Archiv


Dem Gras beim Wachsen zusehen

Snooker ist die komplizierteste und edelste Variante des Billards, ein Gentlemen-Sport aus Großbritannien. Am 15. April beginnt der Höhepunkt des Snooker-Jahres: die Weltmeisterschaft in Sheffield. Und wieder werden 17 Tage lang Millionen Menschen vor den Fernsehern sitzen. Auch hierzulande erreicht Snooker inzwischen spektakuläre Einschaltquoten. Und widerspricht damit den üblichen Regeln der Sportberichterstattung.

Von Susanne Burg |
    Mit maschinengleicher Präzision versenkt ein Spieler eine Kugel nach der anderen in einem der sechs Löcher. Der Schiedsrichter zählt die Punkte. Ansonsten herrscht Stille. Und gebannt verfolgt Großbritannien die Stille. Wenn die BBC zur Weltmeisterschaft täglich acht Stunden Snooker überträgt, sitzen rund vier Millionen Zuschauer vor ihren Fernsehern. Unglaubliche 18,5 Millionen Menschen schalteten in Großbritannien gar bei einem legendären Endspiel 1985 ein - mehr als jede Fußball-Übertragung jemals erreicht hat. Und auch heute liegen die Einschaltquoten von Snooker immer noch an zweiter Stelle hinter Fußball.

    Ein bisschen sei es zwar als würde man Gras beim Wachsen zusehen, sagt eine Zuschauerin bei einem Turnier, aber trotzdem verfolge sie Snooker seit 16 Jahren. Schließlich sei sie damit aufgewachsen.

    Doch auch in Deutschland begeistern sich immer mehr Menschen für dieses Spiel mit den fünfzehn roten und den sechs verschiedenfarbigen Kugeln, die anfangs auf dem Tisch liegen. 2003 ist Eurosport intensiv in die Snooker-Berichterstattung eingestiegen. Inzwischen gehört das Spiel zu den fünf beliebtesten Sportarten bei Eurosport. In Deutschland hat der Sender die Snooker-Einschaltquoten im letzten Jahr um 25 Prozent auf 700.000 steigern können. Für den Nischensender eine beeindruckende Zahl. Und auch im Internetforum von Eurosport überschlägt sich die eingeschworene Fangemeinde mit Einträgen rund um die Uhr. Eurosport-Kommentator Rolf Kalb verfolgt die Diskussionen:

    " Man merkt, wie fasziniert die Zuschauer sind. Selbst die englischen Stars sind zu Idolen geworden, auch für die deutschen Fans. "

    Die Snooker-Stars heißen Stephen Hendry, John Higgins oder Shaun Murphy und sind Briten. Kein einziger Deutscher ist bisher in die Profi-Kreise vorgedrungen. Ein Spiel ohne Tore, ohne Action und schnelle Schnitte, ohne deutschen Star. Snooker fehlt alles, was nach den Gesetzen des Fernsehmarktes einen Publikumshit ausmacht. Doch gerade das ist vielleicht das Erfolgsrezept dieser Sportart.

    " In Zeiten, wo gerade im Fernsehgeschäft es immer hektischer, schneller zugeht und Wackelbilder immer mehr zum Tragen kommen, da ist auch das Bedürfnis nach etwas anderem da. Und Snooker befriedigt dieses Bedürfnis. Der nächste Punkt ist natürlich auch, dass Snooker eine ideale Kombination ist. Zum einen müssen die Spieler natürlich eine herausragende Fähigkeit haben, feinmotorische, sie müssen große mentale Stärke mitbringen. Sie müssen taktische Finesse mitbringen. Nur wenn man das alles hat, kann man ein erfolgreicher Snooker-Spieler sein. Dann ist das ja ein Sport, der immer seine kleinen Dramen produziert, die sich dann zu einem Spannungsbogen verdichten. Das macht für mich die Faszination aus. "

    Eine Kamera verweilt gerne mal eine halbe Minute auf einer einzigen Kugel, bis der Spieler sie mit einem präzisen Stoß einmal quer über den vier Meter großen Tisch in ein winziges Loch schickt, während die weiße Spielkugel wie an einem Faden gezogen in eine andere Richtung rollt, perfekt platziert für den nächsten Schuss.

    Snooker zelebriert die telegene Langsamkeit. Und Fans schätzen genau diese kontemplative Natur der Sportart. Es ist ein Gewinn an Zeit durch deren schiere Verschwendung.

    " Ich kann mich erinnern, als die China Open waren, das wurde wegen der Zeitverschiebung morgens übertragen und es war faszinierend, dass man morgens einfach ein bisschen Snooker gucken konnte und plötzlich völlig ruhig und entspannt in den Tag gehen konnte.

    Das ist schon fast paradox, weil es einerseits schon fast meditativ ist, beruhigend und andererseits extrem spannend, wenn Spiele innerhalb von Augenblicken umzukippen scheinen und es auch wirklich tun. "

    Über 100 Stunden Snooker wird es in den nächsten 17 Tagen bei Eurosport geben. Anders als bei Cricket sind die Regeln dieser britischen Sportart leicht zu verstehen. Und ansonsten setzt Snooker nur eines voraus: die Bereitschaft zu ruhiger und entspannter Betrachtung. Also eine Eigenschaft, die das Fernsehen sonst der Langeweile verdächtigt und mithin wie eine Todsünde ahndet.