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Demokratie und Folter absolut unverträglich

Schillmöller: "Was Diktatoren leicht fällt, Demokratien aber zerrütten kann, ist der Einsatz aller Maßnahmen gegen ihre Feinde", so schrieb die Süddeutsche Zeitung jüngst und bezog sich dabei auf ein Thema, dass seit Wochen für hitzige Debatten sorgt. Es geht um das Foltern. Im Irak tauchen fast täglich neue grauenerregende Bilder und Details auf und in Deutschland hat die Anklageerhebung gegen den Frankfurter Polizeivizepräsidenten Daschner ihren Teil dazu beigetragen, dass sich viele Kommentatoren mit dem Verhältnis des deutschen Rechtsstaates zum Thema Folter befassen. Daschner hatte im Oktober 2002 dem Entführer des Bankierssohnes Jakob von Metzler Schmerzen androhen lassen, um den Aufenthaltsort des Opfers herauszufinden. Viele Fragen drängen sich auf. Einige davon klingen durchaus auch zynisch. Gibt es so etwas wie "ein bisschen Folter"? Gibt es so etwas wie eine demokratisch legitimierte Misshandlung, sozusagen, für einen guten Zweck zum Schutz der Opfer? Ist Folter in einer Demokratie überhaupt denkbar und rechtlich vertretbar? Darüber möchte ich sprechen mit Heiner Bielfeld. Er ist der Direktor des deutschen Institutes für Menschenrechte in Berlin. Herr Bielefeld, sind Demokratie und Folter absolut unverträglich?

    Bielefeld: Diese Frage kann man nur mit einem ganz klaren "Ja" beantworten. Der Grund liegt darin, dass eine Demokratie sich ja zu den Menschenrechten bekennen muss. Demokratie und Menschenrechte gehören unveräußerlich, untrennbar zusammen. Die entsprechenden internationalen Menschenrechtsverträge, auch die europäische Menschenrechtskonvention des Europarates, sagen, dass Foltern niemals sein darf, auch in Notfällen nicht sein darf, selbst im Krieg und Krisensituationen unbedingt verboten ist. Das sind klipp und klare Vorgaben des Völkerrechtes und ein Staat, der sich an das Recht bindet, an Menschenrechte bindet, das ist ja der Kern der Demokratie, kann Folter deshalb unter keinen Umständen zulassen.

    Schillmöller: Dann darf ich aus Ihrer Erregung auch entnehmen, dass Sie in der Tat besorgt sind über die aktuelle Debatte?

    Bielefeld: Ja, das kann man so sagen. Es ist schon beinahe gespenstisch, wenn man einerseits erlebt, die Empörung, mit der die Öffentlichkeit auf die Bilder im Irak reagiert und andererseits erlebt, dass hier eine Debatte darüber stattfindet, ob die Polizei nicht doch unter Umständen mal foltern dürfe, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun, als könnte es dann eine Form der rechtsstaatlich domestizierten, sauberen Folter geben, die nicht genau das produziert, das zum Ergebnis hat, was wir an den schrecklichen Bildern aus dem Irak derzeit täglich sehen.

    Schillmöller: Ich spiele mal den Anwalt des Teufels: Oskar Lafontaine hat gesagt, in bestimmten Fällen sei so etwas O.K.. Der Herr Daschner, der Polizeivizepräsident, den zu verurteilen, das wäre eine Katastrophe für den Rechtsstaat, er habe doch nur nach elementarsten, sittlichen Geboten gehandelt.

    Bielefeld: Das sehe ich ganz anders, und zwar deshalb, weil das Folterverbot unbedingt gilt, sind natürlich insbesondere Polizisten und Polizisten in leitender Funktion daran in jedem Fall gebunden. Man kann sich allenfalls vorstellen, dass wenn eine Situation eines äußersten, eines geradezu tragischen Dilemmas vorliegt, der Staat dann darauf verzichtet, einen Polizisten oder Polizeioffizier zu bestrafen. Das ist theoretisch denkbar. Aber in jedem Fall muss jemand wissen, der Folter anordnet, Folter produziert, dass er anschließend vor ein Gericht gestellt wird, in dem dann die Situation aufgearbeitet wird, geprüft wird, ob denn wirklich eine absolut ausweglose Situation vorgelegen hat. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass der Staat durch voreilige Signale, dass dann nicht bestraft wird, augenzwinkernd die Folter dann doch, sozusagen, billigt.

    Schillmöller: Ich spekuliere jetzt einmal. Das ist in meinem Beruf zwar eher unseriös, aber Niklas Luhmann hat das auch mal getan, der Systemtheoretiker mit einem Paradebeispiel, stellen wir uns vor, die deutschen Behörden stellen eine Terroristen, der etwas über einen bevorstehenden Anschlag in der Bundesrepublik weiß. Was tun?

    Bielefeld: Ja nun, dann wird man natürlich ihn vernehmen müssen. Aber wenn der Staat sich im Vorfeld darauf einstellt, Folter für bestimmte Fälle für möglich zu halten, wenn er vielleicht auch Folterspezialisten ausbildet, wenn er Eingriffsbefugnisse schafft, in denen dann Folter sein soll, dann gibt er sich als Rechtsstaat auf. Man muss sich auch eines klar machen: Wenn man solche Eingriffsbefugnisse schafft, wenn man die Tür einen Spalt weit öffnet, dass dann nachher eine ganze Menge geschehen wird, was man vielleicht vorher gar nicht gedacht hat. Man kann das übrigens auch in der Literatur feststellen. Es gibt ja einzelne Personen in Deutschland, einzelne Personen auch aus der juristischen und rechtswissenschaftlichen Profession, die dafür eintreten, Folter für bestimmte Grenzfälle möglich zu machen. Sie enden immer dabei, nicht nur einzelne Fälle für möglich zu halten, sondern ganze Zonen der Rechtlosigkeit zu öffnen. Das kann man sehr deutlich sehen. Ein Rechtsstaat darf sich prinzipiell darauf nicht einlassen, sonst ist er verloren. Er ist in seinem Kern, in seiner Seele gleichsam beschädigt, wenn er sich darauf wirklich einstellt.

    Schillmöller: Also das Argument Opferschutz vor Täterschutz zählt nicht?

    Bielefeld: Zunächst mal gilt, dass jemand, der von der Polizei gegriffen ist, nicht einfach ein Täter ist, sondern ein Beschuldigter. Ein elementares Rechtsstaatsprinzip ist die Unschuldsvermutung. Die Art und Weise, wie manchmal Opferschutz gegen Täterschutz ausgespielt wird ist dann auch schon rechtsstaatlich sehr bedenklich. Es gibt, sozusagen, selbst wenn man sicher davon ausgehen würde, jemand ist ein Terrorist, eine absolute Grenze staatlicher Eingriffmöglichkeiten, die in jedem Falle einzuhalten ist. Ich sage es noch einmal: Das ist auch in den internationalen Menschenrechtsverträgen so festgelegt. Ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland fühlt sich ja auch dazu verpflichtet, die internationalen Menschenrechtsstandards hochzuhalten, um auch ein Beispiel zu geben. Deshalb muss hier diese Grenze klipp und klar festgelegt sein. Da darf man nicht dran wackeln.

    Schillmöller: Was steckt hinter dieser Debatte? Woher kommt es, dass in Zeitungen wie der FAZ plötzlich von einem "Für" der Folter die Rede ist? Welche Rolle spielt der Begriff Sicherheit in dieser Debatte?

    Bielefeld: Sie legen mit der Frage schon nahe, dass es ganz wesentlich damit zu tun hat, dass wir uns natürlich neuen Bedrohungen gegenüber sehen. Die sicherheitspolitische Debatte ist ja eine ganz notwendige, eine unvermeidliche Debatte. Man muss aber aufpassen, dass man hier nicht Sicherheit gegen Freiheitsrechte, gegen Menschenrechte ausspielt, und auch nicht zu sagen, wir müssen eine Balance finden zwischen Sicherheit und Freiheit, sondern es gibt bestimmte Freiheitsrechte, Menschenrechte, die sind unveräußerlich. Das Folterverbot ist der Kern dieser unveräußerlichen Rechte und gilt absolut. Übrigens zitiere ich in diesem Zusammenhang auch gerne einen Amerikaner, nämlich einen Amerikaner der ersten Stunde, Benjamin Franklin, der gesagt hat "Wer Sicherheit und Freiheit gegen einander ausspielt, der wird am Schluss beides verlieren, nicht nur die Freiheit, auch die Sicherheit". Das können wir im Irak derzeit sehr klar beobachten. Wer in dieser Weise mit den Freiheitsrechten von Menschen umgeht, der verliert seine Autorität als Rechtsstaat und wird damit letzen Endes auch die Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr wirksam durchführen können. Wer insofern meint Freiheit hinten anstellten zu können, der stört letztlich die Vorraussetzungen einer vernünftigen, einer klugen, einer rechtsstaatlichen Sicherheitspolitik.

    Schillmöller: Wie wird denn dieses Thema im Ausland diskutiert. Gibt es Beispiele, auf die Sie zugreifen können?

    Bielefeld: Es gibt natürlich solche Diskussionen in vielen Ländern. Interessant ist vielleicht ein Hinweis auf den Obersten Gerichtshof in Israel. In Israel hat es in den 90er Jahren mal den Versuch gegeben, Folter in bestimmten Grenzen rechtsstaatlich organisiert zuzulassen. Das ist kolossal gescheitert. Man hat sich anfangs darauf verlassen, dass nur in einzelnen Fällen, in diesem berühmten ticking-bomb Szenarium, wenn eine Zeitzünderbombe irgendwo liegt und ein Terrorist dann aussagen könnte, die Informationen geben könnte, das Unheil zu verhindern, dass man nur dann Folter einsetzen würde. Tatsächlich ist Folter dann eine ganz weit verbreitete, eine Tag tägliche Praxis geworden. Und der Oberste Gerichtshof von Israel hat 1999 gesagt, "Das darf nicht sein". Er hat das Folterverbot als absolutes Verbot bekräftigt. Das ist doch sehr interessant, dass in einem Land wie Israel auch hier der Oberste Gerichtshof ein Signal setzt, von dem man allerdings ausgehen muss, dass es heute in vieler Hinsicht missachtet wird.