Archiv


Der 20. Juli hat an Aufmerksamkeit gewonnen

Schäfer-Noske: "Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird." Dieses Zitat stammt von Klaus Schenk Graf von Stauffenberg. Heute am 60. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, werden die Widerständler von einst aber von einer großen Mehrheit der Deutschen bewundert. Gleichzeitig wird immer wieder betont, diese überwiegend positive Bewertung sei relativ neu. Dabei könnte man denken, spätestens seit der Zeit der Achtundsechziger sei die Rehabilitierung der in den ersten Nachkriegsjahren als Verräter betrachteten Attentäter abgeschlossen gewesen. Auch der Historiker Joachim Fest hat geschrieben, der 20. Juli sei immer ein Gedenktag zweiter Klasse gewesen. Ich habe ihn gefragt, ob ihm der 20. Juli in diesem Jahr erstmals ein Gedenktag erster Klasse ist.

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Fest: Das kann man sagen. Es ist fast etwas viel, was in diesem Jahr geschieht. Wenn man in das Fernsehen sieht, sind ja alle Kanäle voll mit Erinnerungen und alten Sendungen über den 20. Juli, über einzelne Beteiligte, die überlebt haben. Ich entdecke auch mit Erstaunen, dass es vier oder fünf Stauffenberg-Filme schon gegeben hat. Beim 50. Jahrestag war ich einmal zu einem Auftritt gebeten in der Heidelberger Universität. In diesem Jahr habe ich ungefähr an die 25 Termine gehabt. Es ist eine große Aufmerksamkeit da. Ich hoffe, das hält vor.

    Schäfer-Noske: Wie begründen Sie sich, dass der 20. Juli jetzt am 60. Jahrestag doch so deutlich mehr Aufmerksamkeit erhält als noch in den vergangenen Jahrzehnten?

    Fest: Da kommt sicher vieles zusammen. Ich glaube einmal, dass die Medien so einen Gedenktagsfuror entwickelt haben. Was einen Gedenktag hat, kommt auch in den Medien vor. Das müsste allerdings vor zehn Jahren auch schon so gewesen sein, war aber nicht. Vielleicht hat es auch mit gewissen Mangelempfindungen zu tun, die die Deutschen haben, die auf eine Geschichte zurückblicken, die voll von Negativsymbolen ist, und vielleicht spüren sie da, es müsste auch etwas dagegenzusetzen sein. Eine Nation, die nur aus Verwerflichkeit besteht, sind wir schließlich auch nicht.

    Schäfer-Noske: Mit welchen Argumenten konnte man denn den Attentätern in der Vergangenheit den Respekt versagen? Denn wenn sie Erfolg gehabt hätten, dann wären ja Millionen Menschen vor dem Tod bewahrt worden. Wie war das in der Nachkriegszeit in der DDR oder auch bei den Achtundsechzigern?

    Fest: Na ja, das spielt natürlich eine Rolle, so eingeübte oder eingewurzelte Obrigkeitsreflexe. Sie waren eben Verräter. Das hat sehr lange nach dem Kriege vorgehalten. Von den Achtundsechzigern hätte man im Grunde genommen ein Umdenken erwarten können, aber unpolitisch und kopflos wie sie waren, haben sie natürlich nur das ideologische Vorzeichen bei den Attentätern gesehen, bei vielen jedenfalls, und bei den Regimegegnern. Die waren ihnen zu rechts, zu deutschnational, konservativ und was auch immer. Das war einfach nicht die richtige Couleur. Die DDR hat das Gegenstück zu dem, was in der Bundesrepublik vorherrschte, getan. Sie hat eben nur den kommunistischen Widerstand gefeiert. Die Bundesrepublik selber hat sehr wenig dazu getan, von offizieller Seite jedenfalls. Am 10. Jahrestag des 20. Juli 1954 hat Theodor Heuss gesprochen. Das war ein Mann, der ja selbst zum weiteren Umkreis des Widerstands gehörte. Solange Adenauer Kanzler war, der 20. Juli widersprach seinem Aussöhnungsbedürfnis oder seinem Konzept der Aussöhnung der Deutschen untereinander. Der 20. Juli hat immer Gräben aufgerissen in der frühen Nachkriegszeit. Das passte Adenauer nicht, und deswegen hat er, obwohl er selber ein Regimegegner war, mit großer Zurückhaltung darauf reagiert. Also so ist von allen Seiten immer das dem 20. Juli abträgliche Argument hervorgebracht worden, um ihn nicht zu feiern. Was dahinter steht, ist sehr schwer zu sagen. Möglicherweise mag diese egalitäre Gesellschaft, in der wir leben, eben keine Vorbilder. In jedem Vorbild steckt auch immer ein stiller, unausgesprochener Vorwurf.

    Schäfer-Noske: Schauen wir noch ein bisschen in die Zukunft. Darf man denn das Attentat vom 20. Juli künftig in einem Atemzug mit dem Widerstand etwa der Weißen Rose nennen?

    Fest: Ja, warum nicht? Auch Georg Elser gehört dazu, und der Solf-Kreis und viele kleine Zirkel, die sich überall im Lande gebildet haben. Auch die Berliner, die Juden in ihren Gartenhäuschen und sonst wo versteckt gehalten haben, all das gehört dazu. Natürlich ist das alles Widerstand gegen ein totalitäres Regime. Ich finde, es hat bisher dies alles noch keine genügende historische Würdigung erfahren durch die Historiker selber, aber auch im Öffentlichen fängt jetzt mit dem 20. Juli womöglich etwas an, was in der Folgezeit dann auch zu einem größeren Respekt vor der Zivilcourage der Leute führt, die gegen den Zeitgeist, gegen das Regime, gegen die Bespitzelung und Bedrohung von allen Seiten getan haben, was sie für menschlich und für richtig hielten.

    Schäfer-Noske: Das war der Historiker Joachim Fest zum 60. Jahrestag des gescheiterten Hitler-Attentats.