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Demoskop Civey
Im Netz nach Meinungen fischen

Persönliche Gespräche oder Gespräche am Telefon – das sind die Quellen, die Meinungsforscher für ihre Umfragen nutzen. Anders funktioniert das bei Civey. Dort fischt man Meinungen und Ansichten aus dem Netz. Meinungsforschung betreibt hier ein Algorithmus. Ist das modern oder manipulativ?

Von Dieter Wulf | 24.05.2019
Janina Mütze läuft durchs Büro in Berlin Mitte. In großen Räumen sitzen die meisten der etwa 60 Mitarbeiter vor ihren Bildschirmen. Fast alle, die hier arbeiten, sind zwischen 20 und 30, dazwischen wuseln die Bürohunde Prinz und Käthe herum. Auch Janina Mütze, die vor vier Jahren die Firma mit zwei anderen Gründern startete, ist mal gerade 28. Civey - was man dort tut, sagt schon der Name, erklärt sie.
"Also Citizen: Bürger. Und Survey: Umfrage. Das ist so ein bisschen natürlich auch der Gründungsgedanke, der unsere Firma begleitet hat, also Umfragen für Bürger, für Menschen erreichbar".
Arbeitssprache im Büro ist Englisch. Auch, wenn die Umfragen auf Deutsch gestellt werden. Die Technik dahinter wird von Softwareentwicklern programmiert, die nicht unbedingt die Inhalte verstehen müssen, um die es gerade geht:
"Hier vorne rechts die Back End Entwickler, hier am Tisch spricht niemand fließend Deutsch zumindest. Kollegen kommen zum Teil aus China, aus Brasilien, aus Argentinien, hier eine Kollegin aus Italien, sind auch aus vielen anderen europäischen Ländern noch Kollegen dort".
Meinungsforschern fehlen Festnetzanschlüsse und interessierte Bürger
Alleine in Deutschland gibt es über hundert Unternehmen und Institute für Markt- und Sozialforschung. Permanent fragen sie Meinungen, Einstellungen und Konsumverhalten ab. Manchmal persönlich, meist aber per Telefon. Civey macht das Gleiche - nur anders, erklärt Janina Mütze:
"Wir haben einen Algorithmus, der sammelt diese Meinungen und der schaut sich die Befragten an, schaut ob, die uns die Wahrheit sagen".
Bist Du Mensch oder Bot?
Die Wahrheit – das ist hoch gegriffen. Was Civey aber an Mausbewegungen und Klicks erkennen kann, ist, ob die Antwort von einer realen Person oder einem Computerprogramm, einem sogenannten Bot, kommt. Oder ob ein 16-jähriges Mädchen aus einer früheren Umfrage in einer späteren Umfrage behauptet, ein Auto zu haben und ein sechsstelliges Jahreseinkommen. Solche Antworten fliegen automatisch raus, beteuert man bei Civey.
Während herkömmliche Meinungsforscher damit zu kämpfen haben, dass immer weniger Menschen über den Festnetzanschluss zu erreichen sind und die Bereitschaft, an Umfragen teilzunehmen, sinkt, findet Civey seine Teilnehmer im Netz. Wer dort zum Beispiel auf Spiegel online oder Focus Online unterwegs ist, wird eingeladen, sich an einer Civey-Umfrage zu beteiligen. Den Deal erklärt Janina Mütze so:
"Wenn ihr unsere Umfragen in eure Artikel einbettet, dann habt ihr nicht nur mehr Spaß für eure eigenen Leser, sondern ihr kriegt im Umkehrschluss auch Umfragen von uns. Das ist quasi der Deal mit dem Medienpartner. Je mehr Reichweite ihr uns liefert, desto mehr Inhalte kriegt ihr".
Modern oder manipulativ?
Das schafft neue Probleme. Wie repräsentativ sind denn die Meinungen, die ausschließlich aus dem Netz kommen? Wie schließt man aus, dass interessierte Kreise nicht massenhaft ihre Unterstützer aufrufen, sich genau an einer bestimmten Umfrage zu beteiligen – und sie so zu verfälschen und Meinungsbilder zu manipulieren? Auf die Gefahr weist Torsten Faas hin, der an der FU Berlin die Arbeitsstelle für politische Soziologie leitet:
"Das kann politisch sein, das kann auch ökonomisch sein. Sind Sie für oder gegen ein Dieselverbot? Oder was auch immer, natürlich öffnet das Manipulationsversuchen Tür und Tor, und insofern wäre es geradezu grob fahrlässig, wenn Civey für solche Manipulationsgefahren keine Maßnahmen, keine Vorsichtsmaßnahmen treffen würde".
Tobias Wolfram, der bei Civey als Statistiker arbeitet, räumt ein, dass die Gefahr besteht. Da Civey aber viel mehr über diejenigen wisse, die bei ihnen abstimmen, als übliche Marktforscher, könne man Manipulation leicht erkennen.
"Dann sorgen wir auch dafür, dass Leute, die länger in unserem Panel sind, also Nutzer, die bereits seit mehreren Monaten, seit mehreren Jahren zahlreiche Fragen bei uns beantwortet haben, eher genutzt werden".
Civey hat die Meinungsforschungsbranche in Aufregung versetzt. Die Vorwürfe sind harsch: Civey arbeite nicht repräsentativ und unseriös, heißt es. Besonders eine Umfrage schlug hohe Wellen. Ob die Fußballer Gündogan und Özil nach ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan noch in der Nationalmannschaft spielen sollten, fragte Civey im vergangenen Jahr.
Die Branche in Aufregung versetzt
80 Prozent sagten laut Civey: nein. Einen Tag später ermittelte Meinungsforscher Forsa, dass lediglich 25 Prozent der Bevölkerung die beiden Fußballer nicht mehr in der Nationalmannschaft sehen wollten. Forsa-Chef Manfred Güllner nannte Civey - Zitat - einen "gefährlichen Gaunerhaufen". Darauf angesprochen, zuckt Janina Mütze mit den Schultern und lacht:
"Wir sind ein kleines Unternehmen, uns gibt es noch gar nicht so lange. Wir verkaufen unsere Produkte seit gerade mal einem Jahr und ich sag mal in diesem Jahr, ist der Wettbewerb aufgewacht, und das ist für uns erst mal ein Ritterschlag".
Das Netz ist für die junge Unternehmerin ein Marktplatz mit Vorstellungen, die nur darauf waren, von einem Algorithmus sortiert zu werden. Ob so die Meinungsforschung von morgen aussieht, wird sich zeigen.