Ob er beim Abhusten also nicht mehr klar ist, sondern bereits gelb oder grün. Diese Auskunft bekommt Dr. Stefan Wilm, ohne dass er danach fragt. Denn Patienten habe im Laufe ihres Lebens von Eltern und Ärzten gelernt, dass ein verfärbter Schleim bei akutem Husten ein wichtiges Symptom ist: Nämlich für eine bakterielle Infektion, die mit einem Antibiotikum behandelt wird. Und weil festsitzender Schleim in den Bronchien auch gelöst und heraus gehustet werden muss, werden meist auch noch schleimlösenden Mittel verordnet. Soweit gängige Praxis. Aber längst nicht mehr aktueller Stand der Wissenschaft, erklärt Stefan Wilm.
" Weder für die Frage: Hat die Farbe des Auswurfes , eine Bedeutung dafür, ob das Bakterien oder Viren sind, noch für das Lösen des Schleims gibt es irgendwelche wissenschaftlichen Belege. Beides sind Vorstellungen, die zum Teil aus dem frühen Mittelalter noch stammen und sich in unsere Neuzeit durch die Tradition der Menschen, durch die Volksmedizin 'rüber gerettet haben. Aber für diese Krankheitskonzept, für diese Vorstellungen gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege. Das ist gemeinsamer Glaube zwischen Patient und Arzt. "
Der auch wirkt, wenn sich jemand den Fuß verstaucht hat. Probate Therapie: kalte Kompressen! Obwohl längst bewiesen ist, dass ein verstauchter Knöchel ohne Kühlung viel besser heilt.
" Die Ärzte wissen es, und trotzdem haben sie selber noch aus ihrer eigenen Lebenserfahrung, aus der Kultur, in der sie leben, dieses Konzept mitgenommen. "
Soweit der Hausarzt Stefan Wilm. Als Wissenschaftler fragt er sich, warum viele seiner Kollegen an längst überholten Behandlungskonzepten festhalten? Zusammen mit Allgemeinmedizinern der Düsseldorfer Uni-Kliniken hat er eine Fülle von Interviews mit niedergelassenen Ärzten ausgewertet und Verblüffendes herausgefunden. Haben Patient und behandelnder Arzt gleiche Vorstellungen von der Krankheit und vom Kranksein (wie hier beim akuten Husten und dem verstauchten Knöchel), dann kann die Behandlung Mittel zum Zweck werden. Zu einem Ritual also - mit Placebo-Effekt.
" Entscheidend ist das gemeinsame darüber ins Gespräch kommen und das sich Kümmern, also dass die Patienten auch das Gefühl haben, der Hausarzt sorgt für mich und sorgt sich um mich. Denn was den Patienten zum Arzt führt, ist meistens die Sorge: Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. "Hören Sie doch mal meine Lunge ab, dass es keine Lungenentzündung ist! Das macht der Hausarzt dann auch. Und dann wird eine Behandlung besprochen, für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt, die aber hilft. Das ist das interessante an dieser Hausarztmedizin. "
Konzepte, die Patienten und Hausärzte teilen, können also durchaus etwas Wertvolles sein, erklärt Stefan Wilm: Sie tun gut. Und sie gehören zu einer gemeinsamen Gesprächskultur.
" Unser Anliegen ist nur, dass die Hausärzte mehr darüber reflektieren: Was tue ich da eigentlich? Auf welcher Ebene arbeite ich eigentlich? Arbeite ich auf einer wissenschaftlichen Ebene, berate ich den Patienten gerade zu Therapiekonzepten auf wissenschaftlicher Eben oder sprechen wir über unsere gemeinsame Tradition? "
Die aber auch Gefahren birgt. Etwa bei der Behandlung von schwer heilenden Wunden bei dem so genannten 'offenen Bein'. Da zeigt die Düsseldorfer Studie, dass ärztliches Handeln mitunter stark von Vorurteilen als von konkretem Fachwissen beherrscht wird.
" Das 'offene Bein' wird von vielen Hausärzten als ein Hinweis darauf unbewusst verstanden, dass dieser Mensch wenig auf sich aufpasst, dass er vielleicht unrein ist, dass er sich nicht kümmert, dass er vielleicht auch aus einer sozialen Unterschicht stammt. Und diese Vorstellungen, die den Hausärzten in dem Moment, wo ihm der Patient gegenübersitzt, ihm gar nicht so bewusst sind, die fließen in die Behandlung und in den Umgang mit dem Patienten ein, in Form einer gewissen Abwertung dieses Menschen. "Ach, der macht ja auch nichts, ach, da lohnt es sich ja gar nicht, mit ihm darüber zu reden. Der versteht das ja auch gar nicht." "
Eine Geringschätzung, die für den Heilungsprozess wohl kaum förderlich aber weit verbreitet ist.
Und wie reagieren Ärzte auf Patienten mit starken Kopfschmerzen? Weil die Ursache dieser Beschwerden mitunter nur schwer auszumachen ist, nehmen sie der Hausarztpraxis eine Sonderrolle ein, erklärt Dr. Silke Brockmann. Denn die Angst vor einem möglichen Tumor im Gehirn ist groß. Beim Patienten. Und beim Arzt, - der dann dazu neigt, nicht lange nachzufragen, wieso sein Patient gerade einen Tumor befürchtet.
" Man sieht es daran, dass, wenn sich dieses bedrohliche Gefühl und die Angst auf den Arzt überträgt, sie schneller bereit sind, eine CT oder eine Schichtaufnahme des Kopfes machen zu lassen, als wenn ein Mensch vor ihm sitzt, der ganz geduldig sagt: Ich habe Kopfschmerzen, das wird schon nichts Schlimmes sein. "
Die Düsseldorfer Studie "Konzepte von Hausärzten zu Krankheiten und Kranksein" zeigt also, wie zählebig Traditionen in der Behandlung von Patienten sind. Und dass sich Ärzte darüber verstärkt Gedanken machen sollten. Sie zeigt zudem, dass intensive Gespräche mit dem Patienten zum festen Bestandteil einer Therapie in der Allgemeinmedizin gehören.