"Heute morgen, um 4 Uhr 11, als ich von den Wiesen zurückkam, wo ich den Tau aufgelesen habe", so lautet der volle Titel von Rainald Goetz' fünfteiligem "Buch 5", das nun mit der Erzählung "Dekonspiratione" abgeschlossen vorliegt. Man kann aus diesem Titel einiges über Rainald Goetz oder über die Figur, die in seinen Büchern ‘Ich’ sagt, erfahren. ‘Ich’ ist nachts viel unterwegs, ‘Ich’ hat eine Vorliebe für präzise Zeitmessung - und ‘Ich’ ist ein Romantiker. "Verklärte Nacht", so könnte das Motto über Goetz' Fünfteiler heißen. "Heute morgen" handelt ja nicht vom bevorstehenden Arbeitstag, sondern von der überstandenen Partynacht, Goetz erzählt von Leuten, die die Nacht zum Tage machen: Galeristen, DJs, Mediennienschen, Clubgänger. Die Nacht, sie ist in Goetz' Erzählung "Rave", dem Gegenstück zu "Dekonspiratione", ein Ort des Lebensexperiments, des Exzesses natürlich, aber auch und vor allem einer gesteigerten poetischen Geselligkeit. Rainald Goetz' Bücher handeln immerfort von der Freundschaft - auch wenn den Autor zwangsläufig hier und da der Haß überkommt. Freundschaft, könnte man sagen, ist der Modus, in dem seine Welt kommuniziert. Früher waren nur gleichgesinnte Jungs zur Freundschaft zugelassen, jetzt tauchen manchmal sogar Frauen auf, und insgesamt hat die Toleranz zugenommen. Zeichen eines entspannteren Umgangs mit Stil, mit sozialen und ästhetischen Distinktionen? Zeichen von "De-Konspiration"? "Es geht auch um einen Neuanfang", schreibt Goetz, "bei Einbeziehung alles Trennenden, und doch auch darüber hinweg." Das ist das Anti-Zynische und Anti-Autistische, das fast handke-mäßig "Herzerwärmende" bei Goetz: er sucht und findet im Innersten der Konfusion das Wunder des Sozialen. Goetz ist ein bekennender Verehrer Niklas Luhmanns, und wie Luhmann steht er staunend vor der komplexen, aber funktionierenden Einrichtung der Gesellschaft.
"Dekonspiratione" ist weniger eine Erzählung als, wie immer bei Goetz, ein Omnibus aus Reflexionen, Protokollen und Zitaten, aus denen sich dann aber doch eine Art Handlung herausschält. Fünf Kapitel, die an fünf Tagen in fünf Monaten des Jahres 1999 spielen. War "Rave" das Nachtbuch, so ist "Dekonspiratione" nun ein "Tagbuch". Was tun Benedikt und Katharina, Martin und Alexa, wenn sie nicht feiern? Wovon leben sie? Sie schreiben. Schreiben, das sind im wesentlichen drei Stadien der Textverarbeitung: erstens universitäre Seminararbeiten über Ingeborg Bachmann oder Harald Schmidt, zweitens Strategien, Gags und Konzepte, etwa für neue TV-Talk-Formate, und drittens, immer noch und immer wieder, die Literatur. Es ist interessant zu sehen, wie intakt der Nimbus des literarischen Schreibens in dieser Textprofiwelt doch geblieben ist. Aber wer wäre nicht lieber ein Genie als nur ein Profi? Diese jungen Medien-Strategen wissen, gerade weil sie so ausgebufft sind, am besten, daß keine Art, ‘Ich’ zu sagen, mehr Aufmerksamkeit erwarten darf als die Literatur. Deshalb trifft man Goetzens Hipster nicht nur in den selben Clubs und auf den selben Vemissagen, sondern auch im guten, alten Literarischen Colloquium am Wannsee bei einer, nun ja, Autorenlesung.
Zurück zu Benjamin und Katharina. Um sie geht es in den Kapiteln eins bis drei. Katharina hat sich mit ihrem Freund Benjamin überworfen und fährt nun mit dem ICE zu einer Freundin nach München. Im Zug erinnert sich Katharina an gute und weniger gute Momente in ihrer Beziehung mit Benjamin. Dann nimmt ihr gegenüber ein junger Mann Platz Es knistert ein wenig zwischen den beiden, man macht small talk, beobachtet einander und tauscht am Ende doch nicht die Adressen aus. Benjamin fliegt unterdessen nach Köln und nimmt an einer Vorbesprechung über ein geplantes Talk-Kultur-Format mit dem Titel "Nothing Special" teil. Er trifft Harald Schmidt und macht sich mit Leuten aus dessen Umfeld Gedanken über eine Reform der Harald-Schmidt-Show.
Und so weiter. All die Figuren und Zusammenhänge, die Goetz vor dem Leser ausbreitet, sind ersichtlich zu keiner Verwicklung gut. Nichts ist erfunden, nichts wirkt dramatisiert, alles sieht aus wie protokolliert. Warum folgt man Goetz' Mitschrift so fasziniert? Weil sie Klatschmaterial aus dem Kultur- und Medienmilieu enthält? Das auch. Aber es muß außerdem an Goetz' Stil liegen, an dieser geschmeidigen, entspannten und entschieden subjektiven Weise, sein "Ich" die Welt sondieren zu lassen. Ab Kapitel vier der Erzählung ist wieder er, Rainald, die Hauptfigur. Erst sagt er Christian telefonisch ab, daß er den versprochenen Text für seinen Sammelband nicht schreiben kann. Dann sitzt er mit Max im Taxi und redet über "die neue Platte, das Video und unsere Lesung später". Und schließlich wird er sich in Alexa verlieben. Ob wir das aufregend finden? Ja, sehr.
"Dekonspiratione" ist weniger eine Erzählung als, wie immer bei Goetz, ein Omnibus aus Reflexionen, Protokollen und Zitaten, aus denen sich dann aber doch eine Art Handlung herausschält. Fünf Kapitel, die an fünf Tagen in fünf Monaten des Jahres 1999 spielen. War "Rave" das Nachtbuch, so ist "Dekonspiratione" nun ein "Tagbuch". Was tun Benedikt und Katharina, Martin und Alexa, wenn sie nicht feiern? Wovon leben sie? Sie schreiben. Schreiben, das sind im wesentlichen drei Stadien der Textverarbeitung: erstens universitäre Seminararbeiten über Ingeborg Bachmann oder Harald Schmidt, zweitens Strategien, Gags und Konzepte, etwa für neue TV-Talk-Formate, und drittens, immer noch und immer wieder, die Literatur. Es ist interessant zu sehen, wie intakt der Nimbus des literarischen Schreibens in dieser Textprofiwelt doch geblieben ist. Aber wer wäre nicht lieber ein Genie als nur ein Profi? Diese jungen Medien-Strategen wissen, gerade weil sie so ausgebufft sind, am besten, daß keine Art, ‘Ich’ zu sagen, mehr Aufmerksamkeit erwarten darf als die Literatur. Deshalb trifft man Goetzens Hipster nicht nur in den selben Clubs und auf den selben Vemissagen, sondern auch im guten, alten Literarischen Colloquium am Wannsee bei einer, nun ja, Autorenlesung.
Zurück zu Benjamin und Katharina. Um sie geht es in den Kapiteln eins bis drei. Katharina hat sich mit ihrem Freund Benjamin überworfen und fährt nun mit dem ICE zu einer Freundin nach München. Im Zug erinnert sich Katharina an gute und weniger gute Momente in ihrer Beziehung mit Benjamin. Dann nimmt ihr gegenüber ein junger Mann Platz Es knistert ein wenig zwischen den beiden, man macht small talk, beobachtet einander und tauscht am Ende doch nicht die Adressen aus. Benjamin fliegt unterdessen nach Köln und nimmt an einer Vorbesprechung über ein geplantes Talk-Kultur-Format mit dem Titel "Nothing Special" teil. Er trifft Harald Schmidt und macht sich mit Leuten aus dessen Umfeld Gedanken über eine Reform der Harald-Schmidt-Show.
Und so weiter. All die Figuren und Zusammenhänge, die Goetz vor dem Leser ausbreitet, sind ersichtlich zu keiner Verwicklung gut. Nichts ist erfunden, nichts wirkt dramatisiert, alles sieht aus wie protokolliert. Warum folgt man Goetz' Mitschrift so fasziniert? Weil sie Klatschmaterial aus dem Kultur- und Medienmilieu enthält? Das auch. Aber es muß außerdem an Goetz' Stil liegen, an dieser geschmeidigen, entspannten und entschieden subjektiven Weise, sein "Ich" die Welt sondieren zu lassen. Ab Kapitel vier der Erzählung ist wieder er, Rainald, die Hauptfigur. Erst sagt er Christian telefonisch ab, daß er den versprochenen Text für seinen Sammelband nicht schreiben kann. Dann sitzt er mit Max im Taxi und redet über "die neue Platte, das Video und unsere Lesung später". Und schließlich wird er sich in Alexa verlieben. Ob wir das aufregend finden? Ja, sehr.