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Demokratie im Zeitalter der Globalisierung

Es ist fraglich, ob es sie überhaupt gibt: die Globalisierung, verstanden als Märkte jenseits der nationalen Kontrolle. Das Anwachsen täglicher Kapitalströme beweist zum Beispiel nicht die Globatisierung, sondern bloß das Anwachsen von Spekulation. Was es jedoch tatsächlich gibt, ist eine Globalisierungsdiskussion. Dabei geht es um Fragen wie: Übernehmen die Märkte nunmehr die Politik? Übemehmen sie die Gesetzgebung? Werden tatsächlich die heute armen Länder weniger arm sein? Wie lässt sich die Globalisierung der Märkte von einer Globalisierung organisierter Kriminalität unterscheiden? Aber auch die Sozial-, Rechts- und Staatsphilosophie erhält neue Impulse: Bietet die wirtschaftliche Globatisierung erstmalig auch Chancen für eine Preisgebe des Nationalstaates? Kann und sollte das Ziel nicht nur eine Transnationalisierung der Märkte, sondern auch der Politik bilden? Löst die Chance eines Weltstaates die Staatenwelt ab?

Bernhard Taurek |
    Das Buch des bekannten, in Tübingen lehrenden Philosophen Otfried Höffe beantwortet diese Fragen positiv. Es kann und soll nunmehr auch Institutionen geben, die die bisherigen Nationaistaaten ersetzen. Am Ende hat eine föderale Weltrepublik zu stehen. Höffe macht sich die Argumentation nicht leicht, sondern setzt so grundsätzlich als möglich an. In dem ersten und längsten Teil seines Buches geht es um nichts geringeres als um eine an Imanuel Kant erinnernde Grundlegung menschlichen Gemeinwesens. Dabei wird eine ursprüngliche Gerechtigkeit, eine "Proto-Gerechtigkeit", beansprucht. Alle zurechnungsfähigen Wesen sollen, so Höffe, "sich selbst und ihresgleichen als Rechtsgenossen anerkennen." Sieben weitere Gerechtigkeitsprinzipien folgen, darunter das Recht auf Differenz und schließlich das Subsidaritätsprinzip, wonach gilt: Staatliche Kompetenzen haben der Hilfsbedürftigkeit der Individuen zu dienen.

    Zu den Vorzügen des Buches gehört ein gut geschriebener Überblick über die Themen und Kontroversen heutiger Sozialphilosophie. Das Thema und die Probleme der Globalisierung kommen dagegen erst am Ende zur Sprache. Man vermisst dabei ein wenig die Spannung zwischen Verfassungskonstruktion und Politik. Das von Höffe umkreiste Thema betrifft ja nicht nur die Verfassung des Weltstaates, sondern auch die Möglichkeiten einer globalen politischen Aktivität. Eine Weitverfassung läßt sich sicherlich entwerfen. Unser gesamtes Wissen über Vor- und Nachteile staatlicher Strukturen müsste in die Beschreibung einer Weltrepublik eingehen. Was jedoch niemand vorwegzunehmen schafft, ist der politische Gebrauch, der von den Strukturen gemacht werden kann- Gleichwohl ist das Interessante jedes politischen Großentwurfs die Mischung aus Strukturbeschreibung und vorwegnehmendem Test auf die Belastbarkeit des Entworfenen. Diesen Test versucht Höffe unter anderem dadurch zu leisten, dass er einen Weg zwischen den Kommunitariern und den Globalisten ansteuert. Die Kommunitarier halten einseitig an bestehenden Gemeinschaften fest. Die Globalisten dagegen wollen alle kulturellen Unterschiede in einen homogenen Gesamtstaat einschmelzen. Höffers Weltrepublik sucht hier eine Synthese: Bestehende Gemeinschaften sollen erhalten bleiben und nunnnehr zugleich einem Weltstaat angehören.

    Hoffes Argurnentationsform bedient sich der Analogie und der Entkräftigung von Gegenargurnenten. Die Analogie soll die Notwendigkeit einer Weltrepublik dadurch begründen, dass der universalistische Gerechtigkeitsanspruch der bestehenden Demokratien nach einer Erweiterung im Weltmaßstab verlangt. Die Entkräftung von Gegenargumenten läuft unter anderem darauf hinaus, dass die Weltrepublik auch ethisch gesehen als möglich und wünschbar erscheint. Egoismus und Aggressivität der Menschen, so sieht es der Verfasser, könnten in einem Weltstaat in den Geist des Wettbewerbs unigeschtnolzen werden. Weise behielte die Weittepublik Leben und Kreativität.

    Am Ende des Buches nennt Höffe die angestrebte Weltrepublik ausdrücklich eine Utopie", zu der wir verpflichtet und "schon ein wenig unterwegs" seien. In diesem Kontext hätte man sich jedoch eine Abgrenzung gegenüber einem globalen Zugriff gewünscht, zu dem wir in der Tat schon unterwegs sind, nämlich der idealistischen Wende der US-arnerikanischen Außenpolitik. Die Amerikaner beanspruchen nicht mehr primär nationales Interesse und setzen auf demokratische und ökonomische statt auf militärische Konfliktlösung. Dies verbinden sie mit einem politischen, sozialen und kulturellen globalen Hegemonieanspruch. Sie halten ihre Kompetenz für universal gültig und bestreiten die Notwendigkeit von supranationalen lnstitutionen zur Regelung des Völkerrechts und der Globalökologie.

    Eine damit nicht übereinstimmende philosophisch konzipierte Weltstaat-UtOpie hätte zu begründen, warum sie von dem Anspruch der US-Hegemonie abweicht. Höffe meidet hier alle Bezüge. Es entsteht der Eindruck, er wolle nicht von dem derzeitigen globalpolitischen Bebauungsplan abweichen, sondern er weiche ihm aus.