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Demokratie in der Krise - Krise der Demokratie?

Eine Richtung der Politologie meint, mit der Demokratie gehe es bergab, weil die Volksparteien massiv an Mitgliedern verlören. Die empirische Demokratieforschung lässt das nicht gelten und führt an, dass Nichtregierungsorganisationen anstelle der Parteien treten. An der Universität Potsdam begann heute die große Konferenz der Europäischen Politologenvereinigung. 2500 Experten aus allen Teilen der Welt werden bis Samstagabend die großen Fragen der Politikwissenschaften diskutieren, vom Zusammenbruch des Kommunismus bis zur Krise des Kapitalismus.

Von Bettina Mittelstraß |
    "Das ist ein sehr breites Programm. Es sind zum Teil Dauerbrenner der Politikwissenschaft, zum Beispiel Wahlverhalten, Parteiensystemforschung, Vergleich verschiedener politischer Organisationsformen, dann natürlich aber auch Themen, die uns auf den Nägeln brennen: die politischen Folgen der Finanzmarktkrise. Was folgt daraus? Nicht nur für die nächste Wahl, sondern zum Beispiel für unsere Sozialsysteme in den nächsten zehn oder 20 Jahren? Die Frage der Regulierung des Verhältnisses zwischen Staat und Markt. Das sind Themen, die für die Politikwissenschaft natürlich zentral sind, und die auch für die Bürger von großem Interesse sind."

    Klaus Goetz, Professor für Politik und Regieren in Deutschland und Europa an der Universität Potsdam und Organisator der politikwissenschaftlichen Fachkonferenz.

    Rutscht mit der Finanzkrise auch die Demokratie in die Krise? Gleich am heutigen Donnerstag sah der Veranstaltungskalender dazu die erste große Debatte am "Runden Tisch" vor - unter der Leitung von Wolfgang Merkel, Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität:

    "Es geht um Krise oder Finanzkrise auch aber weit drüber hinaus. Im Grunde wollen wir eine Frage untersuchen und insbesondere debattieren: Stimmt es eigentlich, was Medien behaupten, was viele Demokratietheoretiker postulieren, dass es einen kontinuierlichen Abstieg der Qualität der Demokratie gibt?"

    Innerhalb der Disziplin gibt es dazu völlig unterschiedliche Positionen, sagt Wolfgang Merkel. Die politische Theorie sagt: Es geht bergab und argumentiert unter anderem mit der Globalisierung:
    "Globale multinationale Firmen diktieren zum Teil die Steuer- und Finanzpolitik den Regierungen, also wichtige politische Materien sind aus der Gestaltungskraft der Regierungen ausgewandert. Das ist das eine. Das Zweite sagt: Parteien verlieren permanent an Mitgliedern. Die Volksparteien erodieren. Das sogenannte Sozialkapital, das ist vor allem das Vertrauen der Bürger untereinander, wird weniger. Es gibt also sozusagen Schwundstufen der Demokratie, die wir heute besichtigen können."

    Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt die empirische Demokratieforschung, die auf der Grundlage von differenzierten Umfragen und Wahlstatistiken behauptet: Es gibt keinen Trend nach unten, keinen Niedergang der Demokratie. Die Erosion von Volksparteien sei ein zu einfaches Argument:

    "Es ist richtig, dass Volksparteinen an Mitgliedern massiv verlieren, aber dafür haben wir all diese Nichtregierungsorganisationen, diese NGOs, diese Amnestie Internationals, diese Umweltverbände. Es hat sich etwas geändert in der Art und Weise, wie Bürgerinnen und Bürger partizipieren an der Politik, nicht mehr lebenslang durch eine Parteimitgliedschaft, sondern vorübergehend, sehr stark auf ein Problem hin fixiert, Umwelt, AKWs, Politische Gefangene, Korruption usw. und steigen dann wieder aus. Also es ist wie die gesamte Gesellschaft doch etwas fluktuierender und heterogener geworden."

    Dennoch ist die Krise der Finanzwirtschaft eine nicht von der Hand zu weisende Herausforderung für Demokratien:

    "Das eigentlich Interessante ist gegenwärtig zu beobachten: Schaffen es die Politiker der maßgeblichen Wirtschaftsnationen, eine Re-Regulierung soweit zu gestalten, dass nicht einzelne große Investmentbanker oder aber auch Banken, die sich in dieses regulationsfreie Geschäft begeben, die Volkswirtschaften der gesamten industrialisierten Welt an den Rand des Ruins bringen. Also das ist eine genuin auch demokratische Aufgabe, meine ich, dass die Märkte nicht gegen das Gemeinwohl in dieser Art und Weise agieren können. Und die Demokratie und die Glaubwürdigkeit der Demokratie wird sich in den kommenden Jahren daran messen lassen, ob sie gelernt hat aus dieser Krise, ob sie tatsächlich wieder gestaltet, was sie in den 90er-Jahren und auch nach 2000 weitgehend vergessen hat. Also es könnte ein demokratischer Moment sein, aber es wird nicht einfach sein, weil die unterschiedlichen Länder auch unterschiedliche Interessen haben."

    Die Demokratie könnte auch von den Neuen Medien profitieren: Internet und Politik ist ein Thema, das im letzten amerikanischen Wahlkampf Bedeutung gewonnen hat, und daher beschäftigt es selbstverständlich auch die 5. Generalkonferenz der Europäischen Politologenvereinigung ECPR, sagt Klaus Goetz:

    "Das ist ein ganz wichtiges Thema, weil es zunächst einmal darum geht: Formen der Kommunikation zwischen denen, die Macht haben oder Macht erwerben wollen, also Politikern, und denen, die in Demokratien diese Macht verleihen, letztendlich nämlich den Bürgern. Also zunächst eine Frage der politischen Kommunikation: Wie wird kommuniziert? Und zwar nicht nur vom Politiker zum Bürger, sondern: Was bedeutet das Internet an neuen Partizipationsmöglichkeiten für Bürger? - Über Befragungen, über Blogs und über viele andere Arten, wie Bürger mit der Politik in einen anderen Austausch treten können über das Internet. Die Selbstorganisationsfähigkeit der Bürger über das Internet ist drastisch gestiegen, und deshalb muss die Politik eben auch zunehmend damit umgehen, dass Bürger sich leichter organisieren können über das Internet, ihre Meinung leichter, wir nennen das in der Politikwissenschaft "aggrigieren" können, zusammenführen können, und damit auch auf gewählte Politiker Druck ausüben können."

    Die Hürden für Bürger, sich zusammenzuschließen und Meinungen auszutauschen fallen, wie es aussieht, durch das Internet. Die Möglichkeit, diese Meinungen über internationale Grenzen hinweg an die Politik weiterzugeben und Forderungen zu stellen scheint in den westlichen Demokratien zunehmend genutzt zu werden. Politisches Desinteresse als Folge einer komplexer und unübersichtlicher gewordenen Welt ist das jedenfalls nicht:
    "Wir haben also aus Umfragen überhaupt keine Hinweise darauf, dass Bürger heute weniger politisch gebildet wären im Sinne des Bescheidwissens über wichtige politische Tatbestände, als das vor 30 Jahren der Fall gewesen wäre, eher im Gegenteil."