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Der alte Mann und die Insel

Am 13. August wird Fidel Castro 80 Jahre alt. Kein anderer Staatsmann auf dem Globus hat so lange die Geschicke seines Volkes gelenkt. Kein anderer Staatsmann eines vergleichsweise so kleinen Landes hat so viel bewegt in der Dritten Welt - vor allem in Lateinamerika und Afrika - wie Castro. Der Máximo Líder hat Geschichte geschrieben, andere haben Geschichten über ihn geschrieben.

Redakteur am Mikrophon: Henning von Löwis |
    Am Nationalfeiertag, am 26. Juli, ist er noch ganz der Alte. Er redet und redet und redet..., scherzt, dass er nicht vorhabe, mit 100 noch zu regieren, und endet mit einem Loblied auf Kubas Nationalhelden José Martí.

    Wenige Tage später gibt er zum ersten Male nach über 47 Jahren die Macht aus den Händen – vorübergehend, wie es in jener Proklamation Fidel Castros an das kubanische Volk vom 31. Juli heißt, die mit den Worten schließt:

    "Der Imperialismus wird Kuba niemals niederwerfen!
    Der Kampf der Ideen geht weiter.
    Viva la Patria!
    Viva la Revolución!
    Viva el Socialismo!
    Hasta la Victoria Siempre!

    Fidel Castro Ruz
    Comandante en Jefe
    Primer Secretario del Partido y Presidente de los Consejos de Estado y de Ministros de la República de Cuba."

    Am 13. August wird Fidel Castro 80 Jahre alt. Kein anderer Staatsmann auf dem Globus hat so lange die Geschicke seines Volkes gelenkt. Kein anderer Staatsmann eines vergleichsweise so kleinen Landes hat so viel bewegt in der Dritten Welt - vor allem in Lateinamerika und Afrika - wie Castro.

    Der Máximo Líder hat Geschichte geschrieben – andere haben Geschichten über ihn geschrieben – kritische und unkritische, wahre und unwahre.

    Wenige Autoren haben sich die Mühe gemacht, das Leben des Revolutionärs und Politikers Fidel Castro so akribisch und detailgetreu zu erforschen und nachzuzeichnen wie der deutsche Castro-Biograph Volker Skierka. Skierka hat mehr als 500 Seiten über Castro zu Papier gebracht – viel Stoff zum Lesen, den man jetzt auch hören kann.

    "Der Heldenmythos. Eines ist sicher: Wo immer er sein mag, wann immer und mit wem auch immer. Fidel Castro ist da, um zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass es jemanden auf dieser Welt gibt, der ein schlechterer Verlierer sein könnte als er. Sein Verhalten angesichts einer Niederlage, selbst in kleinsten Dingen des täglichen Lebens, scheint einer persönlichen Gesetzmäßigkeit unterworfen zu sein. Er wird es einfach nicht zugeben, und er wird keine Ruhe finden, ehe er es nicht geschafft hat, die Bedingungen umzukehren und einen Sieg daraus zu machen. Der diese Worte geschrieben hat, ist ein langjähriger Freund des Máximo Líder, der Schriftsteller Gabriel García Márquez. Seine Sätze vermitteln eine Ahnung davon, was Fidel Castro über ein halbes Jahrhundert lang angetrieben haben mag, seine Feinde, Gegner und kritischen Freunde zu überdauern. Er wollte Recht behalten in seiner Sache, moralischer wie politischer Sieger sein, ohne jeden Selbstzweifel - sein Kuba den Kubanern! Das endgültige Urteil über seine Mission sollte einzig die Geschichte fällen dürfen. Aber selbst ihr gegenüber hat Castro von Anfang an versucht, das letzte Wort zu behalten und das Urteil vorwegzunehmen. 1953, in dem Gerichtsverfahren um seinen gescheiterten Überfall auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba, mit dem er seine Laufbahn als Berufsrevolutionär begonnen hatte, beendete er sein berühmt gewordenes Verteidigungsplädoyer in der Gewissheit: Die Geschichte wird mich freisprechen. "

    Das Hörbuch "Fidel Castro” von Volker Skierka umfasst nicht weniger als 14 CDs. Es ist beim Verlag Komplett-Media in Grünwald erschienen und kostet € 69.95.

    Es ist mutig – um nicht zu sagen dreist –, die "Autobiographie des Fidel Castro" zu schreiben, wenn man nicht Fidel Castro, sondern Norberto Fuentes heißt.

    "Dieses Buch ist ein raffiniertes Innenbild des Kubaners, subtil, präzise und ohne Gemeinheit schonungslos."

    So der Verlag über das 757-Seiten-Opus aus der Feder von Fuentes. Peter B. Schumann hat den Roman gelesen.

    Beitrag Peter B. Schumann
    Der Trick ist nicht neu: Eine Figur der Geschichte schildert selbst, in der ersten Person, ihr Leben und Wirken. Marguerite Yourcenar hat so den römischen Kaiser Hadrian in Ich zähmte die Wölfin zum Ich-Erzähler seines eigenen Lebens gemacht. Aber noch keiner der zahllosen Biografen Fidel Castros ist bisher auf diese Idee verfallen. Sie haben vielmehr den Humus der Zeitgeschichte umgegraben, die vorhandenen Fakten umsortiert, nach neuen Erkenntnissen geforscht, um dieser längst zum Denkmal mutierten Figur auf der Weltbühne gerecht zu werden. Norberto Fuentes wollte sich aber damit nicht begnügen.

    Das erklärte Ziel, die Autobiografie des Fidel Castro so anzulegen, dass sie in ihrer umfassenden und zugleich höchst vertraulichen Sichtweise nicht einmal von Fidel Castro selbst zu übertreffen wäre, bestimmte in jedem Moment die Arbeit daran.

    Ein hoch gespanntes Ziel, doch keiner der Biografen, die sich bisher an Fidel Castro versuchten, ist dem Máximo Líder im wirklichen Leben so nahe gekommen wie dieser Norberto Fuentes, Jahrgang 1943. Er nahm als begeisterter junger Mann Anfang der 60er Jahre am Kampf in den Bergen des Escambray teil und schrieb seine Erfahrungen in einem Band mit Erzählungen Condenados de Condado nieder, für den er 1968 den Preis der Casa de las Américas erhielt. Mitte der 70er Jahre berichtete er als Reporter von den Kämpfen um die Unabhängigkeit Angolas, die Kuba mit eigenen Truppen unterstützte. Dabei freundete er sich mit General Ochoa an, einem "Helden der Revolution" und Oberkommandierenden der kubanischen Streitmacht. Fuentes wurde mehrfach ausgezeichnet, vor allem auch für sein umfangreiches Werk Hemingway in Cuba, stieg im Machtapparat auf und wurde zum Vertrauten der Brüder Castro: ein intellektuelles Aushängeschild, das sich ihnen ganz auslieferte, alle Privilegien genoss, Zugang zu ihrem normalerweise hermetisch abgeschirmten Privatleben fand und gleichermaßen die Rolle eines Botschafters wie die eines Offiziers des Staatssicherheitsdienstes ausübte.
    1989 kam es zum Bruch: Fidel Castro hatte in einem Schauprozess General Ochoa und eine Handvoll anderer Revolutionäre zum Tode verurteilen lassen, weil sie sich angeblich im Drogenschmuggel verstrickt und dadurch das Ansehen Kubas schwer geschädigt hätten. Norberto Fuentes protestierte und erfuhr die in solchen Fällen übliche Reaktion Castros: Er wurde marginalisiert, verlor alle Privilegien und erhielt Schreib- sowie Reiseverbot. 1993 versuchte er in einem Boot zu fliehen, wurde von der Küstenwache geschnappt und einige Tage inhaftiert. Wieder frei, trat er alsbald in den Hungerstreik und forderte seine Ausreise. Nach drei Wochen gelang es Gabriel García Márquez, Duz-Freund Castros, diesen zum Einlenken zu bewegen und Fuentes im Privatjet des mexikanischen Präsidenten nach Mexiko zu schaffen. Seit 1994 lebt er in den USA, zur Zeit in Miami.

    Meine Absicht war es, eine Biografie Fidel Castros zu schreiben, die – im Gegensatz zu allem, was bis dahin über ihn veröffentlicht worden war – aus seiner eigenen, weniger persönlichen, als vielmehr sehr vertraulichen Sicht erzählt werden sollte. Das Entscheidende, das ein Biograf in der Lebensgeschichte Fidel Castros auszukundschaften hat, sind nicht die Tatsachen – die als solche in den Archiven nachzulesen sind –, sondern die Motive seines Handelns und nach den Motiven die Ziele.

    Die Leser hätten von solcher Ankündigung gewarnt sein müssen: Wenn Castro das Wort ergreift, dann wird es fast immer eine erschöpfende Sitzung. Und Fuentes will ja dem ‚Comandante’ bereits durch die Dimension seines Lebensberichtes gerecht werden, ist aber nicht so vermessen wie Castro selbst, der in den 70er Jahren bei seinem damaligen Bauminister ein titanisches Unternehmen in Auftrag gegeben haben soll: eine Autobiografie, die bald bei Band 40 angekommen war, aber nie veröffentlicht wurde. Fuentes breitet seinen Stoff nur über zwei Bände und auf lediglich 2.000 Seiten aus, von denen der deutsche Leser gerade mal 750 Seiten in einer Art einbändiger Reader’s-Digest-Ausgabe verkraften muss.

    Ich, ich allein, habe mehr und fernere Länder erobert als Alexander der Große. Ich habe zwei Imperien getrotzt, die tausendmal mächtiger sind als das alte Rom und Ägypten und alle antiken Reiche zusammen und die der Neuzeit.

    Dass Fidel Castro Selbstbewusstsein besitzt, dürfte niemandem verborgen geblieben sein. Er hat schließlich auch einiges vorzuweisen. Doch seine politische Leistung – im Vorfeld der USA eine Revolution zum Sieg geführt und eine staatssozialistische Gesellschaft gegen alle Blockaden bis heute aufrecht erhalten zu haben –, diese Leistung auf ein Projekt schierer Machtgier zu reduzieren – wie es Fuentes an vielen Stellen seines Werks unternimmt -, erscheint doch etwas billig.
    Die Kubanische Revolution ist seit langem erstarrt, reformunfähig und damit auch zukunftsuntauglich geworden – und das ist eine Folge der monomanischen Politik des Máximo Líders, der keinen anderen Líder neben sich duldet.
    Norberto Fuentes gefällt sich in der Rolle des Mythenzertrümmerers, dem auch Guevara zum Opfer fällt, wenn er dem Leser suggeriert, dieser sei von Castro in den Tod geschickt worden.

    Weil dies obendrein die einzige Option war, die ihm das Verhalten des Argentiniers ließ.

    Fuentes wirbt mit seiner -

    - "umfassenden und zugleich höchst vertraulichen Sichtweise" –

    - für diese fiktive Autobiografie. Und er lässt diesen Castro über Kindheit und Jugend auf nicht enden wollenden Seiten schwadronieren, aber zugleich auch bemerken:

    Es gibt nichts an meinen Eltern noch an meinen Jugendwunden, das erklären könnte, warum ich an die Macht kam.

    Dazu gehören sicher auch die vielen Anekdoten über das Liebesleben von Kubas Erstem Macho. Das ist ja manchmal ganz erquicklich, aber wozu müssen nun auch noch Intimitäten vor die Augen der Weltöffentlichkeit gezerrt werden? Und woher will der Mann, der sicher profunde Kenntnisse von den Castro-Brüdern besitzt, dies alles so genau wissen, wenn er doch behauptet, dies sei ein Buch -

    - "das keine Fiktion ist, aber dennoch mit den Mitteln der Fiktion arbeitet und zugleich dem Leser ein stabiles Gerüst an verbürgten Hintergrundinformationen liefern muss."

    Was ist hier Fakt und was Fiktion? Das ist die Krux dieses Bandes. Niemand kann es beurteilen. Die fiktionale Form bietet viele neue Facetten, aber sie alle dienen Norberto Fuentes nur dazu, sein Bild Fidel Castros zu belegen: eines Zynikers der Macht, der keine Vision besaß, Menschen verheizte, wenn sie ihm in die Quere kamen, wenn sie zu "allgegenwärtig" wurden wie Che Guevara oder wenn er ein Opfer für die Aufrechterhaltung seiner Vision brauchte – wie im Fall Ochoa:

    Der düsterste Teil meiner Biografie: die Iden des März.

    1989 befand sich Kuba in höchster Not: Die Sowjetunion hatte die Versorgung eingestellt, und das Land brauchte dringend Devisen. So entstand das von Castro – wie Fuentes behauptet – geduldete Projekt, durch Beteiligung am Drogenhandel die überlebenswichtigen Dollars zu beschaffen. Federführend war eine Gruppe um Arnaldo Ochoa, den ‚Helden der Revolution’.

    Als Castro bewusst wurde, dass die Aktivitäten den Nordamerikanern bekannt waren und dass jeden Moment Beweise dafür auftauchen konnten, beschloss er, Arnaldo Ochoa und Tony de la Guardia zu opfern. Das Politbüro stimmte den Exekutionen zu, noch bevor ein Prozess stattgefunden hatte.

    So zitiert Fuentes den damaligen Innenminister, der wenig später ‚geopfert’ werden sollte. Dieses Kapitel ist das eindringlichste des Buches, weil der Autor sich hier um die Glaubwürdigkeit bemüht, die er sonst vermissen lässt. Er ist unmittelbar betroffen, denn Ochoa und de la Guardia waren enge Freunde von ihm, und die stalinistischen Todesurteile bewirkten seinen Bruch mit dem Regime, dem er bis dahin vorbehaltlos diente. Also lässt er Castro selbst die finsteren Details berichten und verzichtet weitgehend auf dessen sonst üblichen Selbstreflexionen, so dass dieses Kapitel einen fast dokumentarischen Charakter erhält.

    Diese Autobiografie des Fidel Castro liefert kaum neue Erkenntnisse, stattdessen umso mehr Behauptungen und Verleumdungen. Sie ist so maßlos wie eine Rede des Comandante, ein typisches Renegaten-Produkt wie die Romane von Zóe Valdés oder die politischen Stellungnahmen des früh verstorbenen Jesús Díaz, der allerdings in seinen Exil-Romanen die eigene Verstrickung in Castros System mehrfach selbstkritisch reflektiert hat. Wer sich die Liste der bisherigen Exil-Veröffentlichungen von Norberto Fuentes und diese Fiktion einer Autobiografie ansieht, dürfte auf eine solche Haltung vergeblich warten.

    Peter B. Schumann über Norberto Fuentes: Die Autobiografie des Fidel Castro, Verlag C. H. Beck, München 2006, € 29.90.

    Norberto Fuentes nennt es "einen brillanten politischen Schachzug", dass Fidel Castro "die Machtübergabe eingeleitet hat". Fidel habe fast alles erreicht, was er wollte: Er habe eine erfolgreiche Revolution gemacht und die Amerikaner aus Kuba verjagt. "Er wird als ein Sieger in die Geschichte eingehen", so Norberto Fuentes gegenüber der Tageszeitung "Die Welt".

    Ein guter Krieger verlasse nicht das Schlachtfeld, er bleibe bis zum Schluss, hat Fidel Castro einmal geäußert. Im Moment ist der Máximo Líder sozusagen außer Gefecht – hat er eine Kampfpause eingelegt. Für einen Abgesang auf die Ära Fidel Castro ist es noch zu früh. Doch die entscheidende Frage, stellt sich bereits heute: Kann die Revolution überleben? Fidel Castro hat sie so beantwortet:

    "Dieses Land kann sich selbst zerstören. Diese Revolution kann sich zerstören, aber die Vereinigten Staaten können es heutzutage nicht mehr. Wir, ja, wir können sie zerstören, und es würde unsere Schuld sein."

    Fidel Castro am 17. November 2005 in der Aula Magna der Universität Havanna. Die Rede, die Castro in der Festveranstaltung anlässlich des 60. Jahrestages seiner Aufnahme in die Universität hielt, ist in vieler Hinsicht bemerkenswert, enthält sie doch Gedanken und Überlegungen, die von Castro so niemals zuvor artikuliert wurden. Sie findet sich in dem Sammelband: Kuba – nach Fidel. Kann die Revolution überleben? Mit Beiträgen von Fidel Castro, Felipe Pérez Roque und Heinz Dieterich, Kai Homilius Verlag, Berlin 2006, € 9.90.

    "Wenn ich wirklich sterbe, wird es niemand glauben. Ich könnte damit umgehen wie der Cid Campeador, den sie noch als Toten auf dem Pferd mitnahmen und so Schlachten gewannen."

    So Fidel Castro im November 2005. Es mangelt nicht an Anekdoten und Legenden von und über Fidel. Peter Jacobs hat sie gesammelt und aufgeschrieben. Titel seines sehr unterhaltsamen und zugleich informativen Buches: "Wenn ich sterbe, wird es keiner glauben", Eulenspiegel Verlag, Berlin 2006, € 9.90.

    Millionen Menschen haben Fidel Castro erlebt auf Kundgebungen und Massenveranstaltungen, doch wirklich nahe gekommen sind ihm wohl nur Wenige. Bernd Wulffen war "unser Mann in Havanna" – Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Kuba von 2001 bis 2005. Er wollte für frischen Wind sorgen in den deutsch-kubanischen Beziehungen - und erlebte eine "Eiszeit in den Tropen", so der Titel seines gerade erschienenen Buches.

    Bernd Wulffen: Eiszeit in den Tropen - und das im heißen Havanna. Wer Ihr Buch liest, gewinnt den Eindruck, dass Sie sich nicht wohl gefühlt haben in Ihrer Haut. Sie wollten keine Eiszeit, die Eiszeit wurde diktiert. Trifft das zu?

    Wulffen
    Ja, die Eiszeit ist uns sozusagen aufgezwungen worden. Es war eine ungute Entwicklung, die im Frühjahr 2003 eingesetzt hat. Sie müssen sich vorstellen, dass wir ja in den Jahren 2001, auch schon vorher 2002, 2003 eine Aufwärtsentwicklung hatten in unseren Beziehungen. Kuba und Deutschland und andere EU-Staaten auch bemühten sich, nicht nur im Gespräch zu sein, sondern auch den Wirtschaftsaustausch zu verstärken. Ich denke auch an die Touristen, die zahlreich, über zwei Millionen, vor dem Jahr 2001 nach Kuba gekommen sind; ich denke auch an einen regen Kulturaustausch. Es ging ja sogar soweit, dass wir ein Goethe-Institut gründen wollten. Das war alles schon sehr weit fortgeschritten, und plötzlich kommt also der Einbruch 2003, die Eiszeit, die dadurch entstanden ist, wenn wir das vielleicht noch einmal ganz kurz rekapitulieren, dass 75 Dissidenten zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden sind.

    Moderator
    Als Sie 2001 in Kuba ankamen, da gelang es Ihnen ja ziemlich schnell, das Eis zu brechen und auch einen guten Draht zu Castro herzustellen. Was war Ihr erster Eindruck von Fidel, können Sie sich erinnern?

    Wulffen
    Mein erster Eindruck war in einem Sportpalast. Das war eine ganz lustige Geschichte: Ich bin durch Zufall dort rein geraten, weil der Sportminister, den es eigentlich gar nicht gibt, aber der nennt sich so, der hat mich kennen gelernt und sagte: Haben Sie nicht Lust, da ist eine große Feier im Sportpalast, ich lade Sie ein. Und da habe ich Fidel gesehen und kennen gelernt und war beeindruckt, wie er mit eigentlich nur ein paar Gesten riesige Beifallstürme herbei geführt hat, wie die Menschen mit ihm mitgegangen sind, wie er auch wie ein Vater, die Sportler, die meistens noch jung waren, umarmt hat, und es war eine sehr lockere, freundliche Atmosphäre, so ein bisschen "en famille".

    Moderator
    Sie bezeichnen Castro als Caudillo, als charismatischen Führer in der Tradition der "Libertadores", der Befreier. Ist Castro anders als all die anderen Diktatoren dieser Welt?

    Wulffen
    Also, das Wort Diktator – Herr von Löwis, da kann man lange darüber streiten, ob er ein Diktator ist -, ich benutze es eigentlich bei Castro weniger. Ich spreche lieber von einem Machthaber, von einem Mann, der in Kuba das Heft in der Hand hat. Seine Persönlichkeit, die ist so vielschichtig, dass der Stempel "Diktator" mir nicht richtig zu passen scheint hier. Sprechen wir von Machthaber.

    Moderator
    Auf dem Cover Ihres Buches: der Comandante und der Botschafter. Zitat: "Insgesamt, so mein Gefühl, stimmte die Chemie zwischen uns." Das klingt nach Sympathie…

    Wulffen
    Also da ist gar kein Zweifel. Er war ja auch bei mir zu Hause. Ich hatte ihn zwar eingeladen, aber er kam völlig überraschend, als eine hessische Wirtschaftsdelegation, damals unter Minister Posch, in Havanna war. Ich hatte keine Ahnung, dass er kommen würde. Plötzlich war er da, und ich muss sagen, er war sehr freundlich, auch zu meinen Gästen, zu mir. Wir haben Rheinwein getrunken und in einer sehr entspannten Atmosphäre.

    Moderator
    Sie haben ja versucht, Brücken zu bauen zwischen Deutschland und Kuba. Ist dieser Brückenbau von Berlin, sprich vom Auswärtigen Amt, gezielt torpediert worden? Kann man das sagen?

    Wulffen
    Nein, nein, das kann man nicht sagen. Also zunächst einmal war es so, ich muss das auch mal sagen, dass mir das Auswärtige Amt in den ersten Jahren sehr viel Freiheit gelassen hat. Ich habe kaum eine Weisung bekommen, ich konnte also sehr vieles selbst gestalten. Das Problem waren dann eben diese Prozesse, zu denen wir nicht zugelassen wurden. Auch die drei Todesurteile 2003 haben hier eine Rolle gespielt, und dann hat eben die Europäische Union – und wir sind ja Teil der Europäischen Union –, wir haben reagiert, wir mussten auch reagieren, finde ich. Sie können nicht 75 Schriftsteller, Journalisten, Leute, die ihre Meinung sagen, zu 28 Jahren Gefängnis verurteilen lassen und still dabei sitzen und business as usual betreiben, das kann man nicht machen. Also wir mussten reagieren, das Amt hat reagiert. Der Streitpunkt, der große Streitpunkt, ist, ob es gut war, die Dissidenten zu unseren Nationalfeiertagen einzuladen. Das hat Castro auf die Palme gebracht.

    Moderator
    Und da waren Sie anderer Ansicht, hätten lieber eine andere Politik betrieben?

    Wulffen
    Ich möchte mal sagen, wir haben als Botschafter – das schreibe ich ja auch in meinem Buch -, wir haben das als Botschafter nicht vorgeschlagen, diese Maßnahme. Von wem die letztlich gekommen ist, weiß ich nicht. Sie kam dann aus den Hauptstädten, wir mussten das umsetzen, aber von vornherein war uns klar, dass damit - ja, wie soll ich das ausdrücken? - eine Art Rubikon überschritten war. Da mussten wir damit rechnen, dass er jetzt zornig zur Repressalie greift.

    Moderator
    Sie erzählen eine ganz interessante Geschichte: Fidel Castro wäre 2003 gerne nach Berlin gekommen zur Weltpremiere des Films "Comandante" von Oliver Stone. Er war eingeladen von der Berlinale. Und das Auswärtige Amt entschied, die Reise nach Berlin durfte nicht stattfinden, und Sie mussten dann den Kubanern diese Entscheidung verkaufen. Das ist ja keine angenehme Aufgabe.

    Wulffen
    Es war ja so, dass diese Einladung, die von der Festspielleitung ausging, gar nicht mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt war. Ich kann das Amt schon verstehen, wir hatten ja damals eine ganz schwierige Situation. Die Bundesregierung hatte entschieden, im Irak nicht mitzumachen mit den USA, keine Soldaten dort hinzuschicken. Das Klima war frostig und ein Besuch von Castro in dieser Zeit in Berlin, das war ausgeschlossen. Das konnten wir nicht machen. Mit diesem Argument habe ich dann also versucht, vorsichtig erstmal beim Außenminister und dann eben bei ihm selbst sozusagen eine Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber ich muss sagen, er war sehr einsichtig, sehr verständnisvoll und sagte, Herr Botschafter, bevor ich da große Begründungen gegeben habe, Herr Botschafter, machen Sie sich keine Sorgen, ich reise nicht nach Berlin.

    Moderator
    Sie schreiben in Ihrem Buch: Würde Fidel die Einladung annehmen, stünde uns ein diplomatischer Eklat mit den USA ins Haus. Da fragt sich natürlich der unvoreingenommene Leser: Wer bestimmt die deutsche Außenpolitik? Berlin oder Washington?

    Wulffen
    Ja, also so, wie die Dinge waren, und so, wie das State Department damals besetzt war, in der Tat hätte es da zu Schwierigkeiten geführt. Ich kann das jetzt nicht im Einzelnen sagen, welcher Art sie gewesen wären, aber sie hätten zu einem geharnischten Protest der USA bei uns geführt, und ich meine, denken Sie auch mal: Castro in Berlin - das hätte also die gesamte Presse der Welt auf den Plan gerufen, und das war keine gute Sache.

    Moderator
    Zitat Bernd Wulffen: "Manchmal sagte ich zu mir selbst: Warum ärgerst du dich? Fidel will dich nicht sehen, und Berlin will nichts von dir hören. Das ist doch großartig. Geh Golf spielen und lege dich an den Strand." Haben Sie sich mehr über Fidel oder mehr über Berlin geärgert?

    Wulffen
    Also zunächst einmal habe ich nicht damit gerechnet, dass Fidel so heftig reagieren würde. Dass er reagieren würde, war klar, aber dass er uns sozusagen in den einstweiligen Ruhestand schickt und keinen Kontakt mehr mit uns wollte - wir wurden dann auch nicht mehr eingeladen, und die Kubaner kamen nicht mehr zu uns -, so habe ich mir das nicht vorgestellt, und ich muss sagen, da hat er wieder überzogen. Aber das ist seine Art. Er kann sich dann oft nicht bremsen, und die Dinge ufern aus, eskalieren, und in dem Fall waren wir wirklich die Opfer, die EU-Botschafter.

    Moderator
    Herr Wulffen, wie wichtig sind Kubas Dissidenten von heute für das Kuba von morgen? Sind das Kräfte, mit denen man rechnen muss, oder werden die Weichen für die Nach-Castro-Zeit ganz woanders gestellt?

    Wulffen
    Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Also zunächst einmal stört mich ein bisschen bei den, ich möchte mal lieber von Oppositionspolitikern sprechen, es stört mich persönlich immer wieder, dass sie nicht zusammenfinden, dass das oft auseinanderstrebende Gruppen sind, die keinen Führer haben, die verschiedene Persönlichkeiten sozusagen produzieren. Es wäre wichtig, dass man, so wie das in Polen vor der jeweiligen Wende war oder in Tschechien damals unter Havel, dass man da wirklich eine Figur hat, einen politischen Führer, auf den sich die Opposition konzentrieren kann, und das ist also sehr ungut in Kuba, dass es da sehr viele verschiedene Kräfte gibt.

    Moderator
    Der Máximo Líder wird am 13. August 80. Wenn Fidel von der politischen Bühne abtritt, ist das auch das Ende der Revolution, seiner Revolution, die ja 1953 mit dem Sturm auf die Kaserne von Moncada begann?

    Wulffen
    Also wenn er abtritt, denke ich schon, dass das eine Zäsur bedeutet, und wenn jetzt dann nach der Verfassung sein jüngerer Bruder, der aber auch nur sechs Jahre jünger ist, Raúl, das Heft in die Hand nimmt, denke ich schon, dass sich da einiges verändern wird. Aber es wird sehr darauf ankommen - das ist also meine Überzeugung –, wie sich dann die USA verhalten. Wenn sie weiter ihren Kurs fahren, ihren Kurs der Sanktionen, glaube ich nicht, dass sich viel ändern wird.

    Moderator
    Bernd Wulffen, deutscher Botschafter in Kuba von 2001 bis 2005. Sein Buch "Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro" ist erschienen im Christoph Links Verlag, Berlin 2006 und kostet € 19.90.

    Moderator
    Wie verkauft man am besten Fidel Castro? Auf die Verpackung kommt es an, sagt sich der Audio-Verlag - und vermarktet das jüngste Feature von Ursula Voss in einer Zigarrenkiste. Auf der Banderole der Hinweis:

    "Achtung: Hören kann den Geist revolutionieren!"

    "Die Revolution bin ich. FIDEL CASTRO im Porträt."

    Eliseo Alberto, Schriftsteller: "Das Hauptverdienst von Fidel Castro ist: Er ist einer der großen Führer in der Weltgeschichte, wenn nicht sogar der größte. Fidel Castro hat sein Schicksal erfüllt. Ich sage nicht, dass das gut oder schlecht ist oder dass er Kuba ruiniert oder dem Land genützt hat. Ich sage, dass er sein Schicksal erfüllt hat und dass er das, was man von einem Revolutionsführer erwartet, getan hat. Seine größte Tugend ist, dass er sich selbst nie verleugnet hat."

    Ursula Voss: "Die Revolution bin ich. FIDEL CASTRO im Portrait", Der-Audio-Verlag, Berlin 2006, € 14.95.

    Musik – "Que rico mambo" / Perez Prado

    Als er Kuba den Rücken kehrte, da ließ er seine Schreibmaschine zurück, seine Jagdtrophäen, wertvolle Gemälde und rund 8.000 Bücher. 1960 sagte Hemingway "Adiós Cuba" – 2006 sagt der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura, Autor des "Havanna-Quartetts", "Adiós Hemingway":

    "Gleich zu Beginn der schwierigen Ermittlung beging El Conde ein museografisches Sakrileg: Er zog die Schuhe aus und schlüpfte in die alten Mokassins des Schriftstellers, die ihm um einige Nummern zu groß waren. Schlurfenden Schrittes ging er zurück in den Salon, zündete sich eine Zigarette an und machte es sich in dem Lehnstuhl des Mannes bequem, der sich »Papa« hatte nennen lassen. Dass er diese Akte der Entweihung so genüsslich zelebrierte, überraschte ihn selbst am meisten. Sein Blick wanderte über die Gemälde mit den Stierkampfszenen. Ihm schoss durch den Kopf, wie seine leidenschaftliche Liebe zu dem Schriftsteller geendet hatte, als er Einzelheiten über das Ende der Freundschaft zwischen Hemingway und Dos Passos erfuhr. Aber im Grunde hatte seine Verehrung für Hemingway schon viel früher einen Dämpfer erhalten, als sich das literarische Idol nach und nach als ein selbstgefälliger, gewalttätiger Mensch erwies, der unfähig war, jenen, die ihm mit Liebe begegneten, Liebe zurückzugeben. Die Distanz zu Hemingway war gewachsen, als Mario klar wurde, dass der Schriftsteller auch nach zwanzig Jahren in Kuba keinen blassen Schimmer von der Insel hatte; als er der schmerzhaften Wahrheit ins Auge sehen musste, dass der geniale Künstler ein verachtenswerter Mensch war, der alle verriet, die ihm geholfen hatten, angefangen bei Sherwood Anderson bis hin zu dem »armen« Scott Fitzgerald. Doch das Fass kam zum Überlaufen, als er erfuhr, wie grausam und zynisch Hemingway mit seinem ehemaligen Freund und Kameraden John Dos Passos während des Spanischen Bürgerkriegs umgegangen war. Als Dos Passos darauf bestand, die Wahrheit über den Tod seines spanischen Freundes José Robles herauszufinden, sagte Hemingway ihm während einer öffentlichen Versammlung frech ins Gesicht, man habe Robles als Spion und Verräter an der republikanischen Sache erschossen. Der Gipfel der Heimtücke war, dass er Robles als Modell für den Verräter in Wem die Stunde schlägt benutzte. Das war das Ende der Freundschaft zwischen den beiden Schriftstellern und der Anfang des politischen Sinneswandels von Dos Passos gewesen. Später fand Dos Passos heraus, dass Robles zu gut über verschiedene unsaubere Geschichten Bescheid wusste und eines der ersten Opfer stalinistischen Terrors im Spanien des Jahres 1936 geworden war. Während die Moskauer Schauprozesse liefen, wollten sich die Sowjets ihren Einfluss über die spanischen Republikaner sichern. Kurze Zeit später würde Stalin sie links liegen und im Kampf gegen die Faschisten alleine lassen. Hemingway schlachtete diese ver¬worrene, obskure, schäbige Geschichte aus, und am Schluss stand Don Passos als Feigling und er selbst als Held da. Doch die Wahrheit kam schließlich an den Tag und zeigte, wie sehr Hemingway in seiner naiven Eitelkeit zu einem Instrument in den Händen der stalinistischen Propagandisten jener finsteren Jahre geworden war. Die unappetitliche Episode hatte bei Mario Conde einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen, und jetzt, inmitten der vielen Dinge, die der ruhmbedeckte Hausherr dieses hochherrschaftlichen Anwesens zusammengekauft, gejagt oder aus aller Welt geschenkt bekommen hatte, wurde Mario sich bewusst, dass er liebend gerne einen Beweis für Hemingways Schuld gefunden hätte. Es wäre nicht schlecht, dachte er, wenn sich herausstellen würde, dass er ein ganz gewöhnlicher gemeiner Mörder war."

    "Adiós Hemingway" – ein Kuba-Krimi mit Tiefgang aus der Feder von Leonardo Padura, Unionsverlag, Zürich 2006, € 17.90.

    Ernest Hemingway lebte mehr als zwei Jahrzehnte unter dem Himmel Kubas und schrieb hier den Roman "Der alte Mann und das Meer". Jorge Edwards verbrachte nur wenige Monate auf der Zuckerinsel und veröffentlichte 1973 in Barcelona ein Buch, das erst jetzt in Deutschland erschienen ist: "Persona non grata", Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006, € 22.50. Eine Rezension von Dietrich Möller.

    Beitrag Dietrich Möller
    Natürlich, ein Verleger ist frei in seinen Entscheidungen, welchen Autor, welches Buch er in sein Programm nimmt. Aber man sage nun nicht, dass er dabei ausschließlich qualitativen Gesichtspunkten folgt. Welch andere eine Rolle spielen können, erfuhr der chilenische Schriftsteller und Diplomat Jorge Edwards vor über dreißig Jahren, als sein Buch Persona non grata deutschen Verlagen angeboten wurde – ein Werk mithin, das im Ausland hohe Auflagen und glänzende Kritiken erfahren hatte. Für das deutsche Publikum, nein: für deutsche Verleger, hatte es nur einen Fehler. Es ging zu kritisch mit Kuba und vor allem mit dessen Führer Fidel Castro um. Und wurde abgelehnt, zurückgewiesen.

    Edwards war und ist nun aber beileibe kein Rechter. Der Freund Pablo Nerudas schien weiland, vor nun fast 36 Jahren, der chilenischen Volksfrontregierung unter Salvador Allende seiner politischen Gesinnung nach durchaus der geeignete Mann zu sein, Chile in Kuba zu repräsentieren und damit die lateinamerikanische diplomatische Blockade des Castro-Regimes zu durchbrechen.

    "Als ich ... im Flugzeug ... saß, konnte ich es plötzlich gar nicht erwarten, wieder nach Havanna zu kommen, wo ich zuletzt im Januar und Februar 1968 gewesen war. Ich ... war in meiner Funktion als Schriftsteller zum Kulturkongress nach Havanna eingeladen worden, um bei der Verleihung der jährlichen Preise der Casa de las Americas mitzuwirken. Ich war neugierig und aufgeregt... Meine Wahrnehmung entsprach wahrscheinlich ungefähr der eines Menschen, der einen Sechser im Lotto hatte. Ich reiste in einer benommenen, seligen Blauäugigkeit."

    Freilich, blauäugig hieß sich Edwards erst bei der Niederschrift seiner Erfahrungen, die er während seiner Mission machen musste. Zunächst war er eher besten Willens, die gegenseitigen Sympathien der Regime Kubas und Chiles in freundschaftliche diplomatische Beziehungen münden zu lassen. Doch wie bald musste er erkennen, dass seine und seiner Regierung Vorstellungen auf merkwürdige Widerstände traf. In zwei Zimmern eines Hotels untergebracht, schnitt man Edwards seitens offizieller Stellen; erfolglos suchte er den für die Einrichtung einer Botschaft zuständigen Protokollchef zu erreichen.

    "Während ich ... durch die Straßen in der Nähe des Hotels ging und mir das karibische Meer anschaute, dachte ich mit einem Anflug von Bitterkeit an die glänzenden Prognosen meiner chilenischen Freunde: ‚Sie werden dich wie einen König behandeln, du wirst ein Haus mit Schwimmbad in Miramar oder Guanaboca bekommen!’"

    Erst allmählich, im Laufe von Wochen, ahnte Edwards, wo der Grund für diese Behandlung liegen mochte. Schon bald nach seiner Ankunft hatte er alte Freunde, Schriftstellerkollegen, getroffen, die in kritischer Distanz zum Regime standen, ohne aber Dissidenten zu sein; zudem haftete ihm der Makel an, jenen Literaturpreis während seines ersten Aufenthaltes einem jungen Autor verliehen zu haben, der dem Regime suspekt war. Dies mag die rechte Gelegenheit sein, ihn über jene Kollegen zu hören, mit denen er Umgang pflegte, über sie und ihr Umfeld:

    "Die Erbitterung meiner kubanischen Freunde rührte vor allem daher, dass sie den senkrechten Aufstieg der opportunistischen, auf kreativem Gebiet eher mittelmäßigen Schriftsteller sahen. Ich denke, die kubanische Revolution hat in einer bestimmten Etappe zu sehr auf das Prestige der Literatur als Instrument vertraut, das dazu dienen sollte, die Blockade aufzubrechen und Unterstützung von außen zu erlangen. Eine Zeit diente sie außerdem dazu zu zeigen, dass der kubanische Sozialismus ‚anders’ war, weil er nicht, wie in anderen Breiten üblich, die intellektuelle Freiheit einschränkte. Aber die Wurzel allen Übels, der grundlegende Fehler, bestand darin, sich der Literatur zu ‚bedienen’. Als diese Idee Gestalt annahm, tauchten sofort die instrumentellen Schriftsteller auf, die immer zur Verfügung stehenden Opportunisten... Meine Freunde indes zogen sich, statt Bücher für die Gegenwart oder die Zukunft zu schreiben, in den Schmollwinkel zurück und saßen in ihren baufälligen Zimmern zwischen alten, ausgeleierten Maschinen und kaputten Lampen."

    Wie gesagt, der unbefangene Umgang mit diesen Kollegen war es, der seine diplomatische Mission behinderte. Aber wie anders als mit den Instrumenten und Methoden eines Polizeistaates ist er festzustellen? Mit dieser Frage sind wir bei einer wesentlichen Erfahrung Edwards’ mit dem Kuba Fidel Castros. Nachdem er von Freunden und Kollegen immer wieder gewarnt worden war, dass er ständig überwacht und abgehört würde, gab es ihm auch das Regime zu erkennen: Verabredungen, die Edwards traf, konterkarierte es mit dringenden Terminen, auf gegenüber Dritten geäußerten Bitten oder Klagen reagierte es plötzlich – man kennt das Verfahren aus der früheren Sowjetunion und ihren Satelliten. Und natürlich suchte man ihn auch durch Frauen in Situationen zu bringen, die ihn erpressbar gemacht hätten. Als er sich im März 1971 aus Havanna nach Paris verabschiedete und seinen Nachfolger vorstellte, schenkte ihm Castros Protokollchef ein Buch über die Effizienz der Staatssicherheit. Edwards’ bissig-selbstironische Schlussfolgerung:

    "Die Demonstration diente zugleich als Warnung. Der Chilene, dem, getrieben von Subjektivismus und den Klassenvorurteilen des bürgerlichen Intellektuellen, einiges zu leicht über die Lippen ging, begriff zu spät, dass jeder Satz, den er gesagt hatte, in anklagenden Buchstaben in den Geheimarchiven der Staatssicherheit stand. Die Lektion könnte seinem Nachfolger von Nutzen sein, denn die knappen Seiten des Buches waren mehr als deutlich. Wenn er bei seiner Mission Erfolg haben wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in der Öffentlichkeit und privat gut zu benehmen. Sogar seine Gedanken würden von dem allgegenwärtigen Auge der Staatssicherheit gelesen, also war es angeraten, von Anfang an sein Denken auf die passende Schiene zu bringen. Wenn er so vorging, würde er Kuba begeistert vom Ritterschlag der Revolution und in seiner Karriere vorangetrieben verlassen. Falls nicht ..."

    Edwards wurde zur Persona non grata, zur unerwünschten Person. Zu seiner Überraschung verabschiedete ihn aber auch Castro persönlich. Und der sagte ihm freimütig:

    "Wir waren immer auf dem Laufenden. Wie Sie verstehen, wäre es dumm gewesen, Sie nicht zu überwachen. Wir haben jeden Ihrer Schritte, Ihre Treffen, Ihre Gespräche genau verfolgt."

    Aber Edwards Schlussfolgerung ist gewiss eine, die Castro nicht verstanden hätte:

    "Dieses allgemeine Misstrauen, das jedwede menschliche Beziehung vergiftet, ist ein charakteristisches Manko der Polizeistaaten. Es ist wichtig, sich über dieses Misstrauen hinwegzusetzen... Sonst trägt das allgegenwärtige, übermächtige Misstrauen dazu bei, die Polizeimacht zu erhalten. Und die moderne Geschichte hat gezeigt, dass diese Macht stark, Angst einflößend und voller Verzweigungen ist und so subtil vorgeht, wie es sich der einfache Bürger kaum vorstellen kann, aber sie hat auch gezeigt, dass sie wider allen Anschein auf tönernen Füßen steht... Der menschlichen Natur gelingt es, über so einfache Dinge wie Vertrauen, die per Definition jedem Polizisten unverständlich sind, die Macht auf lange Sicht matt zu setzen."

    Die Schilderung jenes Abschiedsgesprächs mit Castro ist eines der interessantesten Kapitel des Buches. Denn hier prallten die Meinungen eines der Demokratie verpflichteten Linksintellektuellen und eines diktatorisch regierenden Kommunisten aufeinander, das liest sich wie ein Lehrstück für den Umgang mit Autokraten, die sich stark und mächtig wähnen und in diesem Dünkel den Blick auf ihre und ihres Regimes Schwächen verloren haben. Edwards sagt Castro einen geradezu "dämonischen Hochmut" und Verschlagenheit nach, er nennt ihn aber auch warmherzig, neugierig und wissensdurstig. Indessen:

    "Er war nicht der Meinung, dass Kritik einen besseren, humaneren Sozialismus hervorbringen könnte; in dieser Hinsicht war seine Denkweise wohl kaum als dialektisch zu bezeichnen."

    Kein schmeichelhaftes Urteil für einen, der Marxist zu sein vorgibt. Aber der so gutwillig nach Kuba gekommene Jorge Edwards sah und erlebte während seiner dreieinhalb Monate währenden Mission auch wenig genug, das System und seine Repräsentanten schön zu schreiben. Er würdigt, was gegenüber dem vorrevolutionären Kuba zu würdigen ist, aber so wenig er die Augen vor dem Polizeistaat verschließen konnte, vermochte er die gigantische Misswirtschaft zu übersehen, hie Armut und Elend und Verfall, da Protz und so unsinnig-bizarre Zielsetzungen wie die Produktion von Camembert, der den aus der Normandie übertreffen sollte. Ja, über drei Jahrzehnte währte es, bis dieses Buch auch in Deutschland erscheinen konnte. Aber immerhin rechtzeitig zu Castros 80. Geburtstag. Oder, um Hans-Magnus Enzensberger zu zitieren:

    "Es ist nie zu spät für die Wahrheit, vor allem, wenn sie mit Edwards’ Witz und Intelligenz erzählt wird."

    Literaturliste

    Norberto Fuentes: Die Autobiographie des Fidel Castro,
    Verlag C. H. Beck, München 2006, 757 S., € 29.90,
    ISBN 13: 978-3-406-54216-9, ISBN 10: 3-406-54216-6
    Rezensent: Peter B. Schumann

    Bernd Wulffen: Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro,
    Ch. Links Verlag, Berlin 2006, 320 S., € 19.90,
    ISBN 13: 978-3-86153-406-8, ISBN 10: 3-86153-406-1
    Gespräch mit dem Verfasser

    Jorge Edwards: Persona non grata,
    Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006, 284 S., € 22.50,
    ISBN 13: 978-3-8031-3201-7, ISBN 10: 3-8031-3201-0
    Rezensent: Dietrich Möller

    Buchtipps

    Leonardo Padura: Adiós Hemingway, Unionsverlag, Zürich 2006, 192 S., € 17.90, ISBN 3-293-00362-1

    Fidel Castro/Felipe Pérez Roque/Heinz Dieterich:
    Kuba – nach Fidel. Kann die Revolution überleben? Kai Homilius Verlag, Berlin 2006, 178 S., € 9.90, ISBN 3-89706-653-X

    Peter Jacobs (Hrsg.): Wenn ich sterbe, wird es keiner glauben. Geschichten über Fidel Castro, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2006, 128 S., € 9.90, ISBN 3-359-01315-8

    Volker Skierka: Fidel Castro. Die Biographie, 14 CDs, Verlag Komplett-Media, Grünwald 2006, € 69.95,
    ISBN 13: 978-3-8312-6161-1, ISBN 10: 3-8312-6161-X

    Ursula Voss: Die Revolution bin ich. Fidel Castro im Portrait,
    Der-Audio-Verlag / NDR, Berlin 2006, € 14.95,
    ISBN 13: 978-3-89813-526-9, ISBN 10: 3-89813-526-8