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Depression
Auf der Suche nach Alternativen für Ketamin

2006 sorgte das Betäubungsmittel Ketamin für Schlagzeilen. Laut einer Studie war es in der Lage, schwere Depressionen innerhalb von Stunden aufzulösen. Außerdem kann die Substanz Halluzinationen verursachen - es gibt eine rege Nachfrage auf dem Partydrogensektor. Die Forscher suchen deshalb nach sichereren Alternativen. Leider weiß aber niemand so genau, wie Ketamin eigentlich wirkt. In der Zeitschrift "PNAS" sorgen Forscher von der Yale University jetzt für etwas mehr Klarheit.

Von Volkart Wildermuth | 09.06.2015
    Bei den meisten Antidepressiva zeigt sich die Wirkung erst nach zwei bis drei Wochen. Für schwer betroffene Patienten ist das zu lange, sagt der Psychiater Roland Duman von der amerikanischen Yale School of Medicine.
    "Ketamin hat hier großes Potenzial, es könnte die Behandlung der Depression revolutionieren, besonders bei Selbstmord gefährdeten Patienten, die können nicht so lange warten."
    So euphorisch sind Forscher der Berliner Charité nach ihren ersten Behandlungserfahrungen nicht. Sie haben Ketamin an Patienten erprobt, die auf einige andere Medikamente nicht angesprochen haben. Immerhin ein Drittel dieser schwer depressiven Menschen berichtete von einer schnellen Aufhellung der Stimmung. Kein Wundermittel, aber vielversprechend. Nebenwirkungen wie Halluzinationen traten zwar auf, beeinträchtigen die Patienten aber kaum. Das sorgte für großes Interesse nicht nur unter den Kranken, sondern auch bei Nutzern von Partydrogen. Einige von ihnen haben sogar versucht, sich in die Studie einzuschleichen. Kein Wunder, dass es ein großes Interesse an sicheren Alternativen zu Ketamin gibt. Doch die sind schwer zu konstruieren, weil der Wirkmechanismus des Medikamentes noch im Dunklen liegt. Ketamin beeinflusst den Neurotransmitter Glutamat, aber daneben noch eine ganze Reihe andere Signalsysteme. Roland Duman versucht deshalb, in Versuchen mit Ratten zumindest den Wirkort des Medikaments im Gehirn einzugrenzen. Im Fokus der Experimente steht ein Teil der vorderen Hirnrinde.
    "Diese Region kontrolliert die Stimmung und die Emotionen. Bei Depressionen und unter ständigem Stress schrumpft sie, die Verbindungen zu den Gefühlszentren verkümmern."
    Hier im infralimbischen Kortex soll Ketamin angreifen. Wenn Roland Duman die Nervenzellen an dieser Stelle blockiert, wirkt das Medikament nicht mehr. Wenn er dagegen Ketamin in genau diese Hirnregion einspritzt, wirken seine Versuchsratten weniger depressiv. Nun kann man eine Ratte nicht nach ihrer Stimmung fragen, aber die Tiere gehen mutiger auf Futter auf einer offenen Fläche ohne Deckung zu, sie geben in einem Dauerschwimmtest nicht so schnell auf und sind auch empfänglicher für Zuckerwasser. Und das alles direkt nach der Behandlung und nicht wie bei anderen Antidepressiva erst nach Wochen. Duman:
    "Ketamin stoppt den Verlust der Nervenzellen und führt sogar zum Aufbau neuer Verbindungen."
    In einem weiteren Experiment konnte Roland Duman den Effekt ganz ohne Medikament erzielen, indem er die Nervenzellen im intralimbischen Kortex erst mit genetischen Tricks lichtempfindlich machte und sie dann gezielt mit einem Laser aktivierte.
    "Es gab eine Kontroverse, ob Ketamin seine Wirkung gegen die Depression über eine Aktivierung oder eine Hemmung der Nerven erzielt. Jetzt ist klar, zentral ist die Aktivierung in genau dieser Region der Hirnrinde. Das wird uns in Zukunft entscheidend helfen."
    Roland Duman ist dabei, herauszufinden, an welchen Rezeptor Ketamin an diesen speziellen Nerven bindet. Wenn das erst klar ist, sollten sich Varianten des Moleküls finden lassen, die schnell gegen die Depression wirken, ohne Halluzinationen oder Suchtprobleme auszulösen. Bis es so weit ist loten Psychiater in Yale, Berlin und anderen Klinken weiter aus, wie groß das Potenzial von Ketamin tatsächlich ist, allerdings unter strenger ärztlicher Kontrolle.