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"Deportation Class"
Ein bedrückender Film über Abschiebung

Wenn ein Land als sicher deklariert wird, dann dürfen deutsche Behörden Asylbewerber dorthin abschieben. Was die deutsche Abschiebepraxis für die betroffenen Flüchtlinge - aber auch für die ausführenden Polizeibeamten bedeutet, zeigt die Dokumentation "Deportation Class" in erschreckend nüchternen Bildern.

Von Hartwig Tegeler | 01.06.2017
    "Deportation Class" zeigt die deutsche Abschiebepolitik aus nächster Nähe
    "Deportation Class" zeigt die deutsche Abschiebepolitik aus nächster Nähe (Deportation Class)
    2016. Nachts, 3:30 Uhr, Friedland, Mecklenburg-Vorpommern. Gezim J., 42 Jahre alt, ein Jahr in Deutschland, steht in Unterhose und Unterhemd mit seiner Familie im Flur der kleinen Wohnung vor einem Aufgebot aus Polizei und Beamten der Ausländerbehörde. Nicht zu vergessen der Innenminister des Landes, Lorenz Caffier, CDU. Es wird Recht vollzogen. Caffier sieht die Abschiebung allerdings offenbar als Gelegenheit, sich im Wahlkampf vor den Kameras der Dokumentarfilmer als Hardliner zu inszenieren und dabei auf "guter Kumpel" mit den Polizeibeamten zu machen. Es wird abgeschoben. Das alles, nachts, 3:30 Uhr, nicht im Lichte der Öffentlichkeit, sondern im Dunkel der Nacht. Ausnahmsweise ist diesmal eine Kamera, die von Carsten Rau und Hauke Wendler, dabei.
    "Ich bin bekannt dafür, dass ich, ja, nicht zimperlich grundsätzlich", aber, betont der Innenminister, wie auch die anderen aus den sogenannten "Zuführkommandos", bestehend aus Polizisten und Mitarbeitern der Ausländerbehörden, immer wieder betonen: Abschiebung geschieht im Rahmen des geltenden Rechts. Das steht nicht in Frage, aber das ist auch der Panzer, hinter dem sich die Offiziellen verstecken: Rechtmäßigkeit und eine Sprache, in der jede Form von Menschlichkeit getilgt ist, wenn die Beamten - im Amtsdeutsch - von einer "aufenthaltsbeendenden Maßnahme" sprechen.
    "Mit der heutigen Abschiebung mittels Charterflug ab Rostock-Lage nach Albanien findet die insgesamt dritte und letzte dieser Woche statt."
    Die beiden Regisseure Carsten Rau und Hauke Wendler
    Die beiden Regisseure Carsten Rau und Hauke Wendler (Deportation Class)
    "Deportation Class" ist ein sachlicher Dokumentarfilm. Carsten Rau und Hauke Wendler schildern die Abschiebungs-Serie in Mecklenburg-Vorpommern im letzten Jahr am Beispiel zweier albanischer Familien. Es gibt die Behördenvertreter, die ihre Arbeit beschreiben, und im Gegenschnitt die Statements der Abgeschobenen. Eine einfache, unspektakuläre, hier aber höchst wirkungsvolle Dramaturgie. Als Gezim J. in dieser Nacht aus seiner Wohnung geholt und nach Albanien abgeschoben wird, ist seine Tochter Solina, 12 Jahre alt, auf Klassenreise im Harz:
    "Das war so wie eine Bombe"
    "Das war so wie eine Bombe. Vier Tage war ich auf Klassenfahrt im Harz. Und dann bin ich nach Hause gekommen. Mit dem Bus. Meine Großmutter und meine Mutter haben auf mich gewartet nach der Schule und dann habe ich gefragt: 'Wo ist mein Vater? Warum ist er nicht da?' Und dann hat sie gesagt, er ist zurück jetzt. Also, in Albanien."
    Kurze, man möchte sagen, böse Umschnitte geben dem Dokumentarfilm "Deportation Class" einen dunklen Tiefenton, der die Brutalität dessen, was hier passiert, verdeutlicht. Während Polizist Martin Tramp kommentiert:
    "Soweit ist die Lage unter Kontrolle," schneiden die Filmemacher um auf den 18-jährigen Elidor im Bus, der ihn zum Flughafen bringen wird, von wo aus es zurück nach Albanien gehen wird. Elidor hat sein Gesicht in den Händen vergraben. Seiner Mutter, seinem Bruder, seiner Schwester und ihm drohen in Albanien der Tod; über ihnen schwebt eine Blutrache. Für die Behörden kein Grund, Asyl zu gewähren.
    Elidors Traum von einem Leben in Deutschland ist geplatzt
    Elidors Traum von einem Leben in Deutschland ist geplatzt (Deportation Class)
    "Sie rechnen also tatsächlich damit, dass sie, wenn sie wieder in ihr Heimatland, sprich Albanien, abgeschoben werden, dass sie dort umgebracht werden. Sie wollen nicht mit."
    Solche Schicksale lässt Einsatzleiter Martin Tramp aus Stralsund nicht an sich herankommen.
    "Wir dürfen, können und werden keine Emotionen zeigen"
    "Ist keine Belastung, ist unser Dienst, das ist das, was wir machen. Dazu sind wir eingeteilt, das nehmen wir emotionslos hin. Also, wir dürfen, können und werden auch keine Emotionen zeigen. Das ist Recht und Gesetz; die sind ausreisepflichtig und das gilt es umzusetzen."
    Das alles läuft - wie gesagt - gemäß deutscher Gesetze ab. Doch Carsten Rau und Hauke Wendler erwecken in ihrer Doku nicht den Eindruck, als seien die Abschiebungen aus Deutschland menschlich legitim. Die Filmemacher besuchen in Albanien schließlich noch Gezim und seine Familie, deren Traum von einem besseren Leben in Deutschland zerplatzt ist. Und "Deportation Class" widmet sich in seinen letzten Bildern Elidor und seiner Familie. Ebenfalls in Albanien. Wir sehen, wie die beiden Brüder, ihre Schwester und ihre Mutter mit den Koffern das Haus ihrer Tante verlassen müssen, weil auch die sich vor der Blutrache fürchtet. Früher im Film zitierte die Anwältin Sonja Steffen aus einem amtlichen albanischen Dokument.
    "Dass durch die Blutfehde das Leben der Familienangehörigen zu jeder Zeit und an jedem Ort auf albanischen Territorium gefährdet ist."
    Mit Zahlen meint der Beamte Menschen
    Der Beamte am Flughafen Rostock-Lage meint gegen Ende: "Die Zahlen seien ordnungsgemäß angeliefert worden". Die Zahlen? Er meint die Menschen! Menschenverachtende Behördensprache. Carsten Raus und Hauke Wendlers Film ist ein radikaler Gegenentwurf zu eben dieser Entmenschlichung. Am Ende die Familie, von Blutrache bedroht, nun zwangsrepatriiert in Albanien, mit ihren Koffern auf der Straße.
    "Für uns gibt es nichts mehr. Ich weiß auch nicht, wohin wir gehen."
    Mit diesem quälendem Abschlussbild im Film bekommt die Kritik an der deutschen Asylpolitik und ihrer Abschiebepraxis ihr eindrucksvolles, humanistisches Gewicht.