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Den Ahnen Europas auf der Spur

Anthropologie. - Dass der moderne Mensch seine Wurzeln in Afrika hat, steht außer Frage. Die Wiege der Menschheit wurde indes in mehreren Auswanderungswellen verlassen. Homo erectus bevölkerte Asien und seine Nachfahren später auch ganz Europa. In einer Auswanderungswelle von Afrika vor ungefähr 100.000 Jahren trafen dann die modernen Menschen auf ihre Vorfahren in Europa. Wie das vor sich ging, darüber streiten Anthropologen in aller Welt.

Von Michael Stang |
    Zur Frage der Besiedlung Europas gibt es in der Paläoanthropologie seit über 20 Jahren zwei gegensätzliche Theorien. Beide haben durch neue Schädelfunde in Äthiopien und genetische Untersuchungen an Neanderthalerskeletten weiter an Brisanz gewonnen. Eine der Theorien ist die Out-of-Africa Theorie von Chris Stringer vom Natural History Museum in London. Sie beschreibt den Siegeszug des modernen Menschen in Europa, der von Afrika auszog, um die ganze Welt zu bevölkern. Dabei verdrängte er sämtliche älteren Frühmenschen, auf die er stieß. Deshalb seien alle heute lebenden Menschen in Europa auf eine kleine Gründerpopulation dieser Eroberer aus Afrika zurückzuführen. Stringers Kontrahent Milford Wolpoff von der University of Michigan in den USA zweifelt diese Theorie jedoch an:

    Nun, die Out-of-Africa Theorie ist eine Speziationstheorie, das heißt, dass Afrikaner in Europa einwanderten und alle Neanderthaler ohne Mischung untereinander vollständig verdrängten. Und zwar aus dem Grund, weil sie unterschiedliche Arten waren. Wenn nun die Out-of-Africa Theorie stimmt, wie soll man dann die Neanderthalermerkmale erklären, die noch in weit entfernten altsteinzeitlichen Europäern zu finden sind?

    Für Wolpoff sind diese gleichen anatomischen Merkmale eindeutige Anzeichen einer Vermischung zwischen Frühmenschen wie zum Beispiel dem Neanderthaler und dem modernen Menschen. Wolpoff ist Begründer der zweiten großen Migrationstheorie, der so genannten Multiregionalen Evolution des Menschen. Kernpunkt dieser Theorie ist, dass sich auf allen Kontinenten kontinuierlich moderne Menschen aus den Frühformen entwickelt haben und zwar nie isoliert, sondern in einem ständigen Austausch miteinander. Auf der Insel Java in Indonesien findet man bestimmte Schädelmerkmale konstant über einen Zeitraum von mehreren Hunderttausend Jahren, wohingegen sich andere Merkmale westlich langsam, also kontinuierlich weiter entwickelten. Dies sei der Grund, so Wolpoff, warum der Mensch in der ganzen Zeit trotz weiter geografischer Entfernungen permanent eine Spezies, also eine Art, geblieben ist und sich eben nicht in verschiedene Arten aufgespalten hat. Chris Stringer kritisiert diese Theorie jedoch:

    Ich denke, die Multiregionale Theorie argumentiert, dass wir seit nahezu zwei Millionen Jahren nur eine Art sind. Sie behauptet, dass es Merkmale von Homo erectus in Java gab, die heute noch bei den Ureinwohnern in Australien vorkommen. Ich denke, es ist vor allem widersprüchlich bei den fossilen Beweisen. Diese zeigen, dass sie sich völlig von uns unterscheiden, man braucht sich bloß die Fossilien anschauen.

    Genau auf diesen Fossilien baut Milford Wolpoffs Theorie auf: die Veränderungen in der Anatomie an Schädeln, also sämtliche Einzelheiten, die in den Fossilien konserviert wurden. Dabei hat er festgestellt, dass es für die hochgewölbte Schädelform der modernen Menschen etwa in Australien potentielle Vorfahren aus Indonesien oder auch Israel gibt. Dies steht aber im Widerspruch zur Out-of-Africa Theorie, also zu einer gradlinigen Ausbreitung des modernen Menschen und vor allem einer kompletten Verdrängung aller anderen Frühmenschen. Wenn also Vermischung eine Rolle gespielt hat, muss die Out-Of-Africa-Theorie von Chris Stringer falsch sein. Jedoch interpretiert dieser die anatomischen Merkmale ganz anders:

    Ich denke, dass diese Sichtweise falsch ist, denn da ist momentan keine Kontinuität zwischen archaischen und modernen Populationen zu erkennen. Lediglich in Afrika gibt es einen Fundort, wo wir so etwas wie Kontinuität finden und sich multiregionale Merkmale entwickelt haben.

    Für eine endgültige Klärung brauchen die Forscher jedoch mehr Fossilien-Material auch aus anderen Regionen, vor allem aus nahezu unerforschten Gebieten wie Süd-Asien und Arabien. Erst wenn es genügend brauchbare Fossilien gibt, hätte man eine breite Basis, die die Widerlegung einer der beiden Theorien möglich machen könnte.