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Den Scherbenhaufen zusammenkehren

Erst kürzlich rauschte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Davos aus einer Diskussionsrunde über den Gazakrieg. Israels Staatspräsident Schimon Peres hatte dort den Einmarsch in Gaza letzten Dezember verteidigt und dafür auch noch viel mehr Redezeit erhalten als Erdogan. Jetzt aber soll die Diplomatie wieder die Oberhand gewinnen. Der neue amerikanische Nahost-Beauftragte George Mitchell bat die Türkei, ihre Vermittlungsbemühungen wieder aufzunehmen.

Von Gunnar Köhne |
    Es wäre eine höfliche Untertreibung, würde man behaupten, Tayyip Erdogans Verhältnis zu den Medien sei angespannt. Der türkische Premier steht auf Kriegsfuß mit einem Großteil der türkischen Presse - vier Wochen vor den landesweiten Kommunalwahlen vergeht kein Tag, ohne dass er über angeblich lügende Journalisten herfällt. Den mächtigen Dogan-Medienkonzern will er gar über eine Steuernachforderung von umgerechnet 400 Millionen Euro in die Knie zwingen - die Dogan-Blätter "Milliyet" und "Hürriyet" gehören zu den schärfsten Kritikern der regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei AKP.

    Nur mit ausländischen Journalisten kommt Erdogan in diesen Tagen offensichtlich noch gerne zusammen - denn der Ministerpräsident - von etlichen innenpolitischen Skandalen geschwächt - ist bemüht, wenigstens sein außenpolitisches Image wieder herzustellen. Und so verriet er vergangene Woche einem Reporter des britischen "Guardian", dass die iranische Regierung bei ihm angefragt habe, ob er nicht bei der Anbahnung von ersten Kontakten zu der neuen amerikanischen Administration behilflich sein könne. Die Botschaft dieser Zeitungsmeldung ist klar: Die Türkei ist weiterhin unverzichtbar als Vermittler im Nahen Osten.

    Das sieht Washington offensichtlich ähnlich: Nahost-Vermittler Mitchell betonte vor wenigen Tagen in Ankara, man erwarte wieder eine führende Rolle der Türkei bei der Lösung der Probleme in der Region. Ende dieser Woche wird auch die US-Außenministerin Clinton in Ankara landen. Vergessen scheint der Eklat von Davos, als Erdogan Israels Präsident Peres wegen des Gaza-Krieges anfuhr, die Israelis verstünden sich besonders gut auf das Töten von Menschen. Für Sedat Ergin, Chefredakteur von "Milliyet", war das bei aller berechtigten Kritik am Gaza-Krieg, ein Bruch mit der bisherigen Außenpolitik seines Landes:

    "Ein türkischer Ministerpräsident wird in den Straßen der arabischen Hauptstädte gefeiert, weil er deutlicher als jeder arabische Führer gegen Israel Front macht. Der Regierungschef des NATO-Mitglieds und EU-Beitrittskandidaten Türkei als radikalster Israel-Gegner - das hat dazu geführt, dass sich unsere Verbündeten inzwischen fragen, ob wir unseren außenpolitischen Kurs völlig geändert hätten."

    Die von der Türkei vermittelten indirekten Gespräche zwischen Israel und Syrien sind vorerst gescheitert - auch weil sich Erdogan durch seine einseitige Parteinahme für die Hamas als Vermittler desavouiert hat. Überhaupt herrscht im Verhältnis zu Israel Funkstille seit den heftigen anti-israelischen Protesten in der Türkei. Man rechnet allerdings damit, dass sich beide Seiten nach einer Regierungsbildung in Israel wieder zusammenraufen werden - die USA sind darauf angewiesen, dass ihre beiden engsten Verbündeten zusammenarbeiten. Staatspräsident Abdullah Gül hat angekündigt, noch vor dem Sommer nach Israel reisen zu wollen.

    Güls Aufgabe scheint es zu sein, die von Erdogan hinterlassenen außenpolitischen Scherbenhaufen wieder zusammenzukehren. Bei einem Besuch des palästinensische Präsidenten Mahmut Abbas in Ankara distanzierte sich Gül indirekt von der Hamas und sagte die Unterstützung seines Landes nur für einen friedlichen Übergang zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu:

    "Grundvoraussetzung ist eine Einigung der Palästinenser untereinander. Mit zwei getrennten Administrationen wird es keinen Fortschritt geben können. Erst dann kann es eine dauerhafte Friedenslösung geben, mit zwei Staaten: Palästina und Israel als Nachbarn."

    Neben einem Besuch Israels plant Gül auch eine baldige Reise nach Bagdad. Denn auch im Irak will sich die Türkei wieder stärker engagieren - getrieben von der Furcht, durch den näher rückenden Abzug der amerikanischen Truppen könnte die mühsam überdeckte Zerrüttung des Landes wieder in Chaos umschlagen. Die Türken scheinen neuerdings auch bereit zu sein, den kurdischen Teilstaat im Norden des Iraks als Gesprächspartner zu akzeptieren.