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"Der andere Mattheuer"

Der deutsche Maler, Bildhauer und Grafiker Werner Mattheuer war ein prägender Lehrer an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Ein Jahr vor der Wende trat er aus der SED aus, nahm an den Leipziger Montagsdemonstrationen teil. Mit Werner Tübke und Bernhard Heisig zählt er zum Kern der Leipziger Malerschule. Mattheuer starb vor drei Jahren. Im Museum der Bildenden Künste Leipzig sind etwa 90 Landschaftsgemälde ausgestellt, eine weniger bekannte Schaffensseite des Künstlers.

Von Carsten Probst | 14.07.2007
    Gartenstillleben, Panoramen vor allem aus seiner vogtländischen Heimat, Nacht- und Wolkenbilder: "Der andere Mattheuer", den die Leipziger Ausstellung im Titel ankündigt, ist unverkennbar ein später Erbe der deutschen Romantik à la Caspar David Friedrich. Manche dieser reinen Landschaftsimpressionen haben nahezu privaten Charakter. Verglichen mit Mattheuers berühmt gewordenen Anklagen zu deutschen Gegenwart, zum Beispiel der Skulptur "Jahrhundertschritt" oder dem Gemälde "Hinter den sieben Bergen" wirken sie unspektakulär und sogar beschaulich.

    Wenn Mattheuer sich selbst gern stets als "deutschen Künstler" bezeichnete, dann kann man anhand dieses durchaus umfangreichen Teils seines Werkes konstatieren: das gilt insbesondere auch für einen offenkundig sehnsuchtsvollen, manchmal ans Naive grenzenden Hang zur unberührten Natur. Sie ist quasi die Grundlage, die Quelle für die Entwicklung vieler seiner kritischen Bildthemen. In der allmählichen Zersiedelung, Zurückdrängung, Vernichtung von Landschaften und in der Perversion eines modernen Naturbegriffs, der Landschaft nach Effizienz ihrer Ausbeutbarkeit beurteilt, sah Mattheuer ein negatives Symbol für die Fortschrittsgesellschaft schlechthin.

    Demgegenüber stehen Gemälde wie die "Melancholische Landschaft" oder "Abendlandschaft bei Reichenbach" mit schwärmerischen Reminiszenzen an romantische Horizonte mit glühenden Sonnenuntergängen.

    In der "Mönchguter Landschaft" auf Rügen sieht man die geduckten Katen der Inselbewohner als erdfarbenen Teil des Panoramas, nicht als feindseligen Eingriff des Menschen in die Natur. In Gemälden dagegen, in denen sich moderne Asphaltstraßen durch die Landschaften ziehen, ist das anders. Die Natur erkaltet, Schilder mit unnatürlich grellen Farben stechen hervor, Alleebäume sind zurechtgestutzt und wirken wie Gebirgstunnel, Autos rasen mit ihren gespenstischen Lichtern wie Phantome durch horizontweite Einsamkeit. Im berühmten Gemälde "Spaziergang am Abend" von 1975 sieht man ein Paar vor einem Bretterzaun, hinter dem sich trostlos und braun eine Stadt ausbreitet. Dieses Bild befindet sich zwar nicht in der Ausstellung, doch wirkt die moderne Welt beim Thema vom "Sturz des Ikarus", das Mattheuer in mehreren Folgen bearbeitet hat, dafür geradezu apokalyptisch. Zu sehen ist hier im ersten Gemälde der Reihe, wie Ikarus als abgeschossener, möwenartiger Flugroboter vom Himmel in eine finstere, schwarzbraune Landschaft fällt, in der sich ein Autobahnkreuz und riesige Trassen durch einförmige Häusermassen ziehen.

    Der melancholische Blick auf den Kontrast von Natur und Zivilisation allein aber würde Mattheuers Werk sicher nicht den künstlerischen Rang eingebracht haben, den es heute zweifellos besitzt. Gerade an den altmeisterlich malerischen Sujets der Landschaften, die seinen Realismus von einer durchaus spielerischen Seite zeigen, lässt sich hervorragend nachvollziehen, dass Mattheuer selbst, als ausgebildeter Graphiker, dem unmittelbaren malerischen Gestus als Ausdrucksform immer misstraut hat. Auch seine noch so licht- und schönheitstrunkenen Ansichten wirken aus dem Geist der Typographie, sie sind große, bunte Zeichensprachen, die ein künstlerischer Konstrukteur in akribischer und intellektueller Kleinarbeit zusammensetzt. Mitunter werden die Zeichen der modernen Barbarisierung wie Karikaturen oder geradezu comichaft auf schon bestehende romantische Landschaftsentwürfe draufgesetzt.

    Die Leipziger Ausstellung verdeutlicht so einen Zug an der Person und am Werk Mattheuers, der manchen Kritikern bislang als Widerspruch erschien. Nach der Wende wurde die Sympathie des Malers, der jahrzehntelang Mitglied der SED gewesen war, für die rechtskonservativen "Republikaner" bekannt. Angesicht seines melancholischen Naturverständnisses, das sich in seinen Gemälden zeigt, wirken die linken wie die rechten Affinitäten des verspäteten Romantikers wie naive Versuche, die Welt ähnlich für sich zu ordnen, wie er es in seinen akribischen Bildern tat. Mattheuers öfter geäußerter Satz wird damit plausibel, mit der Wende hätte sich für ihn als Künstler eigentlich nichts verändert.