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Delikatesse aus dem Watt

Für die einen sind sie höchst delikat, für die anderen nur ein Schluck Meerwasser. Fest steht aber: Mit Austern lassen sich gute Geschäfte machen. Drei Millionen Tonnen werden jährlich aus den Weltmeeren gefischt. Jetzt im Sommer wächst eine neue Generation Pazifischer Austern heran und zwar im Wattenmeer vor Sylt, wo vor gut 20 Jahren die deutsche Austernzucht begann.

Von Annette Eversberg | 06.07.2006
    Die wilden Austernbänke im schleswig-holsteinischen Wattenmeer erscheinen bereits wie scharfzackige Gebirge. Denn junge Austernlarven suchen möglichst bald nach einem festen Halt. Und das bieten seit eh und je am besten ihre Artgenossen. Vor mehr als 20 Jahren hatte niemand geglaubt, dass sich die Pazifische Auster aus wärmeren Meeresgebieten so ohne weiteres im atlantischen Wattenmeer verbreiten könnte. Weit gefehlt, betont Dr. Christian Buschbaum, Meeresökologe am Alfred-Wegener-Institut in List auf Sylt:

    "Das Entscheidende für die Auster sind eigentlich die Temperaturen, wenn sie anfängt, sich zu vermehren. Also die Wintertemperaturen sind ihr egal. Wenn wir aber sehr, sehr gute Sommertemperaturen haben, dann ist das gut für die Auster, dass sie sich vermehren kann. Und das hatten wir in den letzten Jahren. Das ist der entscheidende Punkt. Und daher gab es also für die Austern keine Hemmschwelle. "

    Weil sich die Austern im Watt so stark verbreiten, gehen beim schleswig-holsteinischen Nationalparkamt immer mehr Anträge ein, die Austern sammeln zu dürfen, erläutert Naturschutzdezernent Dr. Thomas Borchardt:

    "Das ist natürlich ein naheliegender Gedanke, weil jetzt viele Millionen Austern im Watt vorhanden sind. Es sind jetzt wohl mindestens 150 Millionen Stück nur um die Inseln Amrum, Sylt und Föhr herum. Wahrscheinlich noch viel mehr. Es ist im Gespräch, etwa ein Prozent der zur Verfügung stehenden Fläche auch für diese Konsumaustern freizugeben. Allerdings nur unter strengen Auflagen, und vor allem unter den Bedingungen der Hygieneverordnung. "

    Bisher gab es nämlich schon eine Grauzone. Immer wieder tauchten wilde Austern aus dem Watt in Gaststätten an der Küste auf. Doch Austern können Colibakterien enthalten, aber auch Algengifte. Deshalb dürfen bei einer Sammelgenehmigung künftig nur solche Austern verkauft werden, die vorher untersucht wurden. Thomas Borchardt:

    "Diese Untersuchungen kosten natürlich einiges Geld, deshalb gehen wir davon aus: Auch wenn einige Anträge bereits vorliegen, wahrscheinlich nur ein oder zwei dies auch umsetzen werden, weil die Kosten ziemlich hoch sein werden. "

    Das Sammeln ist aufwändig. Denn es ist nur erlaubt, Austern mit der Hand zu sammeln. Mit einem Boot darf man sie dann an Land bringen. Eine Sammelgenehmigung ist auf jeden Fall an Vorbedingungen gebunden. Es muss ein gültiger Fischereischein vorhanden sein. Dennoch werden solche Genehmigungen – so Thomas Borchardt – nur befristet erteilt:

    "Eingebaut ist natürlich auch ein Beobachtungsprogramm. Also es wird schon geguckt, wie sah das Wattenmeer vorher aus. Wie sieht es nach einer Nutzung aus. Wie viele Austern waren vorher da, wie viel sind nachher da. Gab es Störungen für andere Organismen. Z.B. Vögel, die im Wattenmeer nach Nahrung suchen. Das wird alles neu bewertet. So dass nach einiger Zeit auch alles neu überdacht werden wird. "

    Verboten wird es sein, in der empfindlichen Zone 1 des Wattenmeeres zu sammeln und Austern von Miesmuschelbänken zu entfernen. Denn die für das Leben im Watt so wichtigen schwarzblauen Schalentiere scheinen unter den Austern zu leiden. Weil sie schnell wachsen, wuchern sie die Muschelbänke zu. Das ist nicht nur ein Nachteil für die Muschelfischer. Auch für die Vögel des Wattenmeers, wie die Enten, die von den Miesmuscheln leben. Außerdem sind die Miesmuschelbänke ein typischer Lebensraum für die Kleinlebewesen des Wattenmeers, die etwa 80 Prozent aller Organismen im Watt ausmachen. Deshalb ist besondere Vorsicht bei den Sammelgenehmigungen geboten. Was wirklich im Watt passiert, können die Forscher aber derzeit nicht sagen. Denn das Watt ist erdgeschichtlich noch recht jung. Erst 7000 Jahre. Da ist noch Platz im Watt. Und deshalb ist für Christian Buschbaum der Verdrängungswettbewerb zwischen Muschel und Auster noch keine ausgemachte Sache:

    "Weil die Miesmuschel auch in den Gebieten weniger wird, wo die Auster sich noch nicht so stark vermehrt. Der Grund ist, dass die Winter relativ mild waren. Es kann auch sein, dass wir im nächsten Jahr einen sehr kalten Winter haben, verbunden mit niedrigen Temperaturen im Sommer, dass es der Muschel dann wieder sehr, sehr gut geht, der Auster aber nicht so gut geht. Und dann kann es wieder sein, dass wir eine Zunahme an Miesmuscheln beobachten. "