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Denkverbot durch Antisemitismus-Vorwurf?

Was ist antisemitisch? Diese Frage hat derzeit das Kölner Landgericht zu klären. Der Publizist Henryk M. Broder hat Evelyn Hecht-Galinski, Zitat: "antisemitisch-antizionistische Statements" vorgeworfen. Er gründet seinen Vorwurf unter anderem auf eine Sendung im WDR, in der Hecht-Galinski die Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit derjenigen der Nazis gegenüber den Juden verglichen habe. Frau Hecht-Galinski bestreitet diesen Vorwurf. Niemals habe sie einen entsprechenden Vergleich gezogen, auch in der betreffenden Sendung nicht. Herrn Broder hat sie auf Unterlassung des Ausdrucks "antisemitische Statements" verklagt.

Von Kersten Knipp | 01.09.2008
    Wohl aber sprach sie von einer "jüdisch-israelischen Lobby", der sich Politiker und Medien weltweit beugen würden. Tatsächlich gehören solche Sätze zum zentralen Inventar des klassischen Antisemitismus, greifen den alten Topos der jüdischen Weltverschwörung auf, der nun auf die Gegenwart bezogen wird. Gerade in Deutschland hat das Wort von der "jüdisch-israelischen Lobby" einen zumindest sehr merkwürdigen Zungenschlag.

    Darf man Frau Hecht-Galinski darum aber den Vorwurf des Antisemitismus machen? Frau Hecht-Galinski bezog ihre Äußerungen nicht auf die Juden als solche, sondern auf die Politik des israelischen Staates gegenüber den Palästinensern. Sind sie darum trotzdem antisemitisch? Das hat nun das Kölner Gericht zu klären. Ein Urteil wird für Anfang September erwartet.

    So lange aber wird sich Frau Hecht-Galinski einem der schlimmsten Vorwürfe ausgesetzt sehen, dem man einem oder einer Deutschen nur machen kann, nämlich Antisemit zu sein, auch wenn der Betroffene, wie Frau Hecht Galinski, selber jüdischer Herkunft ist. So sah es auch Patrick Bahners, der Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der auf den Totschlag-Charakter der Bezeichnung hinwies. Wer die Beschreibung eines Gegners als eines Antisemiten durchsetzen könne, habe ihn aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.

    Ein Sieg Broders vor Gericht wäre daher nicht als Sieg der Meinungsfreiheit einzustufen: Vielmehr würde der Spielraum der Meinungsfreiheit genutzt, um ihn einzuschränken.
    Kritiker Israels sollten auf diese Weise eingeschüchtert werden.

    Am Samstag antwortete Broder darauf in der FAZ. Es sei in der Tat so, schrieb er, dass man den Antisemitismus im Gegensatz zu Volt, Watt oder Ampere nicht objektiv definieren könne. Eben dieser Umstand zwingt Broder aber, seine Beschuldigungen seinerseits auf Basis von Mutmaßungen, vielleicht sogar Unterstelllungen zu gründen. Natürlich führt die Unmöglichkeit, Antisemitismus eindeutig zu definieren, zu abstoßenden Sprachspielen: Jeder Antisemit kann sich auf sie berufen und behaupten, er sei eben kein Antisemit. Auf der anderen Seite bietet die Schwierigkeit einer exakten Definition aber auch Raum für Unterstellungen:

    Wer Antisemit ist und wer nicht, hängt dann von der Weltsicht dessen ab, der diesen Vorwurf erhebt. "Was aber", schreibt Broder in seinem Text in der FAZ, "wenn ein 'Israel-Kritiker' - er setzt den Begriff in Anführungszeichen - "in der Tat ein verkappter Antisemit ist und seine Haltung nur als 'Antizionismus' beziehungsweise 'Israel-Kritik'" - auch diese beiden Begriffe setzt Broder in Anführungszeichen - "definiert?"

    Ja, was dann? Aber was auch, wenn ein Israel-Kritiker als "verkappter Antisemit" bezeichnet oder eben denunziert wird?

    Genau darauf wies heute auch der Politikwissenschaftler Alfred Grosser hin. Er schrieb, ebenfalls in der FAZ: "Die Methode hat sich bewährt. Einerseits versucht man einzuschüchtern, andererseits breitet man den Schleier des Antisemitismus über das Gesagte aus, um nicht die dargestellten Fakten widerlegen zu müssen." Zitat Ende.

    Wo hört Israel-Kritik auf und wo fängt Antisemitismus an? Ob Bahners dafür einen zuverlässigen Lackmustest entwickelt habe, fragte Broder in seinem Artikel. Man kann vermuten: Er hat es nicht. Natürlich gibt es viele Fälle von Antisemitismus, da liegt die korrekte Einschätzung auf der Hand. Im Fall von Frau Hecht-Galinski kann man das nicht so eindeutig sagen. Und da auch Broder keinen Lackmustest entwickelt hat, bewegt er sich auf der Ebene der Unterstellung.