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Dem Leser ganz nah sein

Trotz aller Onlinemedien, erfreut sich die Tageszeitung immer noch großer Beliebtheit. Doch nun haben Regionalzeitungen damit zu kämpfen, dass es immer weniger Zusteller gibt. Die "Schwäbische Zeitung" in Leutkirch im Allgäu hat nun eine vermeintlich geniale Idee: Die Redakteure können - auf freiwilliger Basis - nun vor dem Dienst die Zeitung dem Leser bringen.

Von Thomas Wagner |
    Dem Zeitungsredakteur an sich sagt man nach, er sei ein Morgenmuffel. Und so dürfte es denn eher in den späteren Vormittagsstunden gewesen sein, als sich die Redakteure der Schwäbischen Zeitung, manche noch leicht angemüdet vom Absitzen spät abendlicher Vereinsversammlungen oder Gemeinderatssitzungen, beim Studieren der hausinternen Verlagsmitteilungen verdutzt die kleinen Äuglein rieben. Am so genannten "virtuellen Schwarzen Brett" ihrer Verlagsleitung stießen sie nämlich auf folgenden Appell:

    "Heute wenden wir uns mit einer außergewöhnlichen Bitte an Sie: Wir bitten Sie, auf freiwilliger Basis und zeitlich befristet im Notfall als Zusteller einzuspringen."

    Dies allerdings für längstens zwei Wochen am Stück - und dies auch nur einmal im Jahr. Begründet wurde das mit einem immer größeren Mangel an Zeitungsausträgern. Und deshalb suche man händeringend nach Mitarbeitern, auch unter den Redakteuren, die frühmorgendlich das, was sie möglicherweise spätabends zu Papier gebracht habe, auch höchstpersönlich in die Zeitungskästen stecken.

    "Also ich habe im ersten Moment einfach nur mal schallend losgelacht und gedacht: Naja, das ist wohl eine Zeitungsente und nicht so ganz ernst gemeint."

    So Thomas Godawa, baden-württembergischer Landesvorsitzende im Deutschen Journalistenverband - einer Gewerkschaft, die sich für die Rechte gerade der Zeitungsredakteure einsetzt, unter anderem für geregelte Arbeitszeiten. Nun lässt der Appell am "Virtuellen Schwarzen Brett" der Verlagsleitung keinen Zweifel an dem Prinzip: Morgenstund hat Extrageld im Mund - 15 Euro pro Stunde will der Verlag für den Sonderseinsatz im Morgengrauen bezahlen. Dennoch: Ganz so lustig findet der Gewerkschafter in Stuttgart das, was sich da bei der Schwäbischen Zeitung im württembergischen Allgäu tut, dann aber doch wieder nicht.

    "Weil es dann auch wieder zeigt, wie die Redakteurinnen und Redakteure in der Wertigkeit ihres Verlagshauses eingeschätzt werde, dass sie dann morgens um fünf auch noch ihre Zeitung austragen sollen. Naja, da kann man dann schon Zweifel daran hegen, ob das der richtige Einsatzort für Redakteure ist."

    Aber warum eigentlich nicht? Mag sich die Geschäftsleitung der Schwäbischen Zeitung gedacht haben. Einen unmittelbareren Kontakt zwischen Zeitungs-Schreiberlingen und Zeitungslesern kann es doch gar nicht geben, als gerade dann, wenn der Autor dem Leser sein Werk gleich auch noch persönlich vorbeibringt - vorausgesetzt, Letzterer ist schon wach und auf den Beinen, woran manche Redakteure, wie man hört, so ihre Zweifel haben. Hendrik Groth, Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung, macht in einer schriftlichen Stellungnahme allerdings klar: Nur wer wirklich möchte, muss früh aus den Federn.

    "Es gibt überhaupt keine Aufforderung oder Verpflichtung von Redakteuren, Zeitungen auszutragen. Das ist rein freiwillig. Es ist auch der Versuch, Mitarbeiter für unsere Probleme zu sensibilisieren. Man kann darüber debattieren, ob das richtig oder falsch ist. Fakt ist: Wir haben dramatische Probleme bei der Zustellersituation."

    Doch die Mehrheit der Redakteure hat keine so rechte Lust, das Zustellerproblem durch eigenes Zutun zu lösen. Eine Schnappsidee, kommentieren viele von ihnen hinter vorgehaltener Hand den Appell. Öffentlich dazu äußern will sich aber niemand. Vielleicht sitzt ihnen ja die Angst im Nacken, zum Zwangszustelldienst verdonnert zu werden. Die Chefredaktion verweist dagegen auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Doch ob sich tatsächlich allzu viele freiwillig melden, bleibt fraglich. Gewerkschafter Thomas Godawa glaubt eher nicht daran: Stress den ganzen Tag über, Zeitdruck, hier ein Artikel, dort ein Kommentar, abends noch Termine - da werde sich kaum ein Redakteur zum frühmorgendlichen Zustelldienst melden:

    "Also ich denke mal, in keiner Lokalredaktion, in keinem Verlag in Baden-Württemberg, ist noch ein Kollege oder eine Kollegin, die dafür noch Zeit übrig hätte. Denn die Personalbesetzung in den Redaktionen sieht meistens sogar so aus, das Urlaub und Krankheit schon gar nicht mehr abgedeckt sind. Also ich halte es für keine gute Idee, zu sagen: Ich schicke meine Lokalredakteure auch noch mit meinem Wägelchen auf die Straße und lasse ihn die Zeitungen in die Briefkästen stecken."

    Wenn sich der Gewerkschafter da mal bloß nicht täuscht: Zwei Volontäre, also zwei Redakteure in Ausbildung, so hört man es aus dem Verlag, hätten sich bereits nach dem Zustellerdienst erkundigt. Und selbst Chefredakteur Hendrik Groth lässt in seiner Stellungnahme wissen, er habe höchstpersönlich bereits überlegt, im Sommer mal mit einem Zusteller mitzulaufen, um ein Gefühl für die Leute zu bekommen.