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Demokratie oder Autokratie

Gut sechs Wochen nach der Parlamentswahl in der Ukraine steht in Kiew die Regierungsbildung auf dem Programm. Dafür tritt der Oberste Rat zusammen – auf Ukrainisch: Werchowna Rada. Nach dem erklärten Sieg der Regierungspartei von Viktor Janukowitsch hatte es zahlreiche internationale Proteste gegeben.

Von Sabine Adler | 12.12.2012
    Der König ist tot, es lebe der König, könnte heute vielleicht so mancher in der Werchowna Rada denken. Wenn sich heute das ukrainische Parlament erstmals nach der Wahl versammelt, dann wird ein Abgeordneter womöglich ausscheren: der frühere Ministerpräsident. Mykola Asarow war als Premier der alten Regierung wegen seines gewonnenen Abgeordnetenmandates vorige Woche zurückgetreten, doch Präsident Janukowitsch hat ihn kurz danach wieder für das Amt nominiert.

    Nicht, weil der Regierungschef so unersetzlich wäre, sondern weil Asarow ein Freund ist, dem er das ungeliebte Amt noch am ehesten zumuten kann. Es ist immer der Kabinettschef, der mit der schlechten Wirtschaftslage des Landes zuerst in Verbindung gebracht wird, deshalb dürfte Asarow an seiner Rolle weiter als Sündenbock nur wenig Freude haben.

    Seitdem das Bruttosozialprodukt 2009 um 14 Prozent sank, erholte es sich nur sehr langsam wieder, für das kommende Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent vorausgesagt. Zur Krise machte Kiew der hohe Preis für russisches Erdgas zusätzlich zu schaffen, nur Moldawien zahlt in Europa mehr als die Ukraine. Bei aller Härte macht der Ökonom Igor Bulakow eine positive Nebenwirkung aus.

    "Die hohen Preise haben die wahre Nachfrage nach Energie zum Vorschein gebracht. Auf der einen Seite war das ein Schock, vor allem politisch, auf der anderen Seite erhöhte sich dadurch die Energieeffizienz."

    Erst in der vorigen Woche wurde die Ukraine von der Rating-Agentur Moodies auf Junk-Niveau herabgestuft, die Regierung wird es schwerer haben, sich Geld zu leihen. Für die Partei der Regionen von Präsident Viktor Janukowitsch dürfte der Weg in die neue Legislaturperiode steinig werden. Wenn sich die Kommunisten auch heute weiter der Koalition mit der Regierungspartei verweigern, muss Janukowitsch die unabhängigen Kandidaten auf seine Seite ziehen. Das ist mühsam, aber keineswegs unmöglich, zumal wenn - wie es in der Ukraine nicht selten geschieht - mit Geld nachgeholfen wird. Die Politologin Irina Bekeschkina macht sich keine Illusionen.

    "Die Ukraine befindet sich einmal mehr am Scheideweg: Demokratie oder Autokratie, Ost oder West. Bildung einer Mehrheitsfraktion durch Druck und Bestechung, Druck auf Opposition und ihre Führer, Beschränkungen der Menschenrechte und Freiheiten, selektive Rechtsprechung, Aufbau eines russischen Modells gelenkter Demokratie, Korruption und Ende des Widerstands gegen die Zollunion mit Russland, Beitritt zur Zollunion. Ergebnis: Bei den Präsidentschaftswahlen 2015 wird Janukowitsch Gewinner unfairer Wahlen."

    So zeichnet die Politologin das Szenario. Die Tochter der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko glaubt nicht, dass Janukowitsch auf internationale Kooperation aus ist.

    "Viele in der Ukraine glauben, dass die wirkliche Strategie von Präsident Janukowitsch weder eine Integration in die Zollunion mit Russland noch in die EU vorsieht. Er erlaubt es nicht, dass auch nur ein kleiner Teil seiner Macht auf eine supranationale Struktur übergeht oder auf irgendein internationales Bündnis welches auch immer. Er hält die Ukraine für sein Privateigentum und das ist wahr."

    Fast 50 Prozent der Wählerstimmen haben die Oppositionskräfte auf sich vereinen können und damit gezeigt, dass ein Kandidat, auf denen sie sich verständigen können, eine reelle Chance bei der Präsidentschaftswahl 2015 hätte. Dass Julia Timoschenko bis dahin freikommt, glauben viele politische Experten und Beobachter nicht, trotzdem hat die Vaterlandspartei unter dem Vorstand von Arseni Jazenjuk Julia Timoschenko als Herausforderin des amtierenden Präsidenten nominiert und damit indirekt Box-Weltmeister Vitali Klitschko bedeutet, auf eine eigene Kandidatur zu verzichten.

    Jewgenia Timoschenko appellierte in Warschau unmittelbar vor der Formierung des neuen Parlaments an den Westen, die Entwicklung eines autokratischen Regimes in der Ukraine zu verhindern.