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"Der Alte vom Berge"

"Der Alte vom Berge" heißt eine Auftragskomposition des österreichischen Komponisten Bernhard Lang für die Schwetzinger Festspiele. Angeregt durch den US-amerikanischen Kult-Autor William S. Burroughs entwickelte Lang einen fragmentarischen Text, der auf Episoden der recht sagenhaften Geschichte des terroristischen Assassinen-Ordens im 11. und 12. Jahrhundert, auf Rituale des Einschwörens und Heilsverheißungen für Selbstmordattentäter im "Heiligen Krieg" anspielt.

Von Frieder Reininghaus |
    Hinter der Chiffre des "Alten vom Berge" verbirgt sich Hassan-i-Sabbah, der erste und legendär gewordene Führer des mittelalterlichen orientalischen Geheimbundes der Assassinen, einer Abspaltung der schiitischen Ismaeliten, die in manchen Sprachen zum Synonym von "Mördern" wurden. Ausgehend von der Festung Alamut, die etwas nördlich des heutigen Teheran lag, wollten er und seine Nachfolger im 12. Jahrhundert einen islamischen Gottesstaat herbeizwingen - durch bedingungslosen Gehorsam der Anhänger und mit gezielten politischen Morden.

    Nicht nur unterschwellig ist dieser Themen-Hintergrund brisant - und eben diese diskrete Aktualität dürfte sowohl den Südwestrundfunk als Betreiber der Schwetzinger Festspiele wie das als Co-Produzent in Erscheinung tretende Theater Basel ermutigt haben, das auf den ersten Blick nicht eben besonders "kundenfreundlich" wirkende Werk von Bernhard Lang zu produzieren. So polyglott und farbenreich Langs Musik sich am Ende auch erweisen mag - zunächst sägt sie mit penetranten Wiederholungen an den Nerven, wirkt durch Verzicht auf erkennbare musikdramatische Formbildung wirklich nicht unbedingt einladend.

    Zum langen Prolog des neuen, dritten Bühnenwerks des 50-jährigen Bernhard Lang wurde in den Kammermusiksaal des Schwetzinger Schlosses geladen. Zu den gelinden Schrecken, die vom elektronisch angereicherten und verfremdeten Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart unter Leitung von Rolf Gupka ausgehen, dringen sechs sinistre Gestalten durch die Rokoko-Fenstertüren - singendes Personal im schwarzen Disco-Look. Sie demonstrieren den Zugriff auf Buchweisheiten und die Rituale der Zusammenrottung, das Verschweißen der Gruppendisziplin und die bedingungslose Unterordnung unter das Führerprinzip. Sie führen terroristische Mittel vor - nicht die künstlerische, theatralische Auseinandersetzung mit ihnen und ihren Hintergründen. Und für einen kurzen Augenblick scheinen auch Bezugnahmen zur Gegenwart auf, wenn sich die beiden vorzüglich singenden Sopranistinnen - Christa Fleischmann und Salome Kammer - Masken des gegenwärtigen US-Präsidenten und des ideellen Gesamtterroristen auf die Hinterköpfe stülpen.
    Weithin erscheinen die - ausnahmslos englischen - Wörter des Textes ebenso abgehackt, zerstückt und häufig repetiert wie die kurzen musikalischen Formeln, auf die Langs Musik primär rekurriert. Freilich wird die Strenge und Mechanik der in hohem Maß mit elektronischen Mitteln arbeitenden Tonspur dann aufgelockert durch variantenreiche Einschübe, die sich an den Tonkünsten der verschiedensten Zonen entzündeten.

    Nach einer dreiviertel Stunde werden die Zuschauer an der Hand genommen und ins Rokoko-Theater des Schwetzinger Schlosses überführt. fast pausenlos schließt das "eigentliche" Musiktheater an: Zu sehr schönen Bildern von Roland Aeschlimann (in wohltuender Distanz) entfaltet Bernhard Langs Musik verschiedene Facetten der für den Gotteskrieg mobilisierend wirkenden Heilsbotschaften - Garten- und Paradiesmusik (mit einem Blumenteppich und goldfleischfarbenen Nackedeis), vor allem auch eine Haschisch-Sequenz (denn ihren Namen bekamen die Assassinen als "Haschischraucher").

    Schließlich aber kippt die Theater-Aktion um: an der Rampe skandieren alle sechs Protagonisten Kill, kill, kill - die Impertinenz mag mit eindeutiger Intention ins Werk gesetzt worden sein. Aber sie ist so unscharf und bloß stimmungsmäßig wie alles an diesem Stück, das tiefstes Misstrauen gegen die meinende Sprache, das Argument und den formulierten Sinn beweist. Aber gerade darin dürfte es für die gegenwärtige Kunstproduktion signifikant sein - brauchbar und geeignet für Hochsubvention. Erst recht durch den Kommentar-Schluss, der in mittelhochdeutschen Reimen mit einem altmeisterlichen Satz von Guillemus Longius Minor - einer Anspielung wohl auf Guillaume de Machault versöhnt.