Archiv


Demokratie digital: Esslingen votiert elektronisch

Nicht nur große Konzerne, sondern auch die öffentliche Hand sucht ihr Heil in Datenverarbeitung und Internet, wenn Rationalisierungspotenziale ausgeschöpft werden sollen. So könnten durch die elektronische Verwaltung Milliardensummen eingespart werden. Doch nicht nur die Verwaltung staubiger Aktendeckel soll digital beflügelt werden, sondern auch der traditionell aufwändige Urnengang der Bürger schlank und effizient via Datennetz stattfinden. Im baden-württembergischen Esslingen wurde jetzt zum ersten Mal per Internet auf kommunaler Ebene gewählt. Doch was als Durchbruch in der E-Demokratie gefeiert wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein minimaler technischer Fortschritt.

Klaus Herbst | 14.07.2001
    Zum dritten mal wählte die württembergische Kreisstadt Esslingen ihren Jugendgemeinderat. Das Besondere dabei: Die Jugendlichen konnten ihre Stimme online abgeben. Oberbürgermeister Jürgen Zieger zieht Bilanz: "Es war ein absoluter Erfolg, denn das Verfahren wurde technisch einwandfrei abgewickelt. Die Ergebnisse stellten sich korrekt ein und auch die Ansprüche der Datenschützer wurden befriedigt." Allerdings wirkt die erste papierlose Wahl nur auf den ersten Blick als uneingeschränkt gelungen: Denn nur rund 300 der 5000 Wahlberechtigten gaben überhaupt ihr Votum ab. Fast gegen Null streben die Zahlen, wenn man berücksichtigt, wie viele Chipkarten mit der unerlässlichen digitalen Signatur zuerst erwartet, dann bestellt und schließlich tatsächlich ausgeliefert wurden. "Insgesamt 100 Anträge auf Wahlchipkarten gingen bei uns ein, und nur 35 Karten wurden letztlich ausgegeben", räumt Zieger ein. Dies sei jedoch eher ein Problem der knapp bemessenen Vorlaufzeit sowie der verwaltungstechnischen Abwicklung durch den Aussteller, die Deutsche Post/Signtrust.

    Nur sehr wenige Wähler waren also eindeutig und sicher elektronisch identifizierbar und konnten via Internet wählen. Der überwiegende Teil der Wähler musste schließlich doch den Gang ins Wahllokal antreten. Dort verrichteten Wahlmaschinen ihren Dienst und wahrten so den Eindruck von Virtualität. Damit scheint die als Esslinger Durchbruch der E-Demokratie gefeierte Wahl letztlich in technischen Anfängen stecken geblieben zu sein. Dabei waren die Vorbereitungen durchaus professionell vom Leverkusener Software- und Beratungshaus IVL durchgeführt worden: "Wir setzen auf drei zentrale Sicherheitskomponenten. Zunächst gewährleistet eine digitale Signatur die Authentizität des Bürgers. Eine Kommunikations-Middleware sorgt für die nötige Robustheit des Systems und schützt vor Attacken. Überdies werden die Stimmen in einer Urne gespeichert, die sicher vor unberechtigtem Zugriff verwahrt wird", erläutert Harms Becker, Leiter der Internet-Entwicklung bei IVL. Den Mittelpunkt der elektronischen Wahl bildet der so genannte Psephor, eine redundante Wahl-Urne, in der die Stimmen aus Sicherheitsgründen in mehreren Tabellen gespeichert werden.

    Friedrich Gackenholz vom Innenministerium Baden-Württembergs meldet allerdings verfassungsrechtliche Bedenken an. Die Grundsätze der geheimen und der Allgemeinheit der Wahl müssten streng eingehalten und sicherheitstechnisch umgesetzt werden: "Ist dies nicht gewährleistet, dann wird es auch künftig größte Schwierigkeiten bei der digitalen Wahl geben. Käme es zu einer Wahlanfechtung, dann wäre das ein ganz wesentlicher Rückschlag, der das Verfahren um Jahre zurückwerfen würde." Bis zur Bundestagswahl im Jahr 2006 soll die elektronische Wahl zusätzlich angeboten werden. Dabei könnte es sich im schlimmsten Fall zu einer Krise nach US-amerikanischem Vorbild auswachsen, wenn dann Wahl-Programme abstürzten und die Wahl daraufhin angefochten würde.