Archiv


Den Tod als Schönheitsschlaf

Wenig Vorgänge, viele Bilder - in Guy Joostens Inszenierung von Verdis "Luisa Miller" spielt sich die gesamte Tragödie auf der Drehbühne ab. Eine blutjunge Luisa, eine durchtriebene Federica und ein mordender Rodolfo sind treffende Figuren in der Schiller-Adaption von "Kabale und Liebe". Leider klaffen das musikalische und das szenische Niveau in Leipzig nach wie vor auseinander.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Mord im Glaskasten. Die Fenster, die Türen verschlossen. Ein junger Mann in Perücke und Puderquaste irrt durch das Riesen-Monstrum von halb modernem Büro, halb Irrenanstalt. Er rüttelt an den Türen, kommt nicht raus. Die Häscher suchen nach ihm, stechen zu. Blut spritzt an die Wände. So beginnt zur Ouvertüre mit ihren schlangenartig bohrenden Motiven die Leipziger Aufführung von Verdis Schiller-Adaptation "Luisa Miller" alias "Kabale und Liebe".

    Und das Bühnenbild von Johannes Leiacker mit seinem gläsernen Quader in der Mitte der Drehbühne und den Lagerstätten für die beiden jungen Frauen - das Krankenbett für Luisa hie, die der Grafen-Sprössling Rodolfo alias Ferdinand liebt, und der Ottomane für Federica alias Lady Milford dort, die der Sohn nach dem Willen des Vaters aus Karrieregründen heiraten soll, dies Bühnenbild erzählt fast schon alles über die Inszenierung von Guy Joosten.

    An der Kopfseite des Glasquaders ist noch das Büro des penibel seinen garantiert wurmfreien Granny-Smith-Apfel schälenden Bürohengsts Wurm untergebracht. Der Sekretär als gleichsam Maulwurf wandernd zwischen den beiden Welten, scharf ebenfalls auf Luisa, wälzt dort seine Akten und verstaut die Dokumente in seinem Köfferchen.

    Regisseur Guy Joosten inszeniert kaum Vorgänge. Er lässt die Drehbühne rotieren und stellt darauf Bilder. Ein wichtiges Element dabei der Chor. In rot-schwarzen Kostümen mit Tirolerhütchen - Verdi ließ aus Zensurgründen den Schauplatz von einem absolutistischen Duodezfürstentum verlegen in ein unverdächtigeres Grafen-Milieu - , der Chor singt mal der Soldatentochter Luisa, mal der Möchtegernbraut Federica ein Ständchen.

    Immerhin die Figuren sind doch recht gut getroffen: Die blutjunge Luisa mit dunklem Kräuselhaar im weißen Engelskleid wird gezeichnet als zur Hysterie neigend - fast wie eine Lucia di Lammermoor. Als am Ende Rodolfo zu ihr kommt, um sie wegen vermuteter Untreue zu ermorden, greift sie, wenn auch unwissend, gierig zum Gift. Den Tod malt sie sich aus als besseren Schönheitsschlaf.

    Federica andererseits ist die durchtriebene Megäre, einäugig, fordernd, grob. Von Rodolfo will sie vor allem das eine, und schnell lüftet sie das Mieder. Mit Brautkleid und Brautstrauß gerüstet kommt sie in den Glaspalast, um die Sache zu regeln. Und sie tut erbost, als Rodolfo ihr den Brautstrauß vor die Füße wirft.

    Kontrastierend auch die beiden Väter. Walter, Rodolfos Vater, auf dunklen Wegen zu Geld gekommen, eine hagere Figur mit spitzem Bart und der Lieblings-Beschäftigung: Billard spielen und intrigieren. Der Vater Luisas dagegen: Glatze, die Unschuld seiner Tochter wie ein Wolf verteidigend. Am Ende, wenn die beiden jungen Leute tot sind, mustern die beiden Väter einander wie beim Stierkampf.

    Riccardo Frizza am Pult gibt rasche Tempi vor und lässt Verdis von innerer Erregung aufgeladene Musik vom Leipziger Gewandhausorchester mit Verve spielen. Freilich führt das zu permanentem Forcieren bei den Sängern, und Konstyantyn Andreyev als Rodolfo hat da im letzten Drittel doch erhebliche Schwierigkeiten.

    Giovanni Furlanetto gibt den Grafen mit voluminösem Bass. Marco Vratogna singt den Vater Miller mit großer stimmlicher wie darstellerischer Kraft. Seine Tochter Luisa ist von Fiorella Burato als eher überspanntes denn engelsgleiches Wesen angelegt. Das Publikum dankte am Ende allen mit Ovationen. Mit guten Verdi-Aufführungen war man in Leipzig ja lange nicht verwöhnt. Allerdings klaffen das musikalische und das szenische Niveau doch nach wie vor auseinander.