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Denis Scheck zum Tode von Harry Rowohlt
"Er war einer der großen Bären und Bärentreiber"

"Er ist eine der angenehmsten und geistreichsten Erscheinungen des literarischen Lebens gewesen": DLF-Literaturkritiker Denis Scheck zum Tode seines langjährigen Freundes Harry Rowohlt - und warum er es stets vermied, dessen Lesungen zu besuchen.

Denis Scheck im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 16.06.2015
    Der Schriftsteller Harry Rowohlt , aufgenommen am 13.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Der Schriftsteller Harry Rowohlt , aufgenommen am 13.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main. (picture alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi)
    Doris Schäfer-Noske: Harry Rowohlt hat "Pu, der Bär" kongenial übersetzt und ihm seine Stimme gegeben. Er war ein Multitalent: Übersetzer englischer Literatur, Rezitator, Kolumnist, Schriftsteller, Schauspieler – er spielte den Penner Harry in der "Lindenstraße" – Harry Rowohlt war ein Original mit widerspenstiger Mähne und eindrucksvollem Bart und eine nicht weg zu denkende Figur des deutschen Literaturbetriebs. Gestern Abend ist er im Alter von 70 Jahren gestorben. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Harry Rowohlt hat sogar über seine unheilbare Nervenkrankheit gewitzelt. Vor 70 Jahren in Hamburg geboren als Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt und der Schauspielerin Maria Pierenkämper, hätte er eigentlich den Verlag übernehmen sollen. Nach dem Abitur war er dann auch Lehrling im Suhrkamp Verlag und volontierte kurz im Rowohlt Verlag. Nach dem Tod seines Vaters 1960 erbte er 49 Prozent des Rowohlt-Verlags. Und er hätte einsteigen können, aber er entschied sich dagegen. Frage an meinen Kollegen Denis Scheck: Warum?
    Denis Scheck: Na ja, Harry Rowohlt, Frau Schäfer-Noske, war ein sehr kluger Mensch und er hat mal eine Formulierung gebraucht: Freiheit sei, wenn man morgens aufwache und sich frage, was man heute tun könnte, und Zwang sei, wenn man aufwache und es wisse. Und er wollte einfach nicht den Zwang in seinem Leben haben, indem er es annimmt. Er hat sich dann aber interessanterweise ein viel, viel schlimmeres Joch gewählt, nämlich das literarische Übersetzen.
    Ein untypischer Übersetzer
    Schäfer-Noske: Er begann dann mit der Übersetzung eines Kinderbuches, "The Last Man Alive". Insgesamt hat er knapp 200 Bücher übersetzt. Und wenn dann "Deutsch von Harry Rowohlt" auf den Büchern stand, dann war das ja für viele Leser ein Gütesiegel. Was hat denn seine Übersetzungen ausgemacht?
    Scheck: Er ist ein sehr untypischer Übersetzer insofern gewesen, weil man vom Übersetzer ja eigentlich immer diese Chamäleon-Qualitäten erwartet, also das totale Negieren des eigenen literarischen Ichs, die Mimikry des fremden Stils. Das konnte Harry Rowohlt auch, wenn er wollte, aber er ging eigentlich da in eine andere Schule, in die Schule, für die der Name literaturhistorisch von Wieland steht. Ich denke an Wielands große Shakespeare-Übersetzungen. Man kann nämlich auch übersetzen, indem man etwas ganz sich selber dem eigenen Ausdrucksvermögen anverwandelt. Arno Schmidt hat das auch getan. Das ist ein bisschen schwierig. Aber Harry Rowohlt ist da an die Grenzen gegangen und hat schlauerweise sich natürlich Autoren gewählt, die zu seiner literarischen Identität sehr gut passten. Ich denke an den wunderbaren Amerikaner Padgett Powell, dann natürlich an Flann O'Brien. Das ist nun wirklich sein Lebensautor geworden in "Schwimmen-zwei-Vögel", der große Roman. Oder an A. A. Milne von "Pu der Bär". Das sind Autoren, die so sehr mit seiner Stimme, übrigens auch der Stimme des Vortragskünstlers Harry Rowohlt verschmolzen sind, dass er sie wirklich zu seinen Autoren gemacht hat. Und es stimmt: Es gab ganz viele begeisterte Harry-Rowohlt-Leser, die im Grunde nach jedem Buch griffen, wenn es nur Harry Rowohlt übersetzt hat.
    Harry Rowohlt war ein begnadeter Entertainer
    Schäfer-Noske: Sein Vater, Ernst Rowohlt, soll ja nach einer Schwejk-Lesung des Sohnes an seinem Sterbebett ihm geraten haben, nicht Verleger, sondern Schauspieler zu werden. Was hatte er da für ein Talent?
    Scheck: Na ja. Harry Rowohlt hat als Kind zunächst relativ lange nicht gesprochen und sein erster Satz war angeblich eine Dialogzeile aus Medea von Jean Anouilh, die da lautet: "Ich habe gelogen, betrogen, gestohlen, meine Hände sind schmutzig." Ob das eine Legende ist - man ist geneigt, es dafür zu halten -, weiß ich nicht. Was ich aber weiß ist, dass natürlich Harry Rowohlt ein begnadeter Entertainer war, und zwar auch außerhalb der Bühne. Er war eine der angenehmsten und der geistreichsten Erscheinungen unseres literarischen Lebens, einer der großen Bären und Bärentreiber, darf man sagen. Nicht umsonst waren seine Lesungen gefürchtet. Wir waren relativ gut und lange befreundet, Harry Rowohlt und ich. Ich habe es aber immer vermieden, eine Lesung von ihm zu besuchen. Warum? - Weil er nicht an die übliche Vortragsdauer von 90 Minuten sich gebunden fühlte, sondern gerne auch drei, vier, fünf, ich hörte auch einmal von sechs Stunden das vollführte, was er "Schausaufen mit Betonung" nannte. Er las dann aus eigenen Texten und hatte glänzende Essays dabei und ich habe Tränen des Gelächters, Lachtränen darüber vergossen. Aber ich selber empfand das immer ein bisschen wie eine Geiselnahme. Dennoch: Die Massen strömten dahin und eine Harry-Rowohlt-Lesung ist einer der ganz großen unvergesslichen Momente gewesen des literarischen Lebens, ohne Frage.
    Schäfer-Noske: Welche Bedeutung hatte er denn als Autor und Publizist?
    Scheck: Wenn Sie sich dabei ertappen, eine Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" nur deshalb am Kiosk zu erwerben, weil Sie eine Hoffnung haben, dass ein kleines Kästchen im Feuilleton darin erscheinen könnte, das unregelmäßig erscheint und obendrein nur alle zwei, drei Monate, nämlich "Pooh's Corner", Harry Rowohlts legendäre Zeitungskolumne, wenn Sie diese Wochenzeitung nur aus dem einzigen Grund kaufen, weil Sie "Pooh's Corner" lesen wollen, dann ist das ein ziemlich überragender Journalist. Er ist eben einer der Nachfolger der ganz großen Feuilletonisten aus den 1920er-Jahren, der eine unverkennbare Stimme für sich gefunden hat. Ich denke an eine legendäre Kolumne, wo er sich über die Übersetzerin Angela Praesent lustig machte, die so sehr mit Übersetzerpreisen überhäuft wurde. Der Running Gag der Kolumne war: Die Tür fällt zu, Angela Praesent erhält einen Übersetzerpreis. Das sind wirklich Miniaturdramen gewesen, die er da entwickelte, und er hatte die Fähigkeit, das sprachlich in eine so perfekte Form zu gießen, dass man beschwingt durch den ganzen Donnerstag ging, nur weil man Harry Rowohlts Kolumne gelesen hatte, echte Highlights des literarischen Lebens.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.