Beginnen wir mit der guten Nachricht: Der Rhein lebt, ihm geht es sogar erstaunlich gut! Die weniger gute Nachricht heißt: Die Sanierung ist damit nicht abgeschlossen, sondern fängt erst jetzt richtig an! Aber der Reihe nach: Verglichen mit den 70er und 80er Jahren sank die Giftfracht im Rhein drastisch, mittlerweile fließen 92 Prozent aller industriellen und kommunalen Abwässer geklärt in den Fluss, wofür die Anrainer-Staaten Schweiz, Frankreich. Luxemburg, Deutschland und die Niederlande in den letzten 25 Jahren 50 Milliarden Euro ausgegeben haben. Ein Kraftakt, der sich im Fischbestand des Flusses widerspiegelt. Zählten die Biologen vor 25 Jahren nur 27 Fischarten, so stieg die Zahl bis heute auf 63 Arten.
Zum Beispiel unsere Galionsfigur, der Lachs. Hier werden ja mit Anstrengung der Behörden sowie Gruppen vor Ort Maßnahmen durchgeführt, um diese Art wieder heimisch zu machen. Es gibt aber auch andere Arten, die von selbst kommen, zum Beispiel eine Süßwasserheringsart, der Maifisch. Eine weitere ist die Finte, die kommen aber nur in geringer Stückzahl vor, die Finte findet man nur in Einzelexemplaren, beim Maifisch sieht es schon etwas besser aus.
Thomas Brenner ist Mitautor des Biologischen Rheinberichts 2000 und arbeitet als Fischreferent im Umwelt-Ministerium von Rheinland-Pfalz. Die häufigsten Fischarten im Oberrhein sind Döbel, Schneider und Aal. Im Mittelrhein beherrschen Rotaugen, Flussbarsche und Ukelei das Bild; Eine positive Bilanz, die allerdings nicht über die wenig günstige Artenzusammensetzung hinwegtäuschen darf. Brenner:
Mit der Artenzusammensetzung sieht es so aus, dass Generalisten vorkommen, die Weißfische und die Rotaugen, aber auch die Brassen. Die kommen in hohen Stückzahlen vor, weil sie keine hohen Anforderungen an die Umwelt stellen, aber nebenbei kommen Arten vor, die eine bessere Sauerstoffqualität benötigen, zum Beispiel die Barbe, das ist ein Grundfisch, und hier kann man sagen, dass die Barbe sehr gut vertreten ist.
Wirklich stabile Populationen anspruchsvoller Fischarten gibt es bisher nur in Ausnahmen, sie brauchen weit mehr als sauerstoffreiches und giftarmes Wasser: Zum Beispiel Tümpel und Teiche in Auen und Altarmen, um dort zu laichen. Die gibt es aber kaum noch: In den letzten 100 Jahren hat der Rhein 85 Prozent aller Auen verloren, eine dramatische Entwicklung, die nur mühsam rückgängig gemacht werden kann. Etwas besser sieht es aus mit der Schadstoff-Kontamination von Rheinfischen. Brenner:
Es gab mal erhebliche Probleme mit den Schwermetallen, die kann man aber vernachlässigen. Nach der Höchstmengenverordnung ist es so, dass die Fische nicht mehr so mit Schmermetallen beeinträchtigt sind, sodass sie konsumiert werden können. Wir haben aber noch Altlasten, das sind insbesondere die Chlorkohlenwasserstoff-Verbindungen HCB und PCB, und die hier insbesondere bei den Arten, die viel Fettgewebe haben, wie etwa der Aal. Dabei haben wir im Vergleich vor zehn Jahren einen deutlichen Rückgang feststellen können.
Bei dem Makrozoobenthos, wirbellosen Tieren wie Larven, Schnecken, Muscheln, Krebsen und anderen, lässt sich der positive Trend ebenfalls nachweisen. Mitte der 90er Jahre zählten die Biologen etwa 200 Arten, heute sind es schon über 300. Dazu Franz Schöll von der Bundesanstalt für Gewässerkunde Koblenz und ebenfalls Mitautor des Biologischen Rheinberichtes 2000:
Die Situation ist so, dass wir die Artenzahl von der Jahrhundertwende erreicht haben. Natürlich ist es so, dass viele ursprüngliche Rheinarten wiedergekommen sind, aber auch dass viele Arten neu sind im Rhein. Die stellen oft den größten Teil der Lebensgemeinschaft des Rheins.
Neozoen heißen diese nicht im Rhein heimischen Tiere. Würmer und Schnecken etwa, die aus dem Kaspischen Meer über Donau und Main-Donau-Kanal in den Rhein einwandern oder Schlickkrebse und Höckerflohkrebse. Bei den wirbellosen Tieren stellen sie mit 80 Prozent der Biomasse den größten Anteil. Wie sich Neozoen langfristig auf das Ökosystem auswirken, weiß niemand so genau, so Schöll:
Wenn ich jetzt einmal die Funktion des Ökosystems in den Vordergrund stelle, dann haben diese Neozoen eine durchaus vergleichbare Funktion wie die ursprünglichen Rheintiere, sie sind Räuber, aber sie sind auch gleichzeitig Fischnährtiere. Wenn ich es unter dem naturschutzfachlichen Aspekt betrachte, das heißt, ich will die ursprüngliche Biodiversität des Rheins erhalten, dann habe ich Probleme, weil diese Arten die anderen Rheinarten zurückdrängen.
Wirklich gefährlich sind Neozoen wahrscheinlich nicht, zumal beim Rhein schon seit Jahrhunderten immer wieder fremde Arten eingeschleppt wurden. Neu - und damit kommen wir zu den weniger guten Nachrichten - ist beim Rhein die dramatische Monotonisierung der Uferbereiche: Gleichförmige Böschung, gleich-große Steine, begradigte Flussabschnitte, keine Auen. Neu sind zudem die vielen Staustufen. Aus ökologischer Perspektive ist es zukünftig deshalb wichtig, so Thomas Brenner,
...dass man die Gewässerstrukturen verbessert, dass man bei den Gewässern die Durchwanderbarkeit ermöglicht, also, dass die Fische nicht vor irgendwelchen Wehren stehen, sondern dass sie die Möglichkeit haben, Kleinstgewässer aufzusuchen, um sich dort fortzupflanzen.
Und das wird sehr, sehr teuer! Immerhin haben die Mitglieder der Internationalen Rheinschutz-Kommission das Programm "Rhein 2020" beschlossen. Bis zum Jahre 2020 sollen etliche Milliarden Euro in den Aufbau eines stabilen Ökosystems fließen. Bleibt abzuwarten, ob dafür der politische Wille reicht - jetzt, nach den ersten guten Nachrichten über Europas ehemaliger Kloake.