Freitag, 29. März 2024

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Depressionsroman
Selbstauflösung in Echtzeit

Bücher über Depressionen haben Konjunktur, genauso wie diese Krankheit selbst. Der 1978 geborene Autor Benjamin Maack erzählt aus seinem Innersten und legt mit "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein" eines der interessanten Bücher dieses Frühjahrs vor.

Von Jan Drees | 11.03.2020
Benjamin Maacks poetisches Tagebuch "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein"
Benjamin Maack erzählt in seinem neuen Buch von Depressionen (Cover Suhrkamp Verlag)
Eigentlich sei "die Sache mit den Depressionen" überwunden, hat der Hamburger Schriftsteller und Spiegel.de-Redakteur Benjamin Maack gedacht: "Im Frühling zweitausendsiebzehn beende ich meine wöchentlichen Stunden bei der Ärztin. Check. Zwei Monate später beginne ich damit, meine Medikamente auszuschleichen."
Danach bringt Maack seine übriggebliebenen Tabletten zur Apotheke. Doch zu Beginn seiner Erzählung, kurz vorm 40. Geburtstag, ist der vermeintlich Geheilte wieder auf dem Weg in eine Klinik. Die Depression ist zurückgekehrt: "Wir rollen langsam, ganz langsam, Fuß auf der Bremse. Ich sitze am Steuer unseres Familienwagens, der gerade mein Krankenwagen ist."
Poetisches Tagebuch
Die Familie: Das sind seine Partnerin und die beiden Jungs, 3 und 7 Jahre alt. Selbstverständlich wäre Maack lieber bei ihnen. "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein", heißt sein Buch. Bei der Familie in Harburg sein geht aber nicht für die Dauer dieser Erzählung, die vom neuen Krankheitsverlauf, vom fatalen Rückfall in die Dunkelheit, vom Sturz in die Nacht erzählt. Es ist, und darin besteht sein Ereignis, kein Roman, kein Essay, keine Geschichte im eigentlichen Sinne – sondern vielmehr ein poetisches Tagebuch mit kürzesten Einträgen. Oft sitzt Maack vorm Arzt. Manchmal weint er. Irgendwann sagt der Mediziner. "Wer hat sie überhaupt in die Emotionsgruppe gelassen? Sie haben doch gar keine Gefühle."
Diese Stelle wird sich wiederholen, wie viele Szenen, wodurch die Form einer Depression auf den Inhalt des Buchs übertragen wird. Maack berichtet vom Selbsthass und vom Lebensüberdruss, vom Heulen, Schreien, Weinen, von den Psychopharmaka und den Nebenwirkungen, vom Alltag in der Geschlossenen, von höllischen Tagen und auch von diesem Gefühl: "Wie fremd ich der Welt geworden bin, wie fremd ich mir selbst bin."
Viel Nacht und schwarz, kein Sex
Das Wort "Nacht" wird 33 Mal vorkommen, das Wort "Schwarz" 18 Mal. An 23 Stellen steht, was beim schlimmsten Verlauf dieser Krankheit droht: Der Tod. Das Wort Sex taucht nirgendwo auf. Früh nimmt Maack seinen Lesern die letzten Illusionen: "Hier wird am Ende übrigens nicht alles gut. Das hier ist ja nicht mal eine Geschichte."
Benjamin Maacks Buch hebt sich von anderen Depression Memoirs ab. Üblicherweise werden diese Geschichten aus der Sicht bereits Geheilter erzählt. Bei Maack erleben wir in Echtzeit, wie er leidet. Es gibt Brüche, es gibt Ungereimtheiten, es gibt diesen stetig nach unten, in die Depression stürzenden Bewusstseinsstrom.
"Bin ich ein Arsch, oder sind das die Depressionen? (...) Mein Gehirn ist ein Schwamm, vollgesogen mit Medikamenten (...) Vielleicht ein künstliches Koma, bis es vorbei ist. Würden Sie das für mich tun? Darf ich darum bitten –."
Gedankenzerfall auch im Schriftbild
Dieser Leidende sucht nach Auswegen – und einer dieser Auswege könnte ein künstliches Koma sein, womit vorstellbar wird, wie sich ein permanenter wie sich ein nicht aufhören wollender Schmerz anfühlen muss, die psychische Agonie. An einer Stelle wiederholt sich das Wort "fuck" über viereinhalb Seiten, woanders wird der Gedankenzerfall bis ins Schriftbild hinein protokolliert: "Ich kann nicht denken. Ich kann nicht denken. Ich kann nicht denken, ich kann nicht denkennichtdenken, d enk en, enk endenke ndenkenden."
Im diesem Sinn- und Wörtersuchen erinnert Maack an David Foster Wallace’ Depressionserzählung "Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur üblen Sache", erstmalig 1984 in einer Studentenzeitschrift erschienen; damals ein Skandalon. Inzwischen ist die Seelen-Betrübtheit in unserer Gesellschaftsmitte angekommen. Benjamin Maack ist es gelungen, den vorherigen Depressions-Geschichten eine neue hinzuzufügen. Die Druckfahnen seines Buchs hat er 2019 in der Psychiatrie korrigiert. Danach ist er entlassen worden. Mit "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein" hat er sich selbst von der Depression entlassen – und so produktiv seine Krankheit ist für die Literatur; man mag ihm wünschen, dass sie niemals wiederkommt.
Benjamin Maack: "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein"
Suhrkamp Verlag, Berlin, 334 Seiten, 18 Euro