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Dem Untergang geweiht

Dem Dorf Lateu auf der Südseeinsel Vanuatu im abgelegenen Tegua-Atoll steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Lateu ist vermutlich das erste Dorf in der Südsee, das wegen des Klimawandels umziehen muss.

Von Peter Böhm |
    Am Ufer des Tegua-Atolls. Überall liegen umgestürzte Kokospalmen, ihr Wurzelwerk vom Meerwasser umspült. Viele haben das Salzwasser nicht überlebt. Vor nicht allzu langer Zeit, sagt Dorfchef Reuben Seluin, habe das Ufer seiner Insel aber noch ganz anders ausgesehen:

    "In den 80er Jahren noch war das Wasser weit da draußen. Aber 1997, nachdem es ein Erdbeben auf der Nachbarinsel gegeben hat, ist das Salzwasser näher gekommen, und heutzutage wissen wir, dass das Wasser immer näher kommt. Jedes Jahr, jeden Monat eigentlich, bei Vollmond und Neumond, wenn die Flut besonders hoch ist, sehen wir, dass die See ein gutes Stück näher gekommen ist."

    Ein paar windschiefe Schilf-Hütten stehen direkt am Meer. 46 Einwohner einer einzigen Großfamilie wohnen hier. Am Fuß haben die Hütten alle Spuren von Schimmel. Wenn wie alle sechs Stunden die Flut kommt, spritzt die Gischt über den niedrigen Wall aus Korallenfindlingen, der Lateu vom Ozean trennt.

    Lateus Frauen waschen in einer kleinen Lache mit Süßwasser, die sich bei Ebbe am Ufer sammelt. Außer einem kleinen Regenwassertank war sie lange die einzige Quelle für Trinkwasser auf der Insel. Nun ist die Quelle jedoch nicht mehr wichtig, denn im neuen Dorf, 300 Meter weiter im Innern der Insel, wurden mit kanadischer Hilfe sechs Regenwassertanks aufgestellt.

    Titus Woilami, der Schwager des Dorfchefs, sitzt mit seiner Familie beim Essen vor ihrem Haus im neuen Dorf. Woilami sagt, er sei froh, dass er nicht mehr direkt am Meer leben muss:

    "Vor allem bei Neumond und Vollmond war Lateu immer bedroht. Dort ist fast immer starker Wind. Und wenn das Salzwasser ins Dorf läuft oder der Regen dort steht, dann hast du immer Angst, dass es ins Haus kommt. Oft kannst du dann nicht schlafen, weil du dir andauernd den Kopf zerbrichst, ob es nur wieder passiert."

    Dass der Pazifik einige Meter ins Land vordringt, kann man inzwischen an den Küsten vieler Südsee-Nationen beobachten. In einem von Australien finanzierten Projekt haben Wissenschaftler seit Ende 1992 in der Südsee einen jährlichen Anstieg des Meeresspiegels von 6 Millimetern gemessen, also 7,8 Zentimeter insgesamt.

    Ausgewaschene Palmenstrände allein, sagt der Ozeanologe Steve Koletti von der Universität von Süd-Kalifornien in Los Angeles, seien jedoch noch kein Beweis für Schäden, die auf den angestiegenen Meeresspiegel zurückzuführen sind. Dass sich die Strände nicht regenieren, allerdings schon:

    "In der Tat werden die Strände im allgemeinen während der Sturmsaison weggewaschen, aber in den Sommermonaten, wenn es keine Stürme gibt, vom Meer wieder aufgefüllt. Der Strand ist Teil eines dynamischen Systems. Er wird entweder abgebaut oder wieder aufgefüllt. Und das gilt für Seen ebenso wie Flüsse oder unsere Strände hier in Kalifornien."

    Trotz der vielen Unannehmlichkeiten, die das Leben auf einer so abgelegenen Insel mit sich bringt, sagt Dorfchef Seluin, hätten die Bewohner aber noch nie einen Gedanken dran verschwendet ihre Insel zu verlassen:

    "Wir lieben unsere Insel. Wir haben unsere Gärten, wir haben die Fische im Meer. Wir haben Krabben zum Essen, deshalb gefällt es uns hier, und da ist es auch egal, dass wir kein Boot haben und kein Radio, und dass wir nicht reisen können. Deshalb werden wir auf jeden Fall hier bleiben."