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Demokratischer Aufbruch in der Kunst und die langen Schatten von Feudalherrschaft und Militärdiktatur

Knapp drei Jahre ist es her, da wurde die brasilianische Metropole Sao Paulo zur Hauptstadt einer neuen Bewegung. Marta Suplicy wurde als Kandidatin der linken Arbeiterpartei PT ins Bürgermeisteramt der drittgrößten Stadt der Welt gewählt. Gegen den Rechtspopulisten Paulo Maluf, ein Fossil der aus den Zeiten der Militärdiktatur, der es noch einmal wissen wollte. Maluf war seit den siebziger Jahren zunächst Bürgermeister der Stadt, dann Gouverneur des Bundesstaates Sao Paulo. Am Ende von Malufs langer Amtszeit jagte ein Korruptionsskandal den nächsten. Die Schuldenlast der Stadt hatte sich binnen acht Jahren auf rund 11 Milliarden Euro verzehnfacht. Und sie Elendsquartiere der immer neuen Zuwanderer nahmen derart apokalyptische Ausmaße an, dass seine bisherigen Nachfolger allesamt an diesem Erbe scheiterten. Dass dieser Maluf überhaupt noch einmal zur Wahl antreten konnte und mit 42 Prozent immer noch ein achtbares Ergebnis erzielte, zeigt dagegen die Macht, die die alten Kader der Militärjunta auch nach zwanzig Jahren Demokratie noch haben.

    Marta Suplicy ist eigentlich eine klassische Seiteneinsteigerin in die Politik. Bekannt wurde sie in den achtziger Jahren zunächst dadurch, dass sie im Fernsehen eine Sendung für Sexualberatung moderierte. 1995 gelang ihr der Sprung ins Bundesparlament, wo sie sich für eine Frauenquote auf Wahllisten, die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und eine Strafverminderung für Häftlinge einsetzte, die sich im Gefängnis weiterbilden. Ihr Eintreten für den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen ist im konservativen Brasilien bis heute nicht unumstritten. Auf der Wahl Marta Suplicys zur Bürgermeisterin lagen von Beginn an immense Hoffnungen vor allem der Intellektuellen, der Kulturschaffenden und der sozial Schwachen. Diese Hoffnungen waren wahrscheinlich übertrieben, da sich mittlerweile zeigt, dass auch eine intelligente und ehrgeizige Frau wie Marta Suplicy die Sünden der Vergangenheit nicht ohne weiteres ungeschehen machen kann. Noch immer hat sie mit den massiven Altlasten an Schulden und Fehlplanungen zu kämpfen. Versuche, die Bundesregierung zur Stundung von Schulden zu überreden, sind fürs erste gescheitert. Damit ist der Spielraum für eine erfolgreiche Sozialpolitik denkbar knapp geworden. - Immerhin aber gelangen Suplicy einige symbolische Veränderungen, die zumindest die Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten in Sao Paulo wieder beleben. Teile einer großen Stadtautobahn, die von den Militärs damals noch direkt durch die Armenviertel getrieben wurde, werden nun an jedem Sonntag gesperrt und für Spaziergänger oder Skateboardfahrer freigegeben, um so, den Anwohnern wenigsten am Wochenende ein Stück ihrer Stadt zurückzugeben. Im Vorort Capão Redondo, der für seine Bandenkriege und Polizeigewalt berüchtigt ist und zusammen mit zwei Nachbarbezirken als "Todesdreieck" São Paulos gilt, weihte Suplicy insgesamt 20 Computerzentren ein, um in dieser Region das "digitale Analphabetentum zu bekämpfen", wie sie sich ausdrückt. Das Projekt wird durch Spenden aus der Industrie finanziert und von NGOs betreut. In Zukunft hofft Suplicy auch auf mehr private Unterstützung für soziokulturelle Projekte in der gesamten Stadt. Doch hier stößt sie immer wieder auf Widerstand aus den Reihen der Wohlhabenden, die ihre Interessen eher bei den Konservativen und Militärs aufgehoben sehen. Und Suplicy ist nun wirklich keine Vertreterin des Neoliberalismus. Gerade die offizielle Kulturszene der Stadt steht unter empfindlichem Einfluss von Konservativen. Nach außen glänzt Sao Paulo mit internationalen Kunstevents wie der Sao Paulo Biennale. Aber hinter den Kulissen regieren reiche Mäzene und Sammler nach alter Großgrundbesitzer, wie sich am Beispiel des berühmten Kunstmuseums von Sao Paulo zeigt, das durch sein Budget auch junge Künstler fördern soll. Doch dringen allmählich Nachrichten von geradezu mafiösen Machenschaften nach außen, wonach einige Betuchte hier nur ihre privaten Kunstschauen abhalten und das Museum mitunter sogar nur als erweiterte Privatgalerie benutzen. Demokratie und Offenheit finden ausgerechnet in der Kultur nur dort statt, wo es nicht um Geld geht. Bleibt als Hoffnungsträger das Vorzeigeprojekt der Kommunalpolitik von Suplicy: der "partizipative Haushaltsplan", bei dem die Bevölkerung über die Mittelvergabe mitdiskutiert und mitentscheidet. In Porto Alegre, wo die PT vor drei Jahren zum vierten Mal in Folge gewann, klappt das hervorragend. Aber bis es in der auch in Megametropole São Paulo so weit ist, muss Marta Suplicy mit ihrem Team noch ein hartes Stück Weges gehen.

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