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Denkmalschutz für Deutschlands Theaterlandschaft?

Nicht nur in Berlin und in Weimar haben es die Sprech- und Musikbühnen schwer. Das Theater hängt am Tropf der gebeutelten Kommunen und ist gefährdet. In Weimar versucht man eine drohenden Schließung durch das umstrittene Weimarer Modell zuvorzukommen. Mehrjähriger Verzicht auf Tarifsteigerungen und eine Prämien- und Bonussystem soll Entlassungen und Spartenschließung vermeiden helfen. Die kulturpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer hat sich heute erneut für einen Konferenz im Rahmen der UNESCO Tagung 'Immaterielles Kulturerbe' für eine Konferenz über bedrohte deutsche Theater ausgesprochen. Dem Vorschlag der grünen Bundestags-Vizepräsidentin widerspricht der ehemalige Sprecher des Bühnenvereins.

Michael Köhler sprach mit Antje Vollmer und Wolfgang Ruf |
    Vollmer: Ich habe jetzt angefangen, nicht in diesem kleinen Tarifkampf weiterzukämpfen, sondern das Bewusstsein insgesamt anzuheben, was wir hier haben. Dieses flächendeckende System von Drei-Sparten-Theatern, die auch in mittleren Städten verankert sind, und wo das Publikum ein unglaubliches Geschenk der Demokratie hat, nämlich den Zugang von der Klassik bis zur Avantgarde-Kultur in vielen Premieren und in allen drei großen Sparten von Tanz, Sprechtheater und Opernbühne. Und wenn man das erhalten will, muss man erst mal das Bewusstsein dafür heben und dann aber auch die Bedingungen so machen, dass nicht einzelne starke Theaterleiter siegreich hervorgehen können, sondern dass das System insgesamt gesichert wird, und dazu gehört Planungssicherheit und künstlerische Freiheit.

    DLF: Sie sprechen von den Kostbarkeiten der deutschen Theaterlandschaft. Nun gibt es nicht wenige, die sagen: Muss es sein, dass beispielsweise an Rhein und Ruhr alle 25 km ein Opernhaus steht? Reicht da nicht auch ein anderer Radius? Frage: Muss nicht an der Stelle statt einer großen Theaterrettungskonferenz nicht eine Effizienzkonferenz stehen, oder haben wir gerade die Unternehmensberater nicht nötig?

    Vollmer: Ich glaube, dass die Theater unter sich gespart haben, was nur geht. Ich bin aber mit meinem Vorschlag auf etwas gestoßen, was es auf UNESCO-Ebene schon gibt, nämlich es hat in Istanbul jetzt die dritte Konferenz stattgefunden zum Thema 'Immaterielles Kulturerbe', das heißt die UNESCO hat sich nicht nur seit 1972 um die historischen Stätten gekümmert, sondern auch jetzt um das immaterielle Erbe in überlieferter Dichtung, Sitten, Bräuche und Traditionen. Und genau da passt diese besondere gewachsene Theaterlandschaft rein.

    DLF: Ist das ein Plädoyer für den ausdrücklichen Erhalt der deutschen Drei-Sparten-Theaterlandschaft?

    Vollmer: Andere Länder haben leere Theaterhäuser, und da ziehen Billigkompanien durch das Land, die an einem Abend einen Auftritt haben, und damit es läuft, damit es ein Publikumsmagnet ist, müssen drei große Stars bezahlt werden. Das ist aber gerade nicht die Idee unseres Ensemble-Theaters. Das Ensemble lebt in den Städten, und ich betrachte ein Abonnement inzwischen als eine sinnvolle Investition in das Gemeinwesen.

    DLF: Mitgehört hat Wolfgang Ruf, über zehn Jahr lang von Mitte der Achtziger bis Mitte der neunziger Sprecher des Deutschen Bühnenvereins und Chefredakteur der Zeitschrift Deutsche Bühne. Er hält dagegen und sagt, ein weniger kompliziertes, weniger kostenträchtiges Theater, bedeutet nicht weniger Kunst, täglicher Programmwechsel sei nicht nötig, wenn man das deutsche Theater erhalten wolle. Andere europäische Nachbarn machen es vor.

    Ruf: Ich finde es immer begrüßenswert, wenn Politiker sich für Kultur und in diesem Falle für Theater so engagiert einsetzen. Ich bin allerdings doch etwas überrascht, wie wenig Politiker Bescheid wissen. Wenn ich etwa höre, dass es vielleicht noch in Dänemark und Russland ein bisschen interessantes Theater gäbe und ansonsten nur kommerzielles, dann stehen mir die Haare doch schnell zu Berge. Man könnte das ausführen. Es gibt eine ungemein breite vielfältige staatlich subventionierte Theaterlandschaft in Frankreich mit mehreren Nationaltheater, nicht nur in Paris. Ich spreche jetzt keineswegs von einer freien Szene und auch nicht von einer kommerziellen Szene, die etwa erfolgreiche Musicals spielen. Ähnliches gilt für die Niederlande, für ganz Skandinavien, sogar für die USA. Der Unterschied zu Deutschland ist nur, dass diese Theater in diesen Ländern flachere Hierarchien haben, kostengünstiger organisiert sind. Das lohnt sich alles zu studieren, um Anregungen für das deutsche Theater zu gewinnen. Die Gruft des deutschen Theaters scheint mit, dass hierzulande ständig die Meinung aufrechterhalten und auch in diesem Falle von Frau Vollmer bestätigt wird, dies sei nun die einzige und außergewöhnlichste Theaterform, ein Modell, um das uns die ganze Welt beneide usw.

    DLF: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist es im wesentlichen ein Problem des Managements, und es ist durchaus kein Verlust, wenn man nicht jeden Abend das Programm wechselt, wenn man ruhig vier Wochen lang ein Stück spielt und dann auch Gelegenheit hat sozusagen, ach Gott, jetzt gibt man dem Stück eine Zeit. Man erfährt in einer anderen Stadt davon und kann immer noch hinfahren, ohne dass das Stück schon abgesetzt ist.

    Ruf: Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Angers in der französischen Provinz, eine relativ kleine Stadt, hat ein kleines Schauspiel; die machen vielleicht vier bis fünf Produktionen im Jahr. Ich habe da vor ein paar Jahren ein Stück gesehen, Minna von Barnhelm von Lessing, die erste Aufführung in Frankreich seit über zwei Jahren, eine neue Übersetzung, eine Ästhetik wie bei der Schaubühne. Die Aufführung war so gut, dass sie anschließend noch 40 Mal in Paris gezeigt werden konnte. Dies scheint mir ein Beispiel von Umgang mit Theater, wie wir es nicht kennen. In einer vergleichbaren Stadt wäre eine Minna von Barnhelm abgelaufen vor einem einheimischen Publikum, weiterhin kaum beachtet. Ich hoffe es wird klar, es ist ein völlig anderes System. Die Bedeutung einzelner Produktionen an vielen unserer Bühnen ist eben bei der Riesenüberproduktion, die wir auch haben, oft nicht sehr groß, und es wird in sie auch oft nicht genügend Vorbereitung und intensive Arbeit investiert.

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