Freitag, 19. April 2024

Archiv

Denkmal
Erinnern nicht vorschreiben lassen

In Leipzig soll ein Einheits- und Friedensdenkmal errichtet werden, das an den Mauerfall vor 25 Jahren erinnern soll. Doch das Vorhaben ist umstritten - und stößt bei den Leipzigern auf wenig Gegenliebe. Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie an die Ereignisse von 1989 denken sollen.

Von Nadine Lindner | 09.07.2014
    Silvester 1989 in Berlin
    Silvester 1989 in Berlin - Feier auf der Mauer (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kumm)
    Gemächlich zuckelt die Linie 8 um den Innenstadtring. Nächste Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz/ Platz der Friedlichen Revolution. Platz der Friedlichen Was? - denkt so mancher Leipziger, denn still und leise wurde einer der größten Plätze der Innenstadt umbenannt. Zumindestens im Nahverkehr. Es ist ein weiteres Kapitel in der an Absurditäten nicht armen Geschichte des Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmals. Die Deutsche Bahn und die Leipziger Verkehrsbetriebe waren ihrer Zeit voraus und hatten schon mal den Namen geändert. Möglicherweise war das etwas vorschnell, denn in der kommenden Woche könnte das Bauvorhaben ganz beerdigt werden, erklärt der Pressesprecher der Stadt, Matthias Hasberg: "Es gibt einen Antrag der Linken für die Stadtratssitzung, wo es um zwei Punkte geht, zum einen schlägt die Linke vor, das jetzige Verfahren zu beenden und zum anderen schlägt sie vor, einen Bürgerentscheid herbeizuführen."
    Kritik am Auswahlverfahren
    Sollte der Stadtrat dem Antrag der Linken zustimmen, dann ist das bisherige Verfahren, dann sind die drei Entwürfe, so umstritten sie auch sein mögen, Makulatur. Bei der Linkspartei hegen sie neben der Kritik an dem verkorksten Auswahlverfahren vor allem grundsätzliche Bedenken. Wer darf eigentlich festlegen, wie sich die Bürger von Leipzig an die Friedliche Revolution erinnern sollen, fragt Skadi Jennicke, die kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion: "Viele haben Angst, dass ihr subjektives Empfinden in diesem Denkmal nicht abgebildet wird. Diese Erfahrung haben viele Leipziger in den vergangenen 25 Jahren gemacht."
    Es geht um Authentizität, um Glaubwürdigkeit. Und es geht um die Deutungshoheit der Ereignisse, die das Leben der Menschen in der Stadt grundlegend verändert haben. Jennicke: "Und der Übergang vom individuellen Gedächtnis ins kulturelle Gedächtnis, ins kollektive Gedächtnis, der hat offenkundig noch nicht stattgefunden." Die Veränderungen würden nicht durchweg positiv gesehen, mahnt die Politikerin von den Linken, das dürfe bei aller Freude über den Mauerfall nicht vergessen werden: "Und dann kommt noch hinzu, dass viele Leute nach 1989 keine Aufstiegserfahrung gemacht haben und diese Erfahrung werden sie ihnen auch nicht nehmen."
    Umstrittener Standort des geplanten Denkmals
    Kritik gab es im Laufe der Jahre auch immer wieder am geplanten Standort des Denkmals: dem Wilhelm-Leuschner-Platz, den man getrost als die berühmteste Brache Leipzigs bezeichnen kann. Direkt am Rand der Innenstadt erstreckt sich eine große Betonfläche, die heute teilweise als Parkplatz genutzt wird und ansonsten einfach nur da ist. Doch anders als die Nikolaikirche, der Ring oder der Augustusplatz, gab es hier am 9. Oktober 1989 keine Demonstrationen. Das muss auch Stadtsprecher Matthias Hasberg einräumen, bei einem pragmatischen Erklärungsversuch: "Der Leuschnerplatz liegt am Ring. Von daher ist auch eine natürliche Verbindung zum Herbst 1989 da. Aber er war in dem Sinne nie Zentrum der Demonstrationen. Das wissen auch alle. Auf der anderen Seite ist halt Platz dort, das darf man auch nicht vergessen. Wenn Sie sich das Völkerschlachtdenkmal angucken, dort, wo das Denkmal heute steht, hat auch nie eine Schlacht stattgefunden."
    Ungeliebt, weil als unnötig befunden, ist das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal auch bei denjenigen, die damals mitdemonstriert haben, wie Egbert Pietsch, heute Geschäftsführer des Stadtmagazins Kreuzer: "Je länger dieser Tag zurückliegt, desto pompöser werden die Erinnerungen. Das schlägt dann einfach in eine Verlogenheit um, die man einfach nicht mehr gut finden mag."
    Initiative für Denkmal ging von Berlin aus
    Die Initiative für das Denkmal war von Berlin aus gegangen. Auch deshalb wird es von den Leipzigern - räumlich wie gedanklich - als Fremdkörper empfunden. 2007 hatte die Bundesregierung beschlossen, zwei Denkmäler zu bauen, eins in Berlin und eins in Leipzig. Sogar ein Einweihungsdatum legte sie fest: den 9. Oktober 2014. Doch der Siegerentwurf eines künstlerischen Wettbewerbs, ein geometrisches Farbenfeld, stieß auf öffentlichen Protest, es wurde später durch den Entwurf "Herbstgarten" ersetzt, der aber in der Stadt auch keine Euphorie auslöste.
    "Ich halte das Verfahren für gescheitert. Das Verfahren wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu Ende geführt werden. Eine viel zu komplizierte Themensetzung, und zum Schluss auch handwerkliche Fehler, in dem dann noch mal nachgebessert werden sollte und auf einmal der Dritte der Erste wurde", sagt Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion. Die ursprünglichen Sieger des Wettbewerbs hatten gegen ihre Zurückstufung geklagt und Recht bekommen. Danach forderten SPD, CDU und Grüne den Ausstieg aus dem Wettbewerbsverfahren. Dyck: "Und ich war ja derjenige, der das in der Öffentlichkeit so deutlich ausgesprochen hat. Dass dann auch andere sich nun endlich auch dazu bekennen konnten, dass es nun nicht mehr so weitergeht."
    Bund und Land stehen zur Finanzierungszusage
    Der Stadtrat könnte dies in der kommenden Woche einläuten. Der Bund und das Land Sachsen, die das Denkmal bezahlen, haben derweil ihre Zusage über 6,5 Millionen Euro erneuert, so dass irgendwann ein neues Auswahlverfahren angestoßen werden könnte. Die Leipziger Verkehrsbetriebe werden - auch aus Kostengründen - vorerst nicht wieder zum alten Namen der Haltestelle am Innenstadtring zurückkehren. Und so umkurven die Leipziger Straßenbahnen den Platz der Friedlichen Revolution - immer noch als Brache, immer noch ohne Denkmal.