dialekt, den Sarah Khan bis heute nicht beherrscht. Mag sein, das Fremdheit, Einsamkeit und Heimweh deshalb vertraute Gefühle für die junge Autorin sind:

    Ich hab gemerkt, eine der grauenhaftesten Ängste ist Heimweh. Vor allen Dingen, wenn man so alleine lebt als Frau und vor allen Dingen gar nicht so genau weiß wohin mit diesem Heimweh. Ich denke manchmal : Scheiße. Scheißberuf. Ich bin so einsam. Ich muß irgenwas anderes tun. Ich muß irgendwie mit Menschen zu tun haben. Keine Ahnung. Und nicht immer nur Bücher.

    Die Frau, die am verabredeten Morgen zum Interview kommt, sieht also nicht nach TausendundeineNacht aus, sondern eher wie der kesse Jesse in einem Bilderbuch von James Krüss. Sie wirkt stark und ein wenig streng. Und knabbert mit großem Appetit die getrockneten Apfelringe, die gleich neben dem Mikrofon stehen. Die Fragen scheinen ihr nicht durchweg zu munden, aber nach jeweils einer halben Minute Bedenkzeit paukt sie ihre Statements ins Mikrophon. Zum Beispiel:

    Das sexuelle Drama ist natürlich extrem interessant. Viele Frauen haben so die Erwartung, sie müssen als Prinzessin behandelt werden in diesem Drama der Liebe und Sexualität. Dabei sind sie ziemlich taffe, harte und ganz und gar nicht mäuschenhafte Gestalten und das ist ja auch gut so. Und da fängt ja auch das Drama an, spannend zu werden. Andererseits ist natürlich Sex ein Riesenfeld, um da Witze drüber zu machen. Es ist die einzige Möglichkeit, es zu ertragen und da noch einen anderen Wert draus zu schlagen.

    Sarah Khan wird in wenigen Monaten 30 und sagt: The morning gets dirty, when you get closer to thirty - mehr sei da nicht. Aber ich beharre darauf, daß da mehr ist - schon aus eigener Erfahrung. Und wir sprechen übers Älterwerden, Altwerden. Hier die durchaus nicht unprinzessinnenhafte Phantasie der Sarah Khan...

    ... Wenn ich alt bin, möchte ich meine Gehirnzellen noch beeinander haben. Ich möchte gern Mitglied im Förderverein der deutschen Oper sein, ich möchte gerne, daß Dirigenten, selbst wenn ich 75 bin, irgendwie noch Champagner aus meinen Pumps trinken und mich anbeten und daß ich ihnen irgendwelche Schecks in ihren Pinguin stecke, wenn sie brav sind und wenn sie ihre Spielpläne nach meinen Wünschen ausrichten. Wenn sie mir meinen Lieblingstenor zum Kaffeetrinken auf mein Berliner Appartment schicken.

    Wieso Dirigenten? Dirigenten haben den meisten Sexappeal, lacht sie. Was sich nicht für jede Hörerin jetzt so ohne weiteres erschließen mag, wird verständlich, wenn man Sarah Khans früheren Berufswunsch Opernsängerin kennt. Sie hat Zehn Jahre Gesangsunterricht bei Lehrern, die ihr rieten, fürs hohe C mit rohem Eigelb zu gurgeln und ähnliche Späße. Dann ein paar Stunden Unterricht bei einer Koryphäe von der Metropolitan Opera in New York und dieser Lebensplan war gestrichen. Vorher fielen schon weg: Pferdewirtin, Filmemacherin - Sarah Khan hat zwei kleine Super-8-Filme gedreht - und kürzlich hat sie sich auch aus dem Beruf der Filmkritikerin verabschiedet. Zu unwägbar die Aufträge und außerdem störten sie beim Bücherschreiben. Sarah Khan schrieb für die WOCHE, die WELT und ein Hamburger Szeneblatt über Stars und Sternchen und über die Neuigkeiten aus den internationalen Illusionsfabriken. Filme sind eine ihrer Leidenschaften.

    Ich bin manchmal ein bisschen erschrocken, wie wenig Leute sich Träumen auch ausliefern, die so märchenhaft sind, wie Film oft ist. .... Es ist schade, daß es in Deutschland nicht mehr Nerds gibt, die sich total reinsteigern. Ich meine das nicht so wie das mit Fernsehserien funktioniert: Wenn man sieht, wie diese langweiligen Leute in Gute Zeiten schlechte Zeiten in langweiligen Cafés rumstehen und Coca Cola trinken. Und dann bestellt man sich die Mode in einem Katalog. Das sind doch sehr mittelmäßige Träume.

    Dennis Neumann, 30, Abkömmling einer Dynastie von Gemüsetürken, der Mann mit den schönsten Augen Hamburgs und Held des neuen Romans von Sarah Khan, träumt seinen Traum von einem Knoblauchfresser-Vampirjägerfilm. Elegant soll er sein, so wie die Filme von Hitchcock. Seit Dennis ernsthaft über sein Coming Out als Filmemacher nachdenkt, klebt der kleine Vampir Vlad ständig unter der Zimmerdecke und feuert ihn an. Schriftsteller leben mit den Figuren, die sie erfinden, soll das heißen. Und nach Irrungen, Wirrungen, Reisen und Raufereien - der Leser muß da manchmal schwer verständliche Exkurse in die Filmgeschichte oder zu C.G.Jungs esoterischer Psychologie mitmachen - nimmt der junge Mann aber schließlich Stift und Papier und schreibt.

    Schreiben ist nicht leicht, weiß auch Sarah Khan...

    Und das Schreiben ist natürlich ne Sache, die nur dann entsteht, wenn nichts anderes mehr geht. Diese ganze Überwindung von Schwierigkeiten, die man erst mal zurücklegen muß, bis man erträgt, was man schreibt. Weil ja auch erst mal sehr viel Häßliches aus einem herauskommt, ganz furchtbare Sätze, Ideen, schlimmste Phantasien, also man muß durch die sieben Gebirge erst mal mit seinen Texten bis da was entsteht. Und das ist eine extreme Arbeit und die nimmt man nur dann auf sich ,wenn man nichts mehr anderes weiß; wenn einem nichts mehr anderes einfällt und wenn man nicht mehr irgendeine andere Phantasie von sich selbst hat. ... Also, sonst wüßte ich nicht, warum man das eingeht. Ich hab wirklich alles mögliche versucht und jetzt bin ich Schriftstellerin.

    Mit 24 war das für sie klar. Und vier Jahre später lag ihr Debüt vor. "Dein Film" ist Sarah Khans zweiter Roman und er spielt in der Szene dilettierender Hamburger Filmfans. Mit ihrem von der Kritik positiv aufgenommenen, aber nur mittelmäßig verkauften Erstling "Gogo-Girl" hatte sie sich ein benachbartes Feld vorgenommen: Musizierende Hamburger Jungphilosophen. Die Band heißt "Hirn" und das tanzende Groupie Ruth sagt irgendwann genervt: "Eure Musik ist wie aus einer Leihbücherei, viele Gedanken, nur behalten kann man sie nicht."

    Das trifft ein wenig auch auf Sarah Khans Bücher zu: Viele Gags. Viele gute Ideen und etliche geniale Passagen, die man sich am liebsten rausreißen und in der Manteltasche immer bei sich tragen möchte. Aber es gibt auch Füllsel, das die Story abbremst und nach eitel Selbstdarstellung riecht. Ein Roman wie Pulverschnee. Viele Flocken, einige davon kunstvollste Schneechristalle, aber ein ordentlicher Schneeball wird nicht daraus.

    Letzte Gedanken nach dem Lesen des Romans "Dein Film" von Sarah Khan. Bitte noch ein Buch, aber diesmal schneeballfähig.

    Und warum meldet sich eigentlich z.B.Dirk Bach nicht bei Sarah Khan. Die hat das Zeug, seine ZDF-Sitcom ‚Lukas' aus dem Quotentief zu helfen oder Harald Schmidts Lachwerkstatt vom ewigen Herrenwitz zu erlösen Sarah Khans große Stärke ist ihr Dialogwitz, ihre Pointensicherheit. Und eine Frau, die richtig witzig sein kann, das ist nach wie vor eine Rarität.