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Deniz Gamze Ergüvens neuer Film "Kings"
Hollywood mit South Central

Florian Henckel von Donnersmark hat es erlebt. Oliver Hirschbiegel ebenso. Beide sind mit ihren englischsprachigen Regiedebüts baden gegangen. Eine Erfahrung, die jetzt auch die türkisch-französische Filmemacherin Deniz Gamze Ergüven mit dem Drama "Kings" gemacht hat.

Von Jörg Albrecht | 04.09.2018
    Die türkisch-französische Filmemacherin, Deniz Gamze Ergüven: Ihr Film "Mustang" ist für den Auslands-Oscar nominiert; Aufnahme vom November 2015
    Die Filmemacherin Deniz Gamze Ergüven (picture alliance / dpa)
    "Du willst meinen Orangensaft stehlen" - "Nein, will ich nicht."
    Die Ladenbesitzerin Soon Ja Du hat gerade einen schwarzen Teenager erschossen. Mit der wahren Begebenheit der am 16. März 1991 getöteten 15-jährigen Latasha Harlins eröffnet Deniz Gamze Ergüven ihren Film "Kings". Schauplatz ist South Central, der soziale Brennpunkt in Los Angeles. Doch nicht nur Raubüberfälle und Morde - auch Polizeiwillkür und -gewalt gegen Menschen afroamerikanischer Herkunft - sind hier an der Tagesordnung. Ein ganzer Stadtteil steht kurz davor zu explodieren. Fragwürdige Gerichtsurteile, wie im Fall Latasha Harlin, gießen weiteres Öl ins Feuer und schüren den Hass vor allem unter der schwarzen Bevölkerung.
    "Also wer ist dabei Soon Ja Du umzulegen? Wir sollten sie erschießen. Was denkst du, Nicole?"- "Am besten tut man nur das, was man tun will." Auch das entspricht den Tatsachen: Joyce Karlin, die Richterin in dem Fall, hat die Täterin nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. "Wach auf, Los Angeles! Wach auf!"
    Geschichte um eine fiktive Figur
    Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund - auch die Prügelattacke von vier nicht-schwarzen Polizisten auf Rodney King ist nur wenige Wochen vorher geschehen - vor diesem Hintergrund, den auch der Filmtitel "Kings" spiegelt, hat Deniz Gamze Ergüven eine Geschichte um eine fiktive Figur entworfen, die von Halle Berry gespielt wird. Millie Dunbar, die in South Central lebt, hat aus ihrem Haus einen Hort für Straßenkinder gemacht. Selbstlos kümmert sich Millie um acht Jungen und Mädchen. Deren Alterspanne reicht vom Kleinkind bis zum fast erwachsenen Jugendlichen.
    "Du wolltest nicht noch mehr Kinder aufnehmen - Ich weiß. Aber seine Mutter ist im Gefängnis und das Haus ist versiegelt. Ich rufe morgen früh sofort das Jugendamt an. Aber ich kann nicht den Jungen nicht einfach auf der Straße lassen."
    Eindimensionale Figuren
    Während die Figurenzeichnungen sowohl von Millie als Mutter Teresa von Los Angeles als auch die ihrer Schützlinge komplett eindimensional sind, hat Regisseurin Ergüven vergessen, Daniel Craig als Millies Nachbar überhaupt einen Charakter zu geben. Der wandelt sich völlig unmotiviert vom launisch-cholerischen Stinkstiefel zu Millies Retter aus einer Notlage, als die mit dem Gesetz in Konflikt gerät.
    "Ich dachte, du bist die Normale hier. Komm her!" - "Ich muss meine Jungs finden." - "Setz dich!" -"Meine Babys."
    Ähnlich undurchschaubar wie Craigs Figur hangelt sich "Kings" von Szene zu Szene. Deniz Gamze Ergüven hat wohl angenommen, das Pulverfass L.A. durch hektische Handlungsstränge, schnelle Bildfolgen und eingebettete Original-TV-Aufnahmen greifbar zu machen. Doch das Resultat ist unfokussiert, unausgegoren und manchmal unfreiwillig komisch.
    Auch andere Kollegen sind schon gescheitert
    Natürlich ist es löblich, wenn - wie im Fall von "Kings" - europäische Filmemacher bei ihrem beruflichen Ausflug in die USA die Chance bekommen, die eigenen Filmideen und Drehbücher umzusetzen. Ihr Scheitern wiegt dann allerdings umso schwerer.
    Das haben auch schon andere Kollegen erleben müssen - so zum Beispiel die dänische Regisseurin Susanne Bier. Ihre - übrigens ebenfalls mit Halle Berry in der Hauptrolle besetzte - erste US-Produktion "Eine neue Chance" war zwar gar nicht so übel, kommerziell aber ein Flop. Bevor dann ihr zweiter Hollywood-Versuch "Serena" mit Jennifer Lawrence völlig misslang. Und auch Daniel Craig hat vor einigen Jahren in einem Misserfolg eines europäischen Regisseurs mitgewirkt.
    Hollywood und South Central: Knallhartes Pflaster
    "Die Straßensperren waren erst der Anfang. Die haben Quarantäne verhängt. Der Stadtteil wird hermetisch abgeriegelt."
    Der Science-Fiction-Horror "Invasion" war das Hollywood-Debüt von Oliver Hirschbiegel, der längst wieder in Deutschland seine Filme dreht. Und auch Florian Henckel von Donnersmarck, dessen "Das Leben der Anderen" die letzte deutsche Produktion war, die als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, ist nach seinem verunglückten Romantikthriller "The Tourist" mit Angelina Jolie und Johnny Depp wieder in die Heimat zurückgekehrt. Das hat Hollywood mit South Central gemeinsam. Beide Stadteile von Los Angeles sind ein knallhartes Pflaster.