Doris Simon: Frau Ferrero-Waldner, heute finden in Paris große Feierlichkeiten statt zur Gründung einer Union für das Mittelmeer. Aber die Europäische Union hat bereits seit dreizehn Jahren eine Partnerschaft mit den Ländern am Süd- und am Südostrand des Mittelmeeres. Warum dann heute dieses Aufgebot, was ist neu an dieser Union für das Mittelmeer?
Benita Ferrero-Waldner: Nun, wie Sie richtig sagen, haben wir lange daran gearbeitet, aber man muss auch zugeben, wir haben natürlich noch nicht alles erreicht, was wir erreichen wollten. Das Neue daran ist jetzt ein wichtiger politischer Impuls, diesen Barcelona-Prozess mit einem neuen Namen noch einmal zu redynamisieren und den Süden mehr einzubeziehen. Daher diese Co-Präsidentschaft, dieses gemeinsame Vorsitzführung des Nordens und des Südens und damit auch die gemeinsame Entscheidung über die Projekte, die angegangen werden sollen.
Diesmal sind es natürlich vor allem große, grenzüberschreitende, transregionale Projekte, wie zum Beispiel Autobahnen in Nordafrika, aber auch maritime Fahrwege - wo es zum Teil schon Vorläufer gab bei uns, aber die jetzt viel stärker aufgezogen werden sollen. Und ein letzter, doch auch sehr wichtiger Punkt: Es sind nicht nur Gemeinschaftsmittel der Europäischen Union, die ja von der Kommission verwaltet werden, sondern zusätzlich vor allem auch der Privatsektor, und private große Geldflüsse sollen hier hereinkommen. Also doch eine gewisse Neuausrichtung Barcelonas, aber eben aus einem enorm wichtigen Grund.
Simon: Was auffällt bei diesen konkreten Projekten - vier sind ja schon umrissen worden - ist, dass es da um Wirtschaft und Entwicklung geht. Demokratie und Menschenrechte werden da speziell nicht mehr genannt. Hängt das damit zusammen, dass man da ein bisschen aufgegeben hat wegen häufiger Erfolglosigkeit im bisherigen Prozess?
Ferrero-Waldner: Das glaube ich nicht, sondern Sie müssen ja bedenken, dass alles, was in Barcelona da ist und da war, da bleibt. Das heißt, hier sind natürlich Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrecht und deren Förderung immer vorgesehen. Das wird also auch in Zukunft bleiben. Und vor allem in meiner, neben diesem regionalen Barcelona-Prozess laufenden bilateralen Nachbarschaftspolitik, die ja eine Politik ist von der Kommission für die Europäische Union mit jedem Staat, also zum Beispiel mit Ägypten, mit Marokko, mit Tunesien und so weiter, da sind selbstverständlich die Reformprojekte und die Demokratisierungsprojekte ganz wichtig im Stellenwert.
Simon: Aber gerade die Staaten, die Sie genannt haben - Ägypten, Tunesien - sind ja Beispiele, dass auch im Rahmen dieser Nachbarschaftspolitik sich die Wirtschaft entwickeln kann, aber es im Bereich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückgeht.
Ferrero-Waldner: In manchen Fällen geht es tatsächlich zurück, in anderen Fällen aber ist es eben eine langsame Entwicklung. Es ist natürlich ein Wandel der Gesellschaft, der gesamten Gesellschaft, den wir anstreben. Der kann nicht von Heute auf Morgen passieren. Aber es sind doch sehr große wesentliche Themen dabei, wie zum Beispiel eine Justizreform, die wieder für die Rechtsstaatlichkeit sehr wichtig ist.
Simon: Wie sinnvoll ist insgesamt eine Union für das Mittelmeer, eine gemeinsame Politik für alle, wenn man sieht, wie unterschiedlich die Länder sind. Ich nenne nur mal Türkei, Marokko, Israel?
Ferrero-Waldner: Nun, das war ja der Grund, warum wir neben der regionalen Politik im Barcelona-Prozess diese bilaterale Nachbarschaftspolitik entwickelt haben. Trotzdem, glaube ich, ist es wichtig, dass man die gesamte Union mit dem Bereich des Mittelmeeres sieht, denn wenn wir denken, dass wir doch hier eine gemeinsame Geburtsstätte oder eine gemeinsame Wiege für die europäische Kultur haben, wo die großen drei monotheistischen Religionen zu Hause waren, wo wir enorme Geschichte geprägt haben, die uns ja heute noch prägt, wenn man zurückgeht auf die verschiedenen Völker - von den Phöniziern im Handel, über die Griechen, die die Kultur und die Kunst geprägt haben, über die Römer mit der Rechtsstaatlichkeit. Da glaube ich, ist eben enorm viel Gemeinsames da, das man nicht verlieren sollte.
Simon: Da haben Sie kulturell-geschichtlich sicher recht, aber wenn wir ganz pragmatisch mal heute auf den Tag schauen: Unter diesen genannten Staaten sind etliche mit Regierungschefs, die noch nicht einmal auf das selbe Foto wollen. Die praktischen Probleme, ganz unbenommen der Geschichte, sind doch gravierend.
Ferrero-Waldner: Die praktischen Probleme sind aber auch Probleme heutiger politischer Fragen, die noch nicht gelöst sind. Die waren da im Barcelona-Prozess, die werden auch in diesem Unionsprozess für das Mittelmeer da sein. Und hier spreche ich vor allem an den israelo-palästinensischen Konflikt, aber selbstverständlich auch Fragen, wie zum Beispiel die Westsahara, die Marokko und Algerien auseinanderbringt.
Simon: Ja, und dieser Konflikt, wie Sie richtig gesagt haben, der bleibt. Kann man da überhaupt noch eine Politik draufsetzen, bevor nicht der Konflikt gelöst ist?
Ferrero-Waldner: Barcelona war ja schon der Ansatz, dass man sagt: Wir wollen trotz dieser politischen Probleme, die noch nicht gelöst sind, miteinander arbeiten. Denn durch die wirtschaftliche Verflechtung, durch die kulturellen Programme, durch die Möglichkeiten, auf allen Gebieten miteinander zu arbeiten, können wir vielleicht auch leichter die großen schwierigen politischen Fragen lösen. Das wird ähnlich auch in dieser neuen Mittelmeer-Union sein.
Simon: Aber Sie, die Sie das Programm seit vier Jahren verwalten, die Mittel einsetzen, Sie wissen am besten, dass aus diesem Wunsch eben nur sehr teilweise etwas geworden ist.
Ferrero-Waldner: Das ist richtig, und deshalb bin ich auch immer wieder dafür, dass man eben neue Ansätze, neue Blickpunkte sucht und eine neue Dynamik bringt. Deshalb war ich von Anfang dafür, wenn es ein Projekt ist, wo die gesamte Europäische Union dahinterstehen kann.
Simon: Sie haben den Nahost-Konflikt als eines der großen Probleme jeder Partnerschaft mit den Ländern am südlichen und südöstlichen Rand des Mittelmeeres skizziert. Nun gibt es in diesem Jahr eine Entwicklung: Sie haben von Israel erfahren, dass Israel gerne bei wichtigen Entscheidungen hier in Brüssel mit am Tisch sitzen würde in diversen Gremien.
Das geht ganz klar über alles hinaus, was im Rahmen der von Ihnen skizzierten europäischen Nachbarschaftspolitik möglich ist, es wäre auch ein großes Problem für die Zusammenarbeit mit den arabischen und den islamischen Ländern. Wie weit kann die Zusammenarbeit Israels mit der EU gehen?
Ferrero-Waldner: Wir sind gerade dabei, nach einem ersten Reflektionsprozess jetzt innerhalb unserer verschiedenen Arbeitsgruppen zu sehen, wie weit können wir wirklich mit Israel einen zusätzlich verstärkten Prozess haben. Selbstverständlich wird er nicht so weit gehen können, dass Israel irgendwo im Entscheidungsprozess eine Rolle spielen kann. Das gilt sowohl für Israel, das gilt aber auch für alle anderen Länder der Nachbarschaftspolitik oder für andere strategische Partner. Was aber möglich sein wird, ist zum einen vielleicht eine stärkere Einbindung Israels in und auch beim Mitmachen bei den Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, auf der anderen Seite auch ein Eintritt in manche der Gemeinschaftsprogramme und der Gemeinschaftsmöglichkeiten, auch der Projekte. Wenn Sie sich zum Beispiel vorstellen, das siebte Rahmenprogramm für Wissenschaft und Forschung - das ist etwas, wo wir glauben, dass beide davon profitieren könnten. Und solche konkreten Ansätze sind dabei gemeint.
Simon: Die euromediterane Partnerschaft, also das, aus dem jetzt auch die Union für das Mittelmeer hervorgeht, war ja als Ausgleich gedacht für die Osterweiterung - auf Drängen der südlichen Mitgliedsländer der EU. Jetzt fordern bereits andere EU-Staaten, und der Gipfel im Juni hat das ja unterstützt, die Beziehung zu sechs Ländern im Osten der EU weiter zu verstärken. Da wirkt bereits die europäische Nachbarschaftspolitik, aber man will eine vertiefte Beziehung. Nur um drei von den Ländern zu nennen: Dazu gehören unter anderem die Ukraine, Armenien und Aserbaidschan. Warum müssen wir Europäer uns um Aserbaidschan kümmern?
Ferrero-Waldner: Armenien und Aserbaidschan haben zum Beispiel schon zu dieser Nachbarschaftspolitik gehört. Das heißt, die waren schon Länder in unserem Blickfeld, wo wir fanden, wir müssen ihnen mehr Stabilität, mehr Sicherheit, aber auch mehr Wohlstand bringen - übrigens genauso wie Georgien zum Beispiel, aber auch Ukraine, Moldawien und hoffentlich eines Tages auch Weißrussland.
Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass wir diese Stabilität, die wir selber innerhalb der Europäischen Union erreicht haben, immer mehr nach außen strahlen und auch dort diese Stabilität helfen, zu verankern - indem wir wirtschaftliche und politische Reformen unterstützen, indem wir aber auch durch Hilfszahlungen oder durch Hilfsgelder wesentliche Projekte fördern, die zu einer wirtschaftlichen Förderung beitragen und die zum Beispiel dazu beitragen, dass wesentlich mehr Investitionen kommen. Das gilt selbstverständlich auch für diese Länder.
Trotzdem möchte ich sagen, dass wir schon unter der deutschen Präsidentschaft, also vor einem guten Jahr, überlegt haben: Was können wir an regionalem Ansatz im Osten bringen? Und wir haben uns gedacht, diese Länder, die Sie erwähnt haben, plus die, die ich genannt habe, und die Nachbarn, die da sind - zum Beispiel im Schwarzmeerraum, dass sind Türkei und Russland -, sollten eben hier gemeinsam an Projekten beteiligt sein, die für sie alle etwas bringen, wie zum Beispiel im Bereich des Umweltschutzes. Wenn Sie bedenken, wie wichtig es ist, auch saubere Meere zu haben, oder im Bereich des Transports oder aber der Energie, ganz wichtige Fragen heute.
Simon: Sie sprachen gerade die Türkei an. Es gibt nur ganz wenige Europa-Politiker, die begeistert für einen Beitritt der Türkei zur EU werben. Und die Stimmung der Bevölkerung ist in den meisten EU-Staaten noch negativer. Wie kommt es dann, dass die Türkei auf einem langen Weg zum Beitritt ist?
Ferrero-Waldner: Deshalb, weil die Staats- und Regierungschefs in einem bestimmten Moment ein ja zum Kandidatenstatus für die Türkei gesagt haben. Nun, wir sind in einem langen Verhandlungsprozess, da haben Sie vollkommen Recht, der meiner Ansicht nach immer noch ergebnisoffen ist.
Es ist zwar der Prozess grundsätzlich zu einer möglichen Aufnahme der Türkei, aber es ist dabei enorm viel zu tun. Es sind viele Verpflichtungen da, die erfüllt werden müssen. Und jedes neue Kapitel wird ja eröffnet mit Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedsstaaten, wird aber auch geschlossen mit deren Einstimmigkeit. Und so wird man nur Schritt für Schritt voran kommen, aber immer genau sehen, was die Türkei wirklich an Verpflichtungen auch umsetzt.
Simon: Es ist nun eine neue Variable in die Diskussion um Beitritte gekommen, nämlich die bis jetzt ausstehende Ratifizierung des Vertrages von Lissabon, also der Reform der Europäischen Union. Der amtierende Ratspräsident Nicolas Sarkozy hat diese Woche noch einmal im Europaparlament gesagt, so lange dieser Vertrag nicht ratifiziert ist, fehlt jede Basis für neue Erweiterungen. Teilen Sie diese Ansicht?
Ferrero-Waldner: Ich habe vor einigen Tagen schon gesagt, erstens haben wir einen Verhandlungsprozess. Dieser Verhandlungsprozess soll in jedem Fall weiter gehen. Und zweitens ist es so, dass wir zum Beispiel mit Kroatien die Verhandlungen auch begonnen haben auf dem jetzigen Vertrag.
Gleichzeitig sehe ich natürlich die Notwendigkeit, kohärenter zu werden, wenn wir neue Mitglieder aufnehmen, denn es ist bereits jetzt nicht immer einfach, mit 27 am Tisch Sitzenden eine schnelle Entscheidungsführung herbeizuführen. Daher ist mir wichtig, dass wir jetzt weiter verhandeln. Das, glaube ich, sollte vorläufig unser Ausblick sein. Parallel dazu bin ich zuversichtlich, dass wir Lösungen finden, auch um beim Lissabonner Vertrag zur endgültigen Ratifizierung zu kommen.
Simon: Noch mal zu Kroatien. Würden sie da eine Sonderregelung - falls es diese Ratifizierung vorher nicht gibt - befürworten, dass Kroatien noch aufgenommen werden kann?
Ferrero-Waldner: Ich sage noch einmal: Ich glaube, jetzt müssen wir zuerst einmal den Verhandlungsprozess mit Kroatien weiterführen. Und ich bin zuversichtlich, dass dann, wenn Kroatien seinen technischen Verhandlungsprozess abgeschossen haben wird, dass dann auch der Lissabon-Vertrag bereits in Kraft ist.
Simon: Es heißt ja immer, Europa brauche den Reformvertrag unter anderem für eine stärkere, bessere Außenpolitik. Welche Außenpolitik kann die EU denn derzeit nicht machen oder macht sie schlechter, weil ihr die Instrumente aus dem Lissabonner Vertrag fehlen?
Ferrero-Waldner: Mir geht es vor allem darum zu sagen, dass es vor allem die Entscheidungsrasche ist. Wir können nicht schnell genug entscheiden, wir können nicht kohärent genug sein. Wenn sie denken, wie lange es braucht, bis alle 27 Mitgliedsstaaten sich wirklich in eine Richtung begeben und mit einer Stimme sprechen, wie wir das ausdrücken, sei es zum Beispiel in der Energiefrage. Es wird zwar nach dem Lissabonner Vertrag nicht alles möglich sein und alles gemeinschaftlich zu tun sein, aber es wird eine Solidaritätsklausel da sein für die Energiefragen. Das heißt, dann können wir alle gemeinsam stärker eine Energieschiene betonen. Das können wir derzeit grundsätzlich nicht.
Simon: Sie, Frau Ferrero-Waldner, würden ja - wenn der Lissabonner Vertrag ratifiziert wäre - einiges an Macht und Mitteln verlieren, nämlich die Hälfte Ihrer Zuständigkeiten, die Außenbeziehungen, wenn die Außenpolitik dann Sache des Hohen Repräsentanten, des De-facto-EU-Außenministers wäre. Hat die bisherige Aufgabenteilung zwischen Ihnen und zum Beispiel Herrn Solana oder Herrn Michel, hat die die Politik der Europäische Union behindert?
Ferrero-Waldner: Also, ich glaube, wir bemühen uns enorm, miteinander zu arbeiten. Und deshalb glaube ich nicht, dass wir viel behindert haben. Man kann vielleicht noch besser arbeiten, wenn man dann eine einfache Struktur hat. Im übrigen hätte ich nicht so viel verloren. Ich hätte wahrscheinlich den politischen Teil der Arbeit verloren, aber keineswegs die Mittel und auch nicht die Nachbarschaftspolitik. Das muss man einmal dazu sagen.
Aber grundsätzlich ist es so, wenn es eine einheitliche Struktur gibt, wo sozusagen eine Hierarchie da ist, dann ist es, glaube ich, insgesamt noch leichter, schneller koordinierte Positionen zu haben. Das ist mehr der Hintergrund. Ich glaube, es geht gar nicht um die zwei Persönlichkeiten an der Spitze. Es geht mehr um den gesamten Apparat, der hier zusammen rückt und der dann durch einen diplomatischen auswärtigen Dienst auch zusätzlich unterstützt werden könnte, der bis jetzt in dieser Form, wo Politik und Außenhilfe zusammen fallen, doch nicht gegeben ist.
Simon: Ein Teil der Erfolgsgeschichte der Europäischen Union ist die erfolgreiche Befriedung des Kontinents. Das hat die EU bisher vor allem immer geschafft mit Beitrittsversprechen, die diszipliniert und befriedet haben. Wenn es jetzt aufgrund der Situation, dass es vielleicht keine Ratifizierung des Lissabonner Vertrages gibt, keine neuen Beitrittsversprechen mehr geben kann, wie schafft die EU es dann?
Ferrero-Waldner: Nun, die Nachbarschaftspolitik ist ja schon eine Politik, die ganz bewusst die Länder um uns näher heranführen will, aber gleichzeitig keine Beitrittsperspektive im jetzigen Zustand gibt. Daher kann man viel machen, aber man kann vielleicht nicht alles machen, denn ein Mittel haben wir natürlich nicht: eine gewisse verstärkte Zwangsverpflichtung, die gegeben ist. Wenn man in einen Club aufgenommen werden will, muss man natürlich der Reihe nach alle die Verpflichtungen eingehen, die in dem Club eben die normalen Spielregeln sind. Trotzdem kann man aber viel mit positiven Incentives, mit positiven Anreizen machen. Und das versuchen wir.
Simon: Wenn wir noch mal auf die derzeitige Situation schauen, einige Europa-Politiker, darunter auch Ihr Parteifreund Wolfgang Schüssel, der frühere österreichische Kanzler, wünschen sich gerade jetzt deutlichere Bekenntnisse der Politiker zu Europa, der Politiker in den nationalen Regierungen. Und er sagt, die trauten sich einfach nicht, zuzugeben, dass es mehr Europa brauche, um mit den Herausforderungen fertig zu werden. Ein Mangel an Leidenschaft, das ist sein Befund. Sehen Sie das auch so?
Ferrero-Waldner: Jedenfalls ein Mangel an Leidenschaft, aber vielleicht auch manchmal ein Mangel an Wissen, dass heute die globalen Herausforderungen nur mehr gemeinsam gemeistert werden können. Das ist eines der Dinge, die ich immer in meinen Reden anspreche. Wenn Sie an den Klimawandel denken, an die Fragen der Energiesicherheit, an den Terrorismus, ja sogar an die großen Fragen die jetzt anstehen mit höheren Lebensmittel- und Energiepreisen, dann kann doch - das sage ich immer ganz klar - ein einziges Land allein und ein kleineres Land schon gar nicht, aber auch ein größeres Land diese Herausforderungen nicht meistern.
Das können wir nur im Verbund als großes Europa, dem ja heute schon die großen Schwellenländer entgegenstehen, wenn Sie an China und Indien denken, und natürlich die Amerikaner und Japaner als die großen Länder ohnehin, oder Russland.
Simon: Das wissen aber, auch wenn Sie das jetzt gerade anders gesagt haben, natürlich die Vertreter der nationalen Regierungen genau. Wenn diese es nicht sagen, haben sie Angst um ihre politische Daseinsberechtigung, oder ist es politisch in dem aktuellen Klima nicht opportun?
Ferrero-Waldner: Ich glaube, manche denken, dass es politisch vielleicht nicht opportun sei, weil die eigenen Bevölkerungen zum Teil sehr skeptisch geworden sind. Warum? Weil sehr oft unsere Bürgerinnen und Bürger einen absoluten Vorteil im Moment für sich sehen wollen und zum Teil in Österreich die Lebensqualität und die gute wirtschaftliche Entwicklung im Denken der Menschen abgekoppelt ist von dem, was ihnen Europa gebracht hat, aber nicht abgekoppelt werden kann.
Simon: Sie brachten das Beispiel Österreich. Die Leute sehen es nicht, vielleicht auch, weil die nationalen Regierungen alles, was gut läuft, als ihren Erfolg herausstellen. Liegt es daran auch?
Ferrero-Waldner: Das kann zum Teil eine Rolle spielen, ja.
Simon: Trotzdem bleibt die Frage: Es gibt diese negative Stimmung in der Bevölkerung, die derzeit in vielen Ländern zu finden ist. Wie kann man denn, wenn alle irgendwo einsehen, auch wenn sie es nicht laut sagen, dass man mehr Europa braucht bei wichtigen Fragen, wie kann man das machen, wenn die Bevölkerung, wenn sie mal gefragt wird, jedes Mal nein sagt?
Ferrero-Waldner: Zum einen glaube ich, muss man besser kommunizieren. Und zwar alle: Die europäischen Politiker, die nationalen Politiker, die regionalen und die lokalen. Und zwar besser kommunizieren in dem Sinn, dass wir dann, wenn wir einen Kompromiss haben als Resultat eines langen Verhandlungsprozesses, diesen Kompromiss auch so positiv darstellen, nicht die einen als Gewinner und die anderen als Verlierer.
Das, glaube ich, ist oft sehr schlecht. Die Bevölkerungen sehen sich dann oft auf der Verliererseite, wenn sie nicht hundertprozentig mit ihren Forderungen durchgedrungen sind. Ich glaube, man muss gemeinsam kommunizieren, dass das eben die Art und Weise ist, wie die Europäische Union heute arbeitet, dass wir in unserer Solidarität an alle denken, aber gleichzeitig auch eine Solidarität brauchen, im Endeffekt Kompromisse durchzutragen.
Simon: Also ist Europa heute immer noch kein Elitenprojekt?
Ferrero-Waldner: Für mich ist Europa keineswegs ein Elitenprojekt, aber vielleicht nicht gut genug kommuniziert.
Simon: Sie gestalten ja, Frau Ferrero-Waldner, seit vielen Jahren europäische Politik, seit vier Jahren hier als Kommissarin in Brüssel für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik, aber davor natürlich auch als österreichische Außenministerin. Diese aktuelle Krise wegen der schwebenden Ratifizierung, der offenen Ratifizierung des Reformvertrages, ist das eine von vielen, oder steht Europa wirklich jetzt am Scheideweg?
Ferrero-Waldner: Für mich ist das eine von vielen. Ich habe schon sehr viele dieser Krisen miterlebt. Sie haben Recht, ich bin jetzt schon fast 15 Jahre in der aktiven Außenpolitik als Staatssekretärin, Außenministerin und jetzt als Kommissarin, und ich habe immer wieder momentane furchtbare Bestürzung erlebt, Katastrophenstimmung, Krisenstimmung, und habe immer wieder gesehen, wie Europa aus dem eigentlich gestärkt hervor ging. Daher bin ich auch zuversichtlich, dass wir nach einem kleinen Durchhänger wieder weiter gehen können, wobei ich glaube, dass es die Iren selber sein sollten, die hier mit Lösungsvorschlägen kommen, wie sie diese Schwierigkeit des jetzigen nein überbrücken können.
Simon: Also Sie glauben, eine Reform ist möglich, auch wenn die Leute sie immer wieder ablehnen, wenn sie gefragt werden?
Ferrero-Waldner: Ja, weil ich glaube, wir müssen gleichzeitig eben besser kommunizieren was wir tun, denn wir haben ein Europa der Resultate, wenn wir anschauen, was alles gemacht wurde. Natürlich, in dieser schnelllebigen Welt heute denken viele, wir sind nicht schnell genug mit unseren Entscheidungen.
Wenn Sie jetzt sehen, wie kann man Benzinpreise wieder niedriger bringen. Das ist keine Sache, die von heute auf morgen passieren kann, auch wenn man heute Maßnahmen ergreift. Und das, glaube ich, muss man auch den Menschen besser kommunizieren.
Simon: Aber wecken nicht gerade solche Projekte wie die Ankündigung, wir kümmern uns darum, dass die Treibstoffpreise preiswerter werden, damit ihr alle etwas davon habt, zu hohe Erwartungen?
Ferrero-Waldner: Ja, aber wenn man es nicht ankündigen würde, wäre es noch schlimmer. Es gibt immer eine vielleicht zu hohe Erwartungshaltung gegenüber dem, was man realistischerweise tun kann. Ich glaube, es ist auch ganz wichtig für uns alle politischen Entscheidungsträger, dass wir möglichst realistisch die Menschen informieren.
Simon: Frau Ferrero-Waldner, Sie arbeiten wie gesagt seit vier Jahren hier als EU-Kommissarin. Sie kennen den Vorwurf, Europa sei bürgerfern, intransparent, undemokratisch. Der hat ja gerade jetzt wieder stark Konjunktur. Trifft Sie das noch?
Ferrero-Waldner: Es trifft mich, aber gleichzeitig versuche ich, Antworten darauf zu geben. Und ich denke, dass der Lissabonner Vertrag hier viele Antworten darauf gibt. Denn wir haben ja im Vorfeld des Lissabonner Vertrages auch den Menschen zugehört und gefunden, ja, es ist richtig. Die wollen mehr Demokratie. Daher haben nationale Parlamente heute eine bessere Möglichkeit mitzubestimmen, die gelbe Karte, die orange Karte auch der Kommission zu zeigen.
Es gibt die Möglichkeit einer Art Volksbegehrens auf europäischer Ebene in der Zukunft. Das heißt, die Bürger können sich wesentlich mehr einbringen. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, wo wir viel stärker in Zukunft das tun, was eigentlich gefordert wurde. Zum Beispiel werden die Sitzungen des Rates öffentlich sein. Das heißt, da kann der Bürger genau zuschauen, wie läuft denn das ab bei der Entscheidungsfindung. Und dann glaube ich, dass es besonders wichtig ist in meinem Bereich, der Außenpolitik, dass sich die Bürgerinnen und Bürger ja gerade eine verstärkte Außenpolitik der Union wünschen. Sie wollen, dass Europa stark auftritt im Verhältnis zu Russland, zu den Vereinigten Staaten von Amerika und zu den großen neuen Schwellenländern China, Indien et cetera.
Simon: Frau Ferrero-Waldner, vielen Dank für das Gespräch.
Ferrero-Waldner: Danke vielmals.
Benita Ferrero-Waldner: Nun, wie Sie richtig sagen, haben wir lange daran gearbeitet, aber man muss auch zugeben, wir haben natürlich noch nicht alles erreicht, was wir erreichen wollten. Das Neue daran ist jetzt ein wichtiger politischer Impuls, diesen Barcelona-Prozess mit einem neuen Namen noch einmal zu redynamisieren und den Süden mehr einzubeziehen. Daher diese Co-Präsidentschaft, dieses gemeinsame Vorsitzführung des Nordens und des Südens und damit auch die gemeinsame Entscheidung über die Projekte, die angegangen werden sollen.
Diesmal sind es natürlich vor allem große, grenzüberschreitende, transregionale Projekte, wie zum Beispiel Autobahnen in Nordafrika, aber auch maritime Fahrwege - wo es zum Teil schon Vorläufer gab bei uns, aber die jetzt viel stärker aufgezogen werden sollen. Und ein letzter, doch auch sehr wichtiger Punkt: Es sind nicht nur Gemeinschaftsmittel der Europäischen Union, die ja von der Kommission verwaltet werden, sondern zusätzlich vor allem auch der Privatsektor, und private große Geldflüsse sollen hier hereinkommen. Also doch eine gewisse Neuausrichtung Barcelonas, aber eben aus einem enorm wichtigen Grund.
Simon: Was auffällt bei diesen konkreten Projekten - vier sind ja schon umrissen worden - ist, dass es da um Wirtschaft und Entwicklung geht. Demokratie und Menschenrechte werden da speziell nicht mehr genannt. Hängt das damit zusammen, dass man da ein bisschen aufgegeben hat wegen häufiger Erfolglosigkeit im bisherigen Prozess?
Ferrero-Waldner: Das glaube ich nicht, sondern Sie müssen ja bedenken, dass alles, was in Barcelona da ist und da war, da bleibt. Das heißt, hier sind natürlich Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrecht und deren Förderung immer vorgesehen. Das wird also auch in Zukunft bleiben. Und vor allem in meiner, neben diesem regionalen Barcelona-Prozess laufenden bilateralen Nachbarschaftspolitik, die ja eine Politik ist von der Kommission für die Europäische Union mit jedem Staat, also zum Beispiel mit Ägypten, mit Marokko, mit Tunesien und so weiter, da sind selbstverständlich die Reformprojekte und die Demokratisierungsprojekte ganz wichtig im Stellenwert.
Simon: Aber gerade die Staaten, die Sie genannt haben - Ägypten, Tunesien - sind ja Beispiele, dass auch im Rahmen dieser Nachbarschaftspolitik sich die Wirtschaft entwickeln kann, aber es im Bereich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückgeht.
Ferrero-Waldner: In manchen Fällen geht es tatsächlich zurück, in anderen Fällen aber ist es eben eine langsame Entwicklung. Es ist natürlich ein Wandel der Gesellschaft, der gesamten Gesellschaft, den wir anstreben. Der kann nicht von Heute auf Morgen passieren. Aber es sind doch sehr große wesentliche Themen dabei, wie zum Beispiel eine Justizreform, die wieder für die Rechtsstaatlichkeit sehr wichtig ist.
Simon: Wie sinnvoll ist insgesamt eine Union für das Mittelmeer, eine gemeinsame Politik für alle, wenn man sieht, wie unterschiedlich die Länder sind. Ich nenne nur mal Türkei, Marokko, Israel?
Ferrero-Waldner: Nun, das war ja der Grund, warum wir neben der regionalen Politik im Barcelona-Prozess diese bilaterale Nachbarschaftspolitik entwickelt haben. Trotzdem, glaube ich, ist es wichtig, dass man die gesamte Union mit dem Bereich des Mittelmeeres sieht, denn wenn wir denken, dass wir doch hier eine gemeinsame Geburtsstätte oder eine gemeinsame Wiege für die europäische Kultur haben, wo die großen drei monotheistischen Religionen zu Hause waren, wo wir enorme Geschichte geprägt haben, die uns ja heute noch prägt, wenn man zurückgeht auf die verschiedenen Völker - von den Phöniziern im Handel, über die Griechen, die die Kultur und die Kunst geprägt haben, über die Römer mit der Rechtsstaatlichkeit. Da glaube ich, ist eben enorm viel Gemeinsames da, das man nicht verlieren sollte.
Simon: Da haben Sie kulturell-geschichtlich sicher recht, aber wenn wir ganz pragmatisch mal heute auf den Tag schauen: Unter diesen genannten Staaten sind etliche mit Regierungschefs, die noch nicht einmal auf das selbe Foto wollen. Die praktischen Probleme, ganz unbenommen der Geschichte, sind doch gravierend.
Ferrero-Waldner: Die praktischen Probleme sind aber auch Probleme heutiger politischer Fragen, die noch nicht gelöst sind. Die waren da im Barcelona-Prozess, die werden auch in diesem Unionsprozess für das Mittelmeer da sein. Und hier spreche ich vor allem an den israelo-palästinensischen Konflikt, aber selbstverständlich auch Fragen, wie zum Beispiel die Westsahara, die Marokko und Algerien auseinanderbringt.
Simon: Ja, und dieser Konflikt, wie Sie richtig gesagt haben, der bleibt. Kann man da überhaupt noch eine Politik draufsetzen, bevor nicht der Konflikt gelöst ist?
Ferrero-Waldner: Barcelona war ja schon der Ansatz, dass man sagt: Wir wollen trotz dieser politischen Probleme, die noch nicht gelöst sind, miteinander arbeiten. Denn durch die wirtschaftliche Verflechtung, durch die kulturellen Programme, durch die Möglichkeiten, auf allen Gebieten miteinander zu arbeiten, können wir vielleicht auch leichter die großen schwierigen politischen Fragen lösen. Das wird ähnlich auch in dieser neuen Mittelmeer-Union sein.
Simon: Aber Sie, die Sie das Programm seit vier Jahren verwalten, die Mittel einsetzen, Sie wissen am besten, dass aus diesem Wunsch eben nur sehr teilweise etwas geworden ist.
Ferrero-Waldner: Das ist richtig, und deshalb bin ich auch immer wieder dafür, dass man eben neue Ansätze, neue Blickpunkte sucht und eine neue Dynamik bringt. Deshalb war ich von Anfang dafür, wenn es ein Projekt ist, wo die gesamte Europäische Union dahinterstehen kann.
Simon: Sie haben den Nahost-Konflikt als eines der großen Probleme jeder Partnerschaft mit den Ländern am südlichen und südöstlichen Rand des Mittelmeeres skizziert. Nun gibt es in diesem Jahr eine Entwicklung: Sie haben von Israel erfahren, dass Israel gerne bei wichtigen Entscheidungen hier in Brüssel mit am Tisch sitzen würde in diversen Gremien.
Das geht ganz klar über alles hinaus, was im Rahmen der von Ihnen skizzierten europäischen Nachbarschaftspolitik möglich ist, es wäre auch ein großes Problem für die Zusammenarbeit mit den arabischen und den islamischen Ländern. Wie weit kann die Zusammenarbeit Israels mit der EU gehen?
Ferrero-Waldner: Wir sind gerade dabei, nach einem ersten Reflektionsprozess jetzt innerhalb unserer verschiedenen Arbeitsgruppen zu sehen, wie weit können wir wirklich mit Israel einen zusätzlich verstärkten Prozess haben. Selbstverständlich wird er nicht so weit gehen können, dass Israel irgendwo im Entscheidungsprozess eine Rolle spielen kann. Das gilt sowohl für Israel, das gilt aber auch für alle anderen Länder der Nachbarschaftspolitik oder für andere strategische Partner. Was aber möglich sein wird, ist zum einen vielleicht eine stärkere Einbindung Israels in und auch beim Mitmachen bei den Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, auf der anderen Seite auch ein Eintritt in manche der Gemeinschaftsprogramme und der Gemeinschaftsmöglichkeiten, auch der Projekte. Wenn Sie sich zum Beispiel vorstellen, das siebte Rahmenprogramm für Wissenschaft und Forschung - das ist etwas, wo wir glauben, dass beide davon profitieren könnten. Und solche konkreten Ansätze sind dabei gemeint.
Simon: Die euromediterane Partnerschaft, also das, aus dem jetzt auch die Union für das Mittelmeer hervorgeht, war ja als Ausgleich gedacht für die Osterweiterung - auf Drängen der südlichen Mitgliedsländer der EU. Jetzt fordern bereits andere EU-Staaten, und der Gipfel im Juni hat das ja unterstützt, die Beziehung zu sechs Ländern im Osten der EU weiter zu verstärken. Da wirkt bereits die europäische Nachbarschaftspolitik, aber man will eine vertiefte Beziehung. Nur um drei von den Ländern zu nennen: Dazu gehören unter anderem die Ukraine, Armenien und Aserbaidschan. Warum müssen wir Europäer uns um Aserbaidschan kümmern?
Ferrero-Waldner: Armenien und Aserbaidschan haben zum Beispiel schon zu dieser Nachbarschaftspolitik gehört. Das heißt, die waren schon Länder in unserem Blickfeld, wo wir fanden, wir müssen ihnen mehr Stabilität, mehr Sicherheit, aber auch mehr Wohlstand bringen - übrigens genauso wie Georgien zum Beispiel, aber auch Ukraine, Moldawien und hoffentlich eines Tages auch Weißrussland.
Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass wir diese Stabilität, die wir selber innerhalb der Europäischen Union erreicht haben, immer mehr nach außen strahlen und auch dort diese Stabilität helfen, zu verankern - indem wir wirtschaftliche und politische Reformen unterstützen, indem wir aber auch durch Hilfszahlungen oder durch Hilfsgelder wesentliche Projekte fördern, die zu einer wirtschaftlichen Förderung beitragen und die zum Beispiel dazu beitragen, dass wesentlich mehr Investitionen kommen. Das gilt selbstverständlich auch für diese Länder.
Trotzdem möchte ich sagen, dass wir schon unter der deutschen Präsidentschaft, also vor einem guten Jahr, überlegt haben: Was können wir an regionalem Ansatz im Osten bringen? Und wir haben uns gedacht, diese Länder, die Sie erwähnt haben, plus die, die ich genannt habe, und die Nachbarn, die da sind - zum Beispiel im Schwarzmeerraum, dass sind Türkei und Russland -, sollten eben hier gemeinsam an Projekten beteiligt sein, die für sie alle etwas bringen, wie zum Beispiel im Bereich des Umweltschutzes. Wenn Sie bedenken, wie wichtig es ist, auch saubere Meere zu haben, oder im Bereich des Transports oder aber der Energie, ganz wichtige Fragen heute.
Simon: Sie sprachen gerade die Türkei an. Es gibt nur ganz wenige Europa-Politiker, die begeistert für einen Beitritt der Türkei zur EU werben. Und die Stimmung der Bevölkerung ist in den meisten EU-Staaten noch negativer. Wie kommt es dann, dass die Türkei auf einem langen Weg zum Beitritt ist?
Ferrero-Waldner: Deshalb, weil die Staats- und Regierungschefs in einem bestimmten Moment ein ja zum Kandidatenstatus für die Türkei gesagt haben. Nun, wir sind in einem langen Verhandlungsprozess, da haben Sie vollkommen Recht, der meiner Ansicht nach immer noch ergebnisoffen ist.
Es ist zwar der Prozess grundsätzlich zu einer möglichen Aufnahme der Türkei, aber es ist dabei enorm viel zu tun. Es sind viele Verpflichtungen da, die erfüllt werden müssen. Und jedes neue Kapitel wird ja eröffnet mit Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedsstaaten, wird aber auch geschlossen mit deren Einstimmigkeit. Und so wird man nur Schritt für Schritt voran kommen, aber immer genau sehen, was die Türkei wirklich an Verpflichtungen auch umsetzt.
Simon: Es ist nun eine neue Variable in die Diskussion um Beitritte gekommen, nämlich die bis jetzt ausstehende Ratifizierung des Vertrages von Lissabon, also der Reform der Europäischen Union. Der amtierende Ratspräsident Nicolas Sarkozy hat diese Woche noch einmal im Europaparlament gesagt, so lange dieser Vertrag nicht ratifiziert ist, fehlt jede Basis für neue Erweiterungen. Teilen Sie diese Ansicht?
Ferrero-Waldner: Ich habe vor einigen Tagen schon gesagt, erstens haben wir einen Verhandlungsprozess. Dieser Verhandlungsprozess soll in jedem Fall weiter gehen. Und zweitens ist es so, dass wir zum Beispiel mit Kroatien die Verhandlungen auch begonnen haben auf dem jetzigen Vertrag.
Gleichzeitig sehe ich natürlich die Notwendigkeit, kohärenter zu werden, wenn wir neue Mitglieder aufnehmen, denn es ist bereits jetzt nicht immer einfach, mit 27 am Tisch Sitzenden eine schnelle Entscheidungsführung herbeizuführen. Daher ist mir wichtig, dass wir jetzt weiter verhandeln. Das, glaube ich, sollte vorläufig unser Ausblick sein. Parallel dazu bin ich zuversichtlich, dass wir Lösungen finden, auch um beim Lissabonner Vertrag zur endgültigen Ratifizierung zu kommen.
Simon: Noch mal zu Kroatien. Würden sie da eine Sonderregelung - falls es diese Ratifizierung vorher nicht gibt - befürworten, dass Kroatien noch aufgenommen werden kann?
Ferrero-Waldner: Ich sage noch einmal: Ich glaube, jetzt müssen wir zuerst einmal den Verhandlungsprozess mit Kroatien weiterführen. Und ich bin zuversichtlich, dass dann, wenn Kroatien seinen technischen Verhandlungsprozess abgeschossen haben wird, dass dann auch der Lissabon-Vertrag bereits in Kraft ist.
Simon: Es heißt ja immer, Europa brauche den Reformvertrag unter anderem für eine stärkere, bessere Außenpolitik. Welche Außenpolitik kann die EU denn derzeit nicht machen oder macht sie schlechter, weil ihr die Instrumente aus dem Lissabonner Vertrag fehlen?
Ferrero-Waldner: Mir geht es vor allem darum zu sagen, dass es vor allem die Entscheidungsrasche ist. Wir können nicht schnell genug entscheiden, wir können nicht kohärent genug sein. Wenn sie denken, wie lange es braucht, bis alle 27 Mitgliedsstaaten sich wirklich in eine Richtung begeben und mit einer Stimme sprechen, wie wir das ausdrücken, sei es zum Beispiel in der Energiefrage. Es wird zwar nach dem Lissabonner Vertrag nicht alles möglich sein und alles gemeinschaftlich zu tun sein, aber es wird eine Solidaritätsklausel da sein für die Energiefragen. Das heißt, dann können wir alle gemeinsam stärker eine Energieschiene betonen. Das können wir derzeit grundsätzlich nicht.
Simon: Sie, Frau Ferrero-Waldner, würden ja - wenn der Lissabonner Vertrag ratifiziert wäre - einiges an Macht und Mitteln verlieren, nämlich die Hälfte Ihrer Zuständigkeiten, die Außenbeziehungen, wenn die Außenpolitik dann Sache des Hohen Repräsentanten, des De-facto-EU-Außenministers wäre. Hat die bisherige Aufgabenteilung zwischen Ihnen und zum Beispiel Herrn Solana oder Herrn Michel, hat die die Politik der Europäische Union behindert?
Ferrero-Waldner: Also, ich glaube, wir bemühen uns enorm, miteinander zu arbeiten. Und deshalb glaube ich nicht, dass wir viel behindert haben. Man kann vielleicht noch besser arbeiten, wenn man dann eine einfache Struktur hat. Im übrigen hätte ich nicht so viel verloren. Ich hätte wahrscheinlich den politischen Teil der Arbeit verloren, aber keineswegs die Mittel und auch nicht die Nachbarschaftspolitik. Das muss man einmal dazu sagen.
Aber grundsätzlich ist es so, wenn es eine einheitliche Struktur gibt, wo sozusagen eine Hierarchie da ist, dann ist es, glaube ich, insgesamt noch leichter, schneller koordinierte Positionen zu haben. Das ist mehr der Hintergrund. Ich glaube, es geht gar nicht um die zwei Persönlichkeiten an der Spitze. Es geht mehr um den gesamten Apparat, der hier zusammen rückt und der dann durch einen diplomatischen auswärtigen Dienst auch zusätzlich unterstützt werden könnte, der bis jetzt in dieser Form, wo Politik und Außenhilfe zusammen fallen, doch nicht gegeben ist.
Simon: Ein Teil der Erfolgsgeschichte der Europäischen Union ist die erfolgreiche Befriedung des Kontinents. Das hat die EU bisher vor allem immer geschafft mit Beitrittsversprechen, die diszipliniert und befriedet haben. Wenn es jetzt aufgrund der Situation, dass es vielleicht keine Ratifizierung des Lissabonner Vertrages gibt, keine neuen Beitrittsversprechen mehr geben kann, wie schafft die EU es dann?
Ferrero-Waldner: Nun, die Nachbarschaftspolitik ist ja schon eine Politik, die ganz bewusst die Länder um uns näher heranführen will, aber gleichzeitig keine Beitrittsperspektive im jetzigen Zustand gibt. Daher kann man viel machen, aber man kann vielleicht nicht alles machen, denn ein Mittel haben wir natürlich nicht: eine gewisse verstärkte Zwangsverpflichtung, die gegeben ist. Wenn man in einen Club aufgenommen werden will, muss man natürlich der Reihe nach alle die Verpflichtungen eingehen, die in dem Club eben die normalen Spielregeln sind. Trotzdem kann man aber viel mit positiven Incentives, mit positiven Anreizen machen. Und das versuchen wir.
Simon: Wenn wir noch mal auf die derzeitige Situation schauen, einige Europa-Politiker, darunter auch Ihr Parteifreund Wolfgang Schüssel, der frühere österreichische Kanzler, wünschen sich gerade jetzt deutlichere Bekenntnisse der Politiker zu Europa, der Politiker in den nationalen Regierungen. Und er sagt, die trauten sich einfach nicht, zuzugeben, dass es mehr Europa brauche, um mit den Herausforderungen fertig zu werden. Ein Mangel an Leidenschaft, das ist sein Befund. Sehen Sie das auch so?
Ferrero-Waldner: Jedenfalls ein Mangel an Leidenschaft, aber vielleicht auch manchmal ein Mangel an Wissen, dass heute die globalen Herausforderungen nur mehr gemeinsam gemeistert werden können. Das ist eines der Dinge, die ich immer in meinen Reden anspreche. Wenn Sie an den Klimawandel denken, an die Fragen der Energiesicherheit, an den Terrorismus, ja sogar an die großen Fragen die jetzt anstehen mit höheren Lebensmittel- und Energiepreisen, dann kann doch - das sage ich immer ganz klar - ein einziges Land allein und ein kleineres Land schon gar nicht, aber auch ein größeres Land diese Herausforderungen nicht meistern.
Das können wir nur im Verbund als großes Europa, dem ja heute schon die großen Schwellenländer entgegenstehen, wenn Sie an China und Indien denken, und natürlich die Amerikaner und Japaner als die großen Länder ohnehin, oder Russland.
Simon: Das wissen aber, auch wenn Sie das jetzt gerade anders gesagt haben, natürlich die Vertreter der nationalen Regierungen genau. Wenn diese es nicht sagen, haben sie Angst um ihre politische Daseinsberechtigung, oder ist es politisch in dem aktuellen Klima nicht opportun?
Ferrero-Waldner: Ich glaube, manche denken, dass es politisch vielleicht nicht opportun sei, weil die eigenen Bevölkerungen zum Teil sehr skeptisch geworden sind. Warum? Weil sehr oft unsere Bürgerinnen und Bürger einen absoluten Vorteil im Moment für sich sehen wollen und zum Teil in Österreich die Lebensqualität und die gute wirtschaftliche Entwicklung im Denken der Menschen abgekoppelt ist von dem, was ihnen Europa gebracht hat, aber nicht abgekoppelt werden kann.
Simon: Sie brachten das Beispiel Österreich. Die Leute sehen es nicht, vielleicht auch, weil die nationalen Regierungen alles, was gut läuft, als ihren Erfolg herausstellen. Liegt es daran auch?
Ferrero-Waldner: Das kann zum Teil eine Rolle spielen, ja.
Simon: Trotzdem bleibt die Frage: Es gibt diese negative Stimmung in der Bevölkerung, die derzeit in vielen Ländern zu finden ist. Wie kann man denn, wenn alle irgendwo einsehen, auch wenn sie es nicht laut sagen, dass man mehr Europa braucht bei wichtigen Fragen, wie kann man das machen, wenn die Bevölkerung, wenn sie mal gefragt wird, jedes Mal nein sagt?
Ferrero-Waldner: Zum einen glaube ich, muss man besser kommunizieren. Und zwar alle: Die europäischen Politiker, die nationalen Politiker, die regionalen und die lokalen. Und zwar besser kommunizieren in dem Sinn, dass wir dann, wenn wir einen Kompromiss haben als Resultat eines langen Verhandlungsprozesses, diesen Kompromiss auch so positiv darstellen, nicht die einen als Gewinner und die anderen als Verlierer.
Das, glaube ich, ist oft sehr schlecht. Die Bevölkerungen sehen sich dann oft auf der Verliererseite, wenn sie nicht hundertprozentig mit ihren Forderungen durchgedrungen sind. Ich glaube, man muss gemeinsam kommunizieren, dass das eben die Art und Weise ist, wie die Europäische Union heute arbeitet, dass wir in unserer Solidarität an alle denken, aber gleichzeitig auch eine Solidarität brauchen, im Endeffekt Kompromisse durchzutragen.
Simon: Also ist Europa heute immer noch kein Elitenprojekt?
Ferrero-Waldner: Für mich ist Europa keineswegs ein Elitenprojekt, aber vielleicht nicht gut genug kommuniziert.
Simon: Sie gestalten ja, Frau Ferrero-Waldner, seit vielen Jahren europäische Politik, seit vier Jahren hier als Kommissarin in Brüssel für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik, aber davor natürlich auch als österreichische Außenministerin. Diese aktuelle Krise wegen der schwebenden Ratifizierung, der offenen Ratifizierung des Reformvertrages, ist das eine von vielen, oder steht Europa wirklich jetzt am Scheideweg?
Ferrero-Waldner: Für mich ist das eine von vielen. Ich habe schon sehr viele dieser Krisen miterlebt. Sie haben Recht, ich bin jetzt schon fast 15 Jahre in der aktiven Außenpolitik als Staatssekretärin, Außenministerin und jetzt als Kommissarin, und ich habe immer wieder momentane furchtbare Bestürzung erlebt, Katastrophenstimmung, Krisenstimmung, und habe immer wieder gesehen, wie Europa aus dem eigentlich gestärkt hervor ging. Daher bin ich auch zuversichtlich, dass wir nach einem kleinen Durchhänger wieder weiter gehen können, wobei ich glaube, dass es die Iren selber sein sollten, die hier mit Lösungsvorschlägen kommen, wie sie diese Schwierigkeit des jetzigen nein überbrücken können.
Simon: Also Sie glauben, eine Reform ist möglich, auch wenn die Leute sie immer wieder ablehnen, wenn sie gefragt werden?
Ferrero-Waldner: Ja, weil ich glaube, wir müssen gleichzeitig eben besser kommunizieren was wir tun, denn wir haben ein Europa der Resultate, wenn wir anschauen, was alles gemacht wurde. Natürlich, in dieser schnelllebigen Welt heute denken viele, wir sind nicht schnell genug mit unseren Entscheidungen.
Wenn Sie jetzt sehen, wie kann man Benzinpreise wieder niedriger bringen. Das ist keine Sache, die von heute auf morgen passieren kann, auch wenn man heute Maßnahmen ergreift. Und das, glaube ich, muss man auch den Menschen besser kommunizieren.
Simon: Aber wecken nicht gerade solche Projekte wie die Ankündigung, wir kümmern uns darum, dass die Treibstoffpreise preiswerter werden, damit ihr alle etwas davon habt, zu hohe Erwartungen?
Ferrero-Waldner: Ja, aber wenn man es nicht ankündigen würde, wäre es noch schlimmer. Es gibt immer eine vielleicht zu hohe Erwartungshaltung gegenüber dem, was man realistischerweise tun kann. Ich glaube, es ist auch ganz wichtig für uns alle politischen Entscheidungsträger, dass wir möglichst realistisch die Menschen informieren.
Simon: Frau Ferrero-Waldner, Sie arbeiten wie gesagt seit vier Jahren hier als EU-Kommissarin. Sie kennen den Vorwurf, Europa sei bürgerfern, intransparent, undemokratisch. Der hat ja gerade jetzt wieder stark Konjunktur. Trifft Sie das noch?
Ferrero-Waldner: Es trifft mich, aber gleichzeitig versuche ich, Antworten darauf zu geben. Und ich denke, dass der Lissabonner Vertrag hier viele Antworten darauf gibt. Denn wir haben ja im Vorfeld des Lissabonner Vertrages auch den Menschen zugehört und gefunden, ja, es ist richtig. Die wollen mehr Demokratie. Daher haben nationale Parlamente heute eine bessere Möglichkeit mitzubestimmen, die gelbe Karte, die orange Karte auch der Kommission zu zeigen.
Es gibt die Möglichkeit einer Art Volksbegehrens auf europäischer Ebene in der Zukunft. Das heißt, die Bürger können sich wesentlich mehr einbringen. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, wo wir viel stärker in Zukunft das tun, was eigentlich gefordert wurde. Zum Beispiel werden die Sitzungen des Rates öffentlich sein. Das heißt, da kann der Bürger genau zuschauen, wie läuft denn das ab bei der Entscheidungsfindung. Und dann glaube ich, dass es besonders wichtig ist in meinem Bereich, der Außenpolitik, dass sich die Bürgerinnen und Bürger ja gerade eine verstärkte Außenpolitik der Union wünschen. Sie wollen, dass Europa stark auftritt im Verhältnis zu Russland, zu den Vereinigten Staaten von Amerika und zu den großen neuen Schwellenländern China, Indien et cetera.
Simon: Frau Ferrero-Waldner, vielen Dank für das Gespräch.
Ferrero-Waldner: Danke vielmals.