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Den Flüssen mehr Raum

Gebt den Flüssen mehr Raum - das ist die Forderung nach jedem Hochwasser. Wenn die Flüsse mehr Überflutungsflächen haben, sinken die Pegel, und die Fließgeschwindigkeit nimmt ab. Von der vollmundigen Forderung bis zur Rückverlegung eines Deiches ist es allerdings ein langer Weg. In vielen Fällen sperren sich die Eigentümer gegen eine neue Nutzung.

Von Claudia van Laak | 05.07.2006
    "Dialog im Boot" heißt eine Veranstaltung des BUND, die in diesem Jahr zum fünften Mal stattfindet. Umwelt- und Naturschützer laden ein zu einer Schlauchbootfahrt auf der Elbe, um Politikern, Landwirten und anderen Interessenten ihre Vision des Flusses näherzubringen. Ernst Paul Dörfler vom BUND:

    "Wir wollen vor allem auch einen Wechsel in der Flusspolitik voranbringen: Weg von der einseitigen Betrachtung des Flusses als technisch normierte Wasserstraße. Sie hat ja praktisch keine Bedeutung mehr als Wasserstraße hin zu einem Fluss, wo wir vorbildlich die Belange der Ökologie und des Naturschutzes umsetzen."

    In diesem Jahr begann der Dialog auf der Burg Lenzen. Von der Aussichtsplattform des Burgturms fällt der Blick über die Elbtalaue. Bagger sind dabei, Erdwälle aufzuschütten:

    "In Lenzen wird Geschichte geschrieben. Während man in den letzten 100, 200 Jahren dem Fluss immer mehr Überschwemmungsflächen geraubt hat, dreht man hier die Entwicklung um."

    Brandenburgs Landesumweltamt baut hier einen 6,1 Kilometer langen neuen Deich im Landesinneren. Dadurch wird eine 420 Hektar große Überschwemmungsfläche geschaffen, auf der sich die Elbe bei Hochwasser ausbreiten kann. Es ist das derzeit größte Deichrückverlegungsprojekt Deutschlands. 2007 soll der neue Deich fertig sein, 2008 der alte geöffnet werden, erläutert Christian Damm, Leiter des Naturschutzgroßprojektes Lenzener Elbtalaue:

    "Es werden immer Abschnitte zwischen 200 und 400 Meter Länge herausgenommen, und wenn die Elbe ansteigt, kann sie dieses Gebiet fluten. Es wird in diesem Gebiet vor allem Auwald etabliert. Das ist zentrales Ziel und Anliegen dieses Naturschutzgroßprojektes."

    Ähnliche Versuche, Deiche zurückzuverlegen, sind bislang meist an den Eigentümern oder Nutzern der Flächen gescheitert. Landwirte waren nicht bereit, ihre Flächen direkt am Fluss zu tauschen oder sich abkaufen zu lassen. In Lenzen war die Situation anders:

    "Hier hat die Landwirtschaft gesagt, hier machen wir mit. Wir hatten den positiven Fall, dass wir nur einen Landwirt hatten, einen Großbetrieb, der sich aufgrund seiner Vorgeschichte vergangener Sünden gesagt hat, hier leisten wir uns einen neuen Umgang mit der Fläche, der hat von Anfang an sehr positiv dieses Projekt mit begründet."

    Allerdings reicht eine einzelne Deichrückverlegung wie in Lenzen nicht aus, um die Hochwassergefahr zu bannen. Mehrere tausend Hektar neuer Überflutungsflächen an der Elbe wären dazu nötig, sagt Christian Damm:

    "Es gibt allein an der Elbe einen Katalog von 20, 30 Deichrückverlegungen, die man machen könnte. Da stehen dann Hektarzahlen, da stehen dann Aufwendungen, die man dafür braucht, wie realistisch ist, dass das ein oder andere Projekt umgesetzt wird, da bin ich skeptisch. Die wir zwangsläufig brauchen, davon sind wir noch sehr weit entfernt."

    Um Skeptiker zu überzeugen, lädt der BUND aufs Schlauchboot ein. Heute geht die Fahrt von Lenzen über Gorleben nach Dömitz, morgen dann weiter nach Hitzacker. Ziel ist auch, für einen länderübergreifenden vorsorgenden Hochwasserschutz zu werben. Deshalb ist Ernst-Paul Dörfler vom BUND-Elbe-Projekt auch unzufrieden mit der Föderalismusreform, die den Ländern mehr Kompetenzen im Umweltbereich gibt:

    "Wir hätten es uns anders gewünscht. Ich denke, die Bundeskompetenz muss auf jeden Fall gesteigert werden, um koordiniert und vorsorgend Hochwasserschutz betreiben zu können."