Archiv


Dem Zusammenbruch auf der Spur

Physik. - Hochtemperatur-Supraleiter leiten bei technisch erreichbaren Temperaturen um minus 200 Grad Strom ohne Verlust und waren daher seit ihrer Entdeckung vor 20 Jahren für äußerst effiziente Überlandleitungen oder Elektromotoren im Gespräch. Doch der Teufel lag im Detail, die Materialien erwiesen sich als ausgesprochen schwer beherrschbar. Jetzt hat ein Forscherteam entdeckt, warum die Supraleiter immer wieder ihre Leitfähigkeit einbüßen.

Von Björn Schwentker |
    Bei Supraleitung ist die Materie im Ausnahmezustand. Die Elektronen tun etwas, was sie eigentlich nicht dürften. Sie schließen sich zu Paaren zusammen. Und das, obwohl sie negativ geladen sind und sich normalerweise gegenseitig abstoßen. Gemeinsam mit Milliarden anderer solcher Paare bilden sie ein Kollektiv und bewegen sich wie abgesprochen ohne Widerstand durch den Supraleiter. Doch bei den Hochtemperatur-Supraleitern fließt dieser elektrische Strom leider nur fast ohne Widerstand, sagt Christian Joos von der Universität Göttingen.

    "Für die technische Anwendung dieser Supraleiter stellte sich heraus, dass die Höhe der Ströme, die verlustfrei fließen können, doch sehr enttäuschend ist, sehr klein ist, und man hat auch die Ursache geklärt, es waren die Korngrenzen."

    Diese Korngrenzen sind typisch für das Material der Hochtemperatur-Supraleiter. Die Keramiken sind Metall-Oxide, also Verbindungen von Metall mit Sauerstoff. Schaut man mit einem starken Elektronenmikroskop in die Keramik hinein, sieht man ihre Atome in regelmäßigen Abständen in Reih und Glied stehen. Das nennt man "Kristall-Gitter". Doch schön ordentlich ist das Gitter nur innerhalb kleiner Körnchen aus denen die Keramik zusammengebacken ist. Wo die Körner aneinander grenzen, ist die Atomanordnung zerstört. Solche Korngrenzen sind nur wenige Millimeter lang – doch das ist riesig im Vergleich zu den stromleitenden Elektronenpaaren. Joos:

    "Bei den Hochtemperatur-Supraleitern ist die Größe dieser Elektronenpaare praktisch so klein - das sind Millionstel von Millimetern - dass sie diese Störung im Kristall spüren und aufgebrochen werden, vor allem, wenn man einen Strom durchschicken will. "

    Doch sind die Elektronenpaare erst auseinander gebrochen, dann ist auch die Supraleitung weg. Seit Jahren suchen Forscher nach Methoden, das zu verhindern. Durch Ausprobieren fanden sie heraus: Die Stromleitung wird besser, wenn man an den Korngrenzen Calciumatome ins Material einfügt. Aber warum das funktioniert, darüber ließ sich bisher nur spekulieren. Joos:

    "Was jetzt eben der entscheidende Durchbruch ist, ist zu verstehen, warum Calcium die Stromtragfähigkeit durch eine Korngrenze verbessert. "

    Mit einem neuen magnetischen Verfahren ist es dem Physiker Christian Joos gelungen, den supraleitenden Strom direkt am Ort einer Korngrenze zu messen. Danach gab er sein Stück Supraleiter weiter an Kollegen im amerikanischen Brookhaven. Die beiden Messungen zeigten: An den Korngrenzen entstehen negativ geladene Zonen. Sie blockieren den Strom der ebenfalls negativ geladenen Elektronenpaare. Nur durch kleine Kanäle können sie noch durchfließen.

    "Wenn Sie Calcium drin haben, sieht man sofort, dass diese Raumladungszonen zusammenschnüren, die werden also sehr viel kleiner. Und die Kanäle für die Supraleitung öffnen sich sehr weit, es kann also sehr viel mehr supraleitender Strom durch diese Korngrenze durchfließen als ohne Calcium. "

    Schließlich schickten die Forscher ihr Stück Supraleiter weiter an ein Labor in Oakridge, und legten es unter eines der stärksten Elektronenmikroskope der Welt. Auf dessen Bildern ist jede Atomsorte im Keramik-Material einzeln zu erkennen. Genau dort an den Korngrenzen, wo das Bild aus Göttingen den Zusammenbruch des Stroms und das Bild aus Brookhaven eine große Isolatorzone zeigen, sieht man auf den Aufnahmen aus Oakridge: An diesen Stellen fehlen Sauerstoff-Atome, die an anderen Stellen des Metall-Oxids vorhanden sind. Es ist also Sauerstoff, der an den Korngrenzen der Keramik-Leiter die Supraleitung doch ermöglichen kann. Deshalb hilft auch Calcium. Es sorgt für den nötigen Sauerstoff an den Korngrenzen – obwohl mit dem Calcium selbst gar kein Sauerstoff eingefügt wird. Nun könne man weitere Stoffe finden, die das vielleicht sogar besser können, sagt Christian Jooss:

    "Zum Beispiel Silber, es gibt noch weiter Vorschläge was man sonst in die Korngrenzen als Zusatzstoffe einbringen kann, um vielleicht die Stromtragfähigkeit auch über Calcium hinaus noch weiter zu verbessern."

    Und spätestens dann, so der Göttinger Physiker, stehe der Nutzung von Supraleitern zumindest technisch nichts mehr im Wege.