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Der andere "Ring"

Neben der Neuinszenierung von Richard Wagners "Ring" auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses gibt es einen zweiten, sozusagen alternativen "Ring" in Bayreuth: Der französische Regisseur Philippe Arlaud und der Musiker Nicolaus Richter haben sich nämlich an die Aufführung des ganzen "Rings" an einem einzigen Abend gewagt. Er steht im Mittelpunkt des diesjährigen Bayreuther "Off-Festivals".

Von Jörn Florian Fuchs | 26.07.2006
    Das Zentrum ist ein schmuckloser Betonbau mit angehängtem Sportplatz, normalerweise hört man dort Technomusik oder es spielen lokale Bands zum Balztanz auf. Momentan dient der 350 Besucher fassende Festsaal jedoch als Aufführungsstätte für Wagners Tetralogie. Sehr eigenwillig ist aber nicht nur der Spielort, sondern das ganze Projekt. Denn es handelt sich um eine Art Reader’s-Digest-Wagner, von den Tiefen des Rheins über den Riesenhort und Mimes Hütte bis hin zur flammenden Götterburg geht es in nur dreieinhalb Stunden. Im Orchestergraben sitzt ein Dutzend Musiker, auf der Bühne verausgaben sich acht Sänger-Darsteller in diversen Rollen.

    David Seaman hat 1990 diese Kammerfassung des Rings erstellt, vom Klang des Originals ist dabei erstaunlich viel übriggeblieben. Hauptprotagonistin des Mini-Wagner-Orchesters ist eine solistische Harfe, immer wieder klingt’s aber auch fast erschreckend opulent - nun ja, zumindest mit ein bisschen Ohrenzwinkern…

    Philippe Arlaud hat sich für seinen Bayreuther Ring einiges einfallen lassen und greift bisweilen zu recht drastischen Effekten. So wird Alberich der Ringfinger mit samt dem begehrten Machtobjekt kurzerhand abgeschlagen, der Riese Fafner quetscht den Kopf seines Bruders Fasolt in eine Mülltonne und haut dann kräftig mit dem Deckel drauf, und die Gibichungen richten sich am Ende selbst - mit Pistolen oder Gift. Dazwischen erzählt Arlaud die Handlung recht konventionell, allerdings unter dem Einsatz ziemlich aufwändiger, aber eher illustrativer Videotechnik. Man sieht ein abstraktes Felsmassiv oder virtuelle Wasserspiele. Verschiebbare Leinwände und ein sehr oft zum Einsatz kommender, kleiner weißer Vorhang ermöglichen rasche Szenenwechsel und sorgen beständig für action. Besonders packend ist der Übergang vom "Siegfried" zur "Götterdämmerung": hier trifft eine dekadente Partygesellschaft auf den verwirrten Stenz Siegfried, der eben noch in einem echten kleinen Tannenwäldchen nach Abenteuern suchte, aber nur ein sopraneskes Waldvöglein fand. Und dann geht plötzlich alles sehr schnell: ein kurzes Gespräch mit Gunther, die weinende Brünnhild, Verrat, Verrat, Siegfried tot und Walhall abgebrannt.

    Das Bemerkenswerte an dieser Short-cut-Dramaturgie ist: sie funktioniert. Der kleine Ring hat inhaltlich viel vom großen Bruder, nur die Nornen, Erda und ein paar weitere 'Kleinigkeiten’ müssen dran glauben. Auch manches liebgewonnene Musikstück, wie der Walkürenritt oder der Trauermarsch ist hier nicht zu hören.

    Alles aber nicht ganz so schlimm, meint Philippe Arlaud, der diesen Ring auch als Appetizer für Nicht-Wagnerianer versteht:

    "Wir haben manchmal Schmerzen, weil wir denken, diese Musik ist gerade nicht drin, etwa der Trauermarsch. Aber es ist egal. Hier haben wir die Möglichkeit, an einem Abend einen Überblick über die gesamte Geschichte zu geben. Die meisten Leitmotive von Wagner sind drin. 80 Prozent der Situationen sind drin. Es ist eine Art Appetizer für einen großen Ring. "

    Die Musiker leisten beträchtliches, vor allem Nadia Bendjaballah am Schlagwerk und Stefanie Nedwed, die gleich vier unterschiedlich gestimmte Klarinetten bedienen muss. Sängerisch bleibt man zumeist doch noch ein wenig unter Hügel-Niveau, wobei Marcel Cheong als Wotan und Gunther sehr schön intoniert und Markus Ahme als Siegfried, Froh und vor allem als Siegmund einen zuweilen fast aus dem Holzstuhl wirft.

    Auf dem Grünen Hügel sieht und hört man die Mini-Konkurrenz nicht so gern und spricht von "verkrampfter Trittbrettfahrerei". Dazu der Dirigent und Mit-Organisator Nicolaus Richter:

    "Wir wollen überhaupt nicht an den Pforten kratzen oder irgendetwas bewirken, was jemanden ärgern soll. Das sagen wir immer wieder, müssen wir leider immer wieder sagen, weil wir merken, dass es doch nicht so gerne angenommen wird. "

    Ob Trittbrett oder nicht, der kleine Ring begeisterte das Publikum jedenfalls ungemein und dürfte sich für manchen Künstler als veritables Sprungbrett erweisen. Denn immerhin können alle Mitwirkenden ja in ihren Lebenslauf schreiben, bei einem echten Bayreuther Ring dabeigewesen zu sein.