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Der anonyme Tod

Im Krieg gegen den internationalen Terrorismus setzen die Amerikaner auf unbemannte Flugzeuge. Aus der Ferne steuern sie Drohnen über pakistanische Dörfer und schießen Raketen ab. Dabei werden oft unschuldige Zivilisten getroffen. Der Frust unter den Bewohnern sitzt tief.

Von Jürgen Webermann |
    Es war früher, ein friedlicher Morgen im Oktober 2012. Mamana Bibi arbeitete schon auf dem Feld. Mamana, Mutter und Großmutter, Mittelpunkt der Familie.

    "Meine Mutter pflückte Okraschoten."

    Erinnern sich Siddique, einer ihrer Söhne. Und Nadeela, eine ihrer Enkelinnen.

    "Zuerst hörte ich ein Summen, und dann einen lauten Knall."
    "Meine Mutter starb durch den ersten Angriff. Kinder wurden verletzt."
    "Die erste Rakete verletzte uns und die zweite Rakete meinen Cousin."

    Am Ortsrand von Tappi wohnte Mamana mit ihrer Familie. Tappi, in Waziristan, einer jener Regionen, die im kargen, gebirgigen Grenzgebiet zu Afghanistan liegen. Weit weg von den großen Städten Pakistans. Selbst für die Zentralregierung kaum erreichbar. Es war vermutlich schon das sechste Mal, dass die Amerikaner Tappi angriffen. Was dagegen ganz sicher ist: Dieser Angriff ging schief. Und zwar gewaltig.

    "Als die zweite Rakete einschlug, waren schon viele aus ihren Häusern gekommen. Aber sie fanden meine Mutter nur noch in Stücke gerissen und über das Feld verteilt."

    Eine zweite Rakete. Abgefeuert auf diejenigen, die helfen wollen. Westliche Militärs werfen Terroristen häufig vor, genau so vorzugehen.

    Datha Khel, ein Dorf gar nicht so weit von Tappi entfernt. Hier wollten vor zwei Jahren die Ältesten mit Bewohnern eines Nachbarortes über Grundstücksstreitereien beraten. Die Dschirga, eine große Ratsversammlung tagte unter freiem Himmel. Zehn Kilometer entfernt betreibt die pakistanische Armee ein Feldlager. Der Kommandeur wusste von der Dschirga. Trotzdem schickten die Amerikaner Drohnen.

    "Nach den Explosionen bin ich so schnell wir möglich an den Ort gerannt. Ich sah überall Leichenteile herumliegen."

    Sagt Khalil, der damals zu jung war für die Dschirga. So wie auch Noor, dessen Vater die Familie in der Versammlung vertrat:

    "Ich kam erst fünf Stunden später an den Ort, da war mein Vater schon in einem Sarg. Ich konnte ihn kaum noch identifizieren. Sein Körper war total verbrannt."

    Diesmal hatten die Amerikaner gleich vier sogenannte Hellfire-, zu deutsch: Höllenfeuer-Raketen abgefeuert, per Joystick aus einem CIA-Büro weit weg von Datha Khel. 45 Menschen starben, die gesamte Führungselite der Gegend. Ob auch Terroristen darunter waren, lässt sich nicht klären. Der Drohnenkrieg der Amerikaner ist geheim.

    Seit 2004 führen die Amerikaner diesen erbitterten Krieg. Anfangs waren es ganz vereinzelte Schläge gegen hochrangige Taliban, mit Billigung Pakistans. Allein 2011 aber drückten CIA-Mitarbeiter 177 Mal auf den Joystick, um das Höllenfeuer zu entfachen. Wie viele Menschen starben, ist schwer abzuschätzen. Die pakistanische Regierung spricht von mindestens 2200 Opfern, andere Quellen von mehr als 3500 Opfern. Die CIA behauptete noch 2012, es sei kein einziger Zivilist gestorben, nur Taliban und El Kaida Terroristen, andere erklären, 90 Prozent der Toten seien einfache Bauern.

    Es ist das Surren, das die Überlebenden der Angriffe seitdem in den Wahnsinn treibt. Das Surren der Drohnen, die fast täglich über den Stammesgebieten kreisen. Über Dörfern wie Datha Khel und Tappi.

    "Seit dem Angriff leben wir in ständiger Angst. Die Drohnen sind immer da. Und sie sind so laut, dass wir vor Angst nicht schlafen können."

    Sagt ein Bewohner von Tappi. Psychologen gehen davon aus, dass ein großer Teil der Einwohner in den Stammesgebieten inzwischen traumatisiert ist.

    "Eines der Kinder erzählte mir, dass es immer mit einer Steinschleuder versucht, die Drohnen vom Himmel zu holen, immer dann, wenn sie besonders tief fliegen. Das sagt einiges darüber aus, wie die Menschen mit den Angriffen umgehen."

    Bei Mirza Shahzad Akbar sammeln sie sich, die Opfer der Angriffe. Immer mehr werden es. Akbar ist Anwalt in Pakistans Hauptstadt Islamabad.

    "Ich konnte in meinen Gesprächen spüren, wie hilflos die Menschen sind. Sie sind arm, sie sind ungebildet und deshalb gebunden an ihr Dorf. Sie können nicht einfach wegziehen."

    Akbar hat inzwischen zu einem präzisen Gegenschlag ausgeholt. Mit juristischen Mitteln will er die Amerikaner, aber auch den pakistanischen Staat angreifen. Mehrere Klagen hat er eingereicht, bei pakistanischen Gerichten. Akbar machte außerdem den Namen des CIA-Chefs in Pakistan öffentlich und klagte ihn wegen Mordes an. Der Mann musste abgezogen werden.

    "Die Angehörigen wollen Gerechtigkeit, sie kommen nicht wegen des Geldes zu mir. Wenn am Ende eine Entschädigung herausspringt, ist das nur gut. Aber sie kommen zu mir, weil sie Gerechtigkeit wollen."

    Dabei hätten viele Angehörige Geld bitter nötig. So wie die Menschen von Datha Khel. Bei dem Angriff auf den Ältestenrat starben nicht nur Familienväter, sondern auch Ernährer. Khalil muss diese Rolle jetzt für seine Familie ausfüllen.

    "Aber bei uns herrscht seit dem Angriff Chaos, unser Dorf hat keine Einkommensquellen mehr. Und wir trauen uns nicht einmal mehr, in einer größeren Runde zusammenzusitzen und darüber zu beraten."

    Andere, wie die Söhne von Mamana Bibi, arbeiten zwar wieder. Aber Siddique, er ist Lehrer, er hält Röntgenbilder in die Luft:

    "Das ist das Bild meiner Tochter Nabeela, man kann das Schrapnell gut erkennen, es steckt noch in ihrem Arm. Und das ist die Röntgenaufnahme meines Neffen. Sein Bein war gebrochen. Wir mussten Titanstreben einsetzen lassen."

    Wie Siddique das bezahlen soll, das weiß er noch nicht. Für den Angriff auf Tappi gab es noch nicht einmal eine Entschuldigung. Im Falle Datha Khel, dem Ort, in dem der Ältestenrat beschossen wurde, erreichte Rechtsanwalt Akbar dagegen ein spektakuläres Urteil. Ein Gericht in Peschawar forderte Pakistan auf, künftig Drohnen abzuschießen. Und die Prozesse zu verlegen: An den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.