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Demokratie
Deutschlands Akademiker-Parlament

Während es früher noch viele Arbeiter und Angestellte im deutschen Parlament gab, sind heute mehr als 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten Akademiker. Ist das ein Problem? Ja, meinen einige. In Zeiten von Pegida und Politikverdrossenheit allerorten sei zu befürchten, dass das Parlament die Bodenhaftung verliert.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 15.10.2015
    Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages
    Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Doktor Merkel, Doktor Steinmeier, Doktor Schäuble: Der gelernte Maschinenschlosser Karl-Josef Laumann ist um eine Stellungnahme nicht verlegen:
    "Also, da ich ja nun diese Menschen, die Sie alle genannt haben, kenne, weiß ich, dass Menschen mit Doktortitel auch nur mit Wasser kochen."
    Bei Auslandsterminen ärgert sich Laumann zwar gelegentlich, dass es mit seinem Englisch etwas hapert, aber was zählt das schon gegen 24 stolze Jahre Parlamentserfahrung? 15 davon saß Laumann im Deutschen Bundestag, 1990 ging's los:
    "Wenn ich mich so an meine erste Wahlperiode erinnere, hatten wir auf jeden Fall im Bundestag noch wesentlich mehr Landwirte wie heute. Wir hatten damals auch noch Handwerksmeister im Deutschen Bundestag, und diese Berufsgruppen sind nahezu verschwunden."
    Da verrutscht schon mal ein Pronomen, oder wird eine Silbe weggenuschelt – aber was soll's. Sein letztes Landtagsmandat in Nordrhein-Westfalen hat Laumann mit haushohem Vorsprung gewonnen. In seiner Partei ist der Christdemokrat respektiert als jahrzehntelanger Arbeits- und Sozialexperte. Der Junge aus einfachen Verhältnissen hat sich hochgearbeitet, und dann...
    "... heißt das natürlich auch: ein paar Jahre härteste Arbeit. Denn wenn Sie ne ganz normale Schicht im Betrieb sind, und dann jeden Abend nach Feierabend ihre drei, vier, fünf Stunden Sitzungen danach haben, das ist ja auch dann nicht so einfach. Ich war zum Schluss so weit, dass ein Drittel meines Urlaubs für Parteitage draufging. Wenn Sie beim Staat arbeiten, werden Sie für die Teilnahme am Bundesparteitag bei den meisten Arbeitgebern freigestellt!"
    Typen wie ihn, Laumann, gibt es jedoch immer seltener in deutschen Parlamenten. Anders als Juristen und andere Freiberufler könnten sich Landwirte und Handwerker heute kaum noch profilieren, meint der 58-Jährige – allein schon, weil ihnen die Zeit fehlt. Bundestags-Präsident Norbert Lammert stellt das gerne anders dar, so auch in seiner letzten Eröffnungsrede am 22. Oktober 2013:
    "Ein Parlament ist eine ziemlich repräsentative Mischung von Herkunft, Alter, Berufen, Begabungen, Temperamenten, Erfahrungen, Stärken und Schwächen."
    "Manchmal hat man ja bei einigen Abgeordneten, die jüngeren Datums sind, so das Gefühl, sie haben alle die gleichen Anzüge, sie tragen die gleiche Aktentasche, und das Schlimmste ist: Wenn sie sich zu Wort melden, egal welches Parteibuch sie haben, sagen sie auch noch fast das Gleiche..."
    Manche Debatte schwer zu verdauen

    Karl-Josef Laumann spricht in Köln beim Parteitag der CDU bei der Bewerbungsrede für die weiteren Mitglieder des Präsidiums der CDU.
    Karl-Josef Laumann (CDU), Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für Pflege. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Zwischen 1945 und 2009 ist der Anteil der "Studierten", wie Karl-Josef Laumann sie nennt, von 45 auf 91 Prozent gestiegen im Deutschen Bundestag, so haben die Forscher vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ermittelt. Für Karl-Josef Laumann ist das vor allem eine Generationenfrage. Aber eben nicht nur. Auch die Parteicouleur spielt durchaus eine Rolle:
    "Insgesamt merkt man das den Grünen manchmal durchaus an, wenn dann so diskutiert wird."
    Am Klischee der gut verdienenden Lehrerpartei sei durchaus etwas dran, meint die Grünen-Abgeordnete Monika Lazar: Die Frau aus dem Osten ist gelernte Bäckerin: Das gibt es selbst bei den Grünen nicht so häufig. Zwar hat Lazar außerdem noch ein Studium absolviert. Aber trotzdem findet sie manche Debatte in ihrer Fraktion nur schwer zu verdauen.
    "Wo ich denke, man muss jetzt aufpassen, dass man nicht irgendwie in so einem elitären Dunstkreis sich bewegt, dass nur noch wirklich Hochgebildete oder Fachleute dieser Debatte folgen können."
    Zwar betonen Lazar wie auch Laumann immer wieder, wie viel talentiertes Knowhow im Bundestag versammelt sei, aber ein gewisses Unbehagen ist spürbar. In Zeiten von Pegida und wachsender Politikverdrossenheit erst recht.
    "Das Problem ist bloß, dass die Lösung noch keiner so richtig gefunden hat. Ich glaube, es ist nicht die Lösung, dass man jetzt im Supermarkt jetzt Wahlkabinen aufstellt, sondern wir, die in der Politik tätig sind, wir müssen uns wirklich an die eigene Nase fassen und müssen versuchen, die Probleme der Bürgerinnen und Bürger zu lösen."
    "Und da sag ich auch mal ganz offen an meine eigene Partei..."
    ..., die CDU: ...
    "Wenn sie eine Liste für den Kreistag machen, und es fehlt Wirtschaftskompetenz, dann kümmert man sich. Wenn es um die Frage geht, ob Sozialkompetenz fehlt, guckt man gerne drüber weg."
    Für die Sozialkompetenz haben sie in der SPD-Bundestagsfraktion Josip Juratovic:
    "Ich bin der einzige Fließbandarbeiter im Deutschen Bundestag."
    Und darauf ist der gebürtige Kroate mächtig stolz, Migranten gebe es inzwischen viele im Bundestag, aber echte Malocher?! Sieben Jahre hat Juratovic bei einem deutschen Autokonzern gearbeitet, nach Hauptschulabschluss und Kfz-Lehre. Das hat neulich sogar den Botschafter eines äußerst klassenbewussten Landes beeindruckt:
    "Und der kam auf mich zu und sagte: Juratovic, Sie sind ein Phänomen!"
    Seit 2005 sitzt der 56-Jährige für den Wahlkreis Heilbronn im Bundestag, er ist Mitglied im renommierten Auswärtigen Ausschuss. Niemand im Bundestag habe ihn jemals spüren lassen, dass er aus kleinen Verhältnissen stammt, sagt Juratovic. Aber er selbst kenne seine Handicaps am besten:
    "Man ist nicht gewohnt, seitenlange Texte zu lesen in einer Sprache, die sicherlich nicht eine gewöhnliche Sprache im Alltag eines arbeitenden Menschen ist. Man ist in einer Welt, die eigentlich nicht die ist, aus der man kommt."
    Karl-Josef Laumann stört das nicht. 2017 gibt es vielleicht wieder einen gelernten Schlosser mehr im Deutschen Bundestag:
    "Wollen wir mal dran arbeiten!"