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"Dem Leser die Wahl lassen"

Zum ersten Mal trifft sich die wachsende Internetgemeinde der Online-Enzyklopädie Wikipedia zu einem Kongress außerhalb des Internets. Vor kurzem wurde die weltweit größte frei zugängliche Wissensdatenbank mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Aber es gab auch Kritik: Einige Artikel seien nicht neutral oder enthielten Fehler. Kurt Jansson, der erste Vorsitzende von Wikimedia Deutschland, erklärt, wie man diesem Problem entgegentreteten könnte.

Moderation: Beatrix Novy |
    Novy: Auf den ersten Blick kommt einem dieses Programm des Kongresses auch ziemlich enzyklopädisch vor. Da geht es um Wikipedia in Entwicklungsländern, um Wikis im niederländischen Bildungswesen, um Frauennetzwerke in Uganda. Gibt es da eine Richtung? Ein Hauptthema bei dem Kongress?

    Jansson: Ich würde sagen das Hauptthema sind vielleicht gar nicht mal unbedingt die Vorträge, die sind alle wichtig gewesen: Viele sehr interessante Sachen, was da diskutiert worden ist. Aber das Hauptziel war, die internationale Community zusammenzubringen. Einfach, dass man sich wirklich auch persönlich kennerlernt. Die Leute, die vorher sonst per E-mail, per Chat sich ausgetauscht haben, sich hier treffen können, und man abends auch zusammensitzt bei einem Bier vielleicht und einfach weiß mit wem man es zu tun hat. Und das war, glaube ich, wirklich das Hauptziel der ganzen Konferenz.

    Novy: Ein Problem ist es ja auch tatsächlich, dass die Sprachengemeinschaften bei Wikipedia hauptsächlich oder weitgehend unter sich bleiben. Glauben Sie, dass Sie damit jetzt einen Schritt weiter gekommen sind?

    Jansson: Das glaube ich schon. Also, wir hatten vorher schon eine ganze Reihe von Mailing-Listen, und haben auch einen Meta-Wiki auf dem, sozusagen, man sich international organisieren kann. Aber es ist einfach was anderes, wenn man schon weiß, mit wem man es wirklich zu tun hat. Und man auch schon ein persönliches Vertrauen aufgebaut hat. Und ich glaube, das wird die Zusammenarbeit in Zukunft sehr erleichtern.

    Novy: Nun wäre das ja jetzt ein bisschen wenig für einen viertätigen Kongress, dass man sich mal gesehen hat - gut, dass man mal drüber gesprochen hat. Es gibt ja Themen! Und es gibt ja auch Probleme. Nehmen wir doch einen der Hauptangriffspunkte der Kritiker: das, was Wikipedia auszeichnet, nämlich die Offenheit und damit auch Unkontrollierbarkeit der Einträge. Sie kennen ja das Problem und Sie haben sicher auch diskutiert darüber. Wurden auf dem Kongress auch Ideen entwickelt wie man erfundenen Einträgen wehrt, beziehungsweise also dem sogenannten Vandalentum, dass eben dumme Artikel hineingestellt werden?

    Jansson: Also, wenn es um den Vandalismus geht, haben wir tatsächlich - würde ich schon behaupten wollen - das Problem sehr gut im Griff. Reiner Vandalismus ist sehr einfach rückgängig zu machen. Das kann auch jeder Nutzer, das müssen jetzt nicht besondere Leute sein, die jetzt vielleicht Administratoren sind oder so was. Sondern wirklich jeder Nutzer kann dagegen vorgehen, und es ist ein sehr transparentes System, wo man sehen kann welche Artikel gerade geändert wurden, man kann solche Sachen dann auch wieder rausnehmen. Was eher ein Problem ist, sind vielleicht Leute, die Extrempositionen vertreten, extreme Meinungen haben, die versuchen, den Artikel unterzubringen gegen den Willen der Community. Da sind wir auch immer dabei, dem entgegenzutreten. Die Community wird selber auf so was relativ schnell aufmerksam und steuert dann gegen. Aber es kann natürlich immer wieder sein, dass ein Artikel zu einem beliebigen Zeitpunkt in einem Zustand ist, wo er nicht neutral ist oder wo vielleicht auch noch Fehler drin sind. Und ich...

    Novy: Und es kann sein, dass ich gerade in dem Moment da hineinklicke in dem es noch nicht entfernt oder verbessert worden ist.

    Jansson: Genau. Und deswegen war ein Thema auf dieser Konferenz die Frage, wie man dem Leser mehr Möglichkeiten an die Hand geben kann, die Neutralität und die Vollständigkeit und Korrektheit eines Artikels einzuschätzen. Es gibt verschiedene Ansätze. Das eine wäre eher ein Ansatz, wo man alle Nutzer abstimmen lässt oder Artikel bewerten lässt. Also, wo jeder Nutzer Artikel lesen kann und sagen kann, hält er den Artikel für richtig, für falsch, für vollständig. Und dann sozusagen eine statistische Auswertung von diesen Daten zu machen. Der andere Ansatz ist eher sozusagen nach Experten zu suchen und von den Experten Artikel bewerten zu lassen. Wir haben so was schon in der Form der exzellenten Artikel-Bewertung: also die exzellenten Artikel, die auch von der Hauptseite aus zugänglich sind. Und das ist ein Prozess, der sehr gut auch noch von der Software weiter unterstützt werden könnte. Also, zur Zeit passiert das alles von Hand, und wenn dieses System implantiert ist, könnte man dem Leser die Wahl lassen. Der Leser könnte entscheiden: Möchte er die aktuelle Version, die möglicherweise Fehler enthält, möglicherweise nicht ganz neutral ist, oder möchte er lieber eine ältere Version wählen, die schon mal von Fachleuten Korrektur gelesen worden ist und für gut und richtig befunden worden ist.

    Novy: Wäre es eigentlich eine Sünde wider den Geist von Wikipedia, wenn man bestimmte Artikel mal einfrieren würde. Also nicht mehr für alle Nutzer veränderbar machen würde?

    Jansson: Von Zeit zu Zeit geschieht das ja heute schon. Also wenn jetzt tatsächlich ein bestimmter Artikel von mehreren Leuten immer wieder in die eine oder andere Richtung hin und her geändert wird, dann kann ein Administrator hingehen, kann einen Artikel sperren und die Leute dadurch dazu zwingen auf der Diskussionsseite miteinander wieder zu sprechen, wieder in Kontakt zu treten und zu versuchen, zu einem Konsens zu kommen. Ein Artikel dauerhaft zu sperren, das ist meiner Meinung nach - und ich denke die Community sieht das auch so - keine Lösung, weil jeder Artikel kann immer noch verbessert werden, kann immer noch besser geschrieben werden. Und deswegen denke ich persönlich, dass es kein Modell ist für die Zukunft, Artikel wirklich zu sperren, sondern wir werden einfach noch versuchen müssen noch bessere Transparenz dort zu erzeugen, wo Artikel tatsächlich schon eine hohe Qualität haben und dafür sorgen müssen, dass die Qualität dieser Qualitätsstandards dann auch dauerhaft gewährleistet ist.

    Novy: Wie viele Frauen sind bei dem Kongress vertreten?

    Jansson: Wir haben leider noch keine Statistik-Auswertung darüber...

    Novy: Aber Sie sehen es doch. So mit bloßem Auge, übern Daumen gepeilt.

    Jansson: Ja, also... man muss dann zugeben, die Frauen sind eindeutig in der Minderheit. Ich kann persönlich nicht genau einschätzen woran das liegt. Also eigentlich weiß man, dass im Internet die Frauen und Männer gleich häufig vertreten sind. Und Wikipedia ist zwar ein Projekt, wo es manchmal relativ trocken um Faktenwissen geht, aber es ist auch ein sehr interessantes Projekt, wo Leute miteinander in Kontakt treten, diskutieren, man sich austauscht, und...

    Novy: Ja, das alles spricht ja nicht gegen die Präsenz von Frauen! Also, wie kann man sich das erklären, dass sie bei Wikipedia offenbar unterrepräsentiert sind?

    Jansson: Ja, das wollte ich gerade sagen. Ich persönlich kann es mir eigentlich nicht erklären, weil die Arbeits-Atmosphäre eigentlich relativ angenehm auch ist. Also, es ist nicht so, dass jetzt sozusagen die Hahnenkämpfe ausgetragen werden in Wikipedia. Das gibt es natürlich auch, dass es auf Diskussionsseiten mal etwas harscher zur Sache geht. Aber alles in allem habe ich auch hier auf der Konferenz das Gefühl gehabt, dass doch hier eine Gemeinschaft im Laufe der Jahre entstanden ist, die gelernt hat miteinander sehr gut umzugehen, sehr viel offene Menschen, sehr viel intelligente Menschen, die einfach Spaß daran haben in ihrer Freizeit an diesem Projekt mitzuarbeiten. Und deswegen... ja, ich habe persönlich, muss ich gestehen, keine genaue Erklärung dafür.

    Novy: Wie ist es mit der Präsenz von Menschen aus Afrika oder Asien?

    Jansson: Wir waren glücklicherweise in der Lage, durch die finanzielle Hilfe eines Sponsors eine ganze Reihe von Leuten aus Entwicklungsländern einfliegen zu können, und die zum Teil auch Vorträge gehalten haben über den Zustand in ihrem Land, wie weit das Internet dort schon eingesetzt wird, wie weit der Zugriff auf Wikipedia möglich ist, wie weit es in Afrika zum Beispiel die Möglichkeit geben würde über Telefonleitung die Daten dann hin und her zu schicken, ohne dass man eine dauerhafte Verbindung zum Internet haben muss.

    Novy: Bis morgen tagen sie noch in Frankfurt, die Wikipedianer. Das war Kurt Jansson, erster Vorsitzender von Wikimedia Deutschland Gesellschaft zur Förderung freien Wissens.