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Demografisches Datendunkel

Mathematik. - Bislang war 82,2 Millionen eine gängige Zahl, ging es um die Bevölkerungsgröße in Deutschland. In letzter Zeit widersprechen Medien dieser amtlichen Angabe und nehmen etwa vier Millionen Deutsche weniger an. Doch der Weg zu objektiven Zahlen ist schwieriger als angenommen.

Von Björn Schwentker | 05.08.2008
    Dass ihre Bevölkerungszahlen um vier Millionen zu hoch seien, wollten die Wiesbadener Statistiker nicht auf sich sitzen lassen. Schnell gaben sie eine Pressemeldung heraus: "Nur" 1,3 Millionen Menschen würden zu viel gezählt. Das allerdings, so gibt man im Statistischen Bundesamt zu, sei nur eine grobe Überschlagsrechnung. Also: Wie viele Menschen sind es denn nun wirklich?

    "Niemand kann da eine genaue Zahl sagen. Wir haben im Moment keine guten Zahlen mehr. Das müssen wir auch öffentlich sagen: Es sind zwar die besten, die es gibt, aber die sind nicht gut."

    Eckart Elsner, ehemaliger Chef der Berliner Landesamts für Statistik, spricht aus, was eigentlich jeder Statistiker in Deutschland schon lange weiß: Die Schätzungen der Bevölkerungszahlen sind nicht erst jetzt so schlecht, sondern schon lange. Aus einem einfachen Grund:

    "Nach internationalen Gepflogenheiten, UN, soll alle zehn Jahre eine Volkszählung sein. Da haben wir uns schon lange nicht mehr dran gehalten, leider, wir hatten 1987 die letzte Volkszählung im Westen, 1981 in der DDR, mit der Zeit schleicht sich eben ein Fehler ein."

    Die amtliche Bevölkerungszahl entsteht durch "Fortschreibung": Das ist eigentlich simple Mathematik: Man nimmt den Bestand der letzten Volkszählung, für Westdeutschland also von 1987, addiert Geburten und Zuzüge, und subtrahiert Todesfälle und Wegzüge.

    "Diese Fortschreibung, die wird im Laufe der Zeit immer ungenauer. Das ist wie bei einem Betrieb, der ab und zu Inventur machen muss. Der hat an sich alle Bestände da, aber die Inventur zeigt dann doch, dass das, was man auf dem Papier hat, doch nicht in Wirklichkeit da ist."

    Das liegt nicht daran, dass falsch gerechnet wird. Die Zahlen selbst, die addiert oder subtrahiert werden sollen, sind falsch. Geburten und Zuzüge, Todesfälle und Wegzüge kommen aus den Einwohnermelderegistern der Städte und Gemeinden. Was dort drinsteht, hat mit der Realität manchmal nicht viel zu tun. Da gibt es zum Beispiel die so genannten "Dubletten", Menschen, die zweimal in den Registern stehen, obwohl es sie ja nur einmal gibt. Das kann passieren, wenn jemand umzieht: Die Abmeldung am alten Wohnort klappt nicht, oder wird vergessen, am neuen Ort meldet er sich aber an. Schon taucht er in zwei kommunalen Registern auf. 900 000 solcher Fälle fand das Statistische Bundesamt bei Tests im Jahr 2001. Das entspricht einer Stadt der Größe Kölns.

    "Da gibt es auch keine Möglichkeit, das zu korrigieren. Wir sind ja auch nicht die Stasi, die jeder Person einzeln hinterher schnüffelt. Und der zweite Fehler sind die Karteileichen. Also im Register sind Leute drin, die in Wirklichkeit gar nicht mehr existieren."

    Das sind Menschen, die entweder gestorben sind, ohne dass es jemand dem Amt sagte, oder Ausgewanderte. Häufig Ausländer, die zurück in ihr Heimatland gezogen sind, ohne sich abzumelden. Von solchen Karteileichen fand das Bundesamt sage und schreibe 2,3 Millionen. Allerdings kommt es auch vor, dass in den Amtsstuben einige Personen zu wenig gezählt werden. Insgesamt eine ziemlich unübersichtliche Sache. Zumindest einigermaßen genau wird man die Bevölkerungszahl deshalb erst 2011 wissen. Dann findet in Deutschland der nächste Zensus statt: Durch umfangreiche Proben werden die Fehler aus den Registermeldungen herausgerechnet. In der Summe kommt dann die richtige Einwohnerzahl heraus: Aber nur für 2011. Denn die Register bleiben weiterhin falsch. Den Bundesstatistikern ist nicht erlaubt, die entdeckten Fehler an die Ämter in den Kommunen zurück zu melden. Das verbieten die deutschen Datenschutzgesetze.

    "Man macht einen großen Aufwand, um gute Daten zu bekommen, aber die Register sind nicht bereinigt. Und beim nächsten Mal fängt der gleiche Tanz wieder von vorne an. Das ist auch nicht der wahre Jakob."