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Der Atomausstieg: Deutschland zieht Konsequenzen

Wenige Monate, nachdem Schwarz-Gelb eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke beschlossen hatte, zwang das Reaktorunglück von Fukushima die Bundesregierung erneut zum Umschwenken. Atomausstieg - die neue Losung ist eine Herausforderung für den deutschen Energiemarkt, aber die Energiewende ist machbar.

Von Günter Hetzke | 07.03.2012
    "Wir werden schrittweise bis Ende 2022 vollständig auf die Kernenergie verzichten. Dieser Weg ist für Deutschland eine große Herausforderung, aber er bedeutet vor allen Dingen auch riesige Chancen für künftige Generationen", "

    so Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2011.

    Auch wenn die Abschaltung beschlossene Sache ist: Die Atomenergie ist auch 2012 noch eine wichtige Säule für die Stromversorgung in Deutschland. Zwar ist der Anteil der Kernkraft an der Stromerzeugung naturgemäß insgesamt zurückgegangen, nachdem acht ältere und besonders störanfällige Atomkraftwerke vom Netz genommen wurden. Aber knapp ein Fünftel des Stroms kommt immer noch aus AKW.

    In Zahlen: Trugen die Atomkraftwerke 2010 zu 23 Prozent zur Stromversorgung bei, waren es im vergangenen Jahr noch 18 Prozent. Das entspricht in etwa dem Anteil der erneuerbaren Energien, also Strom aus Wind- oder Sonnenkraft zum Beispiel, der bei 20 Prozent liegt. Wichtigste Energieträger bleiben Braun- und Steinkohle.

    Den AKW-Betreibern, den vier großen Energiekonzernen in Deutschland, E.ON, EnBW und RWE sowie Vattenfall, hat die Abschaltung der acht Kernkraftwerke die Geschäftsbilanz verhagelt, galten die Anlagen doch als Gelddruckmaschinen der Konzerne. Entsprechend verärgert zeigten sich die Vorstandsvorsitzenden, auch wenn der Tonfall mittlerweile nicht mehr harsch, sondern eher resignierend-ironisch geworden ist.

    " "Erst als es dunkel wurde, ging ihnen ein Licht auf! So definierte der Schriftsteller Wolfgang Eschker vor 30 Jahren das Wort Energiekrise. Dunkelheit, das war auch die bange Erwartung mancher Stromverbraucher nach dem Moratorium im vergangenen Frühjahr. Tatsächlich, die Netzexperten von Amprion und RWE, aber natürlich auch von den anderen Transport- und Verteilnetzbetreibern, sind seither den einen oder anderen Tag ins Schwitzen gekommen, und ich mit ihnen. Schließlich hätte es ja bei jedem Flackern der Glühbirne geheißen: Das macht er doch jetzt extra, dieser alte Atomboss", "

    so der scheidende RWE-Chef Jürgen Großmann. In der Tat haben sich durch den Wegfall von acht Atom- und damit Grundlastkraftwerken die Stromschwankungen im Netz gehäuft. Nahezu täglich mussten die Netzbetreiber in den Strommarkt eingreifen und vereinzelt sogar auf die Kaltreserve zurückgreifen, also auf Reserveanlagen für den Fall, dass die Stromnachfrage größer ist als die Produktion. Für Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler ein ganz normaler Vorgang:

    " "Ich habe nicht ganz verstanden, warum es kritisiert wurde, dass jetzt im Winter kurzfristig auch auf österreichische Hilfe zurückgegriffen wurde. Ich will sagen: Es war ausdrücklich Teil unserer Vorkehrungen, die auch gefordert wurden von Wirtschaft, von Industrie im Sinne von Netzstabilität."

    Weitaus mehr Verständnis zeigt der Bundeswirtschaftsminister gegenüber der Kritik der Europäischen Union an dem nationalen Alleingang Deutschlands beim Atomausstieg. Philipp Rösler erinnert sich:

    "Der erste Energieministerrat, den ich erleben durfte, war der direkt nach den Energiewendebeschlüssen der Bundesregierung. Es war ein - obwohl es Sommer war - kühler Empfang bei den Energieminister-Kollegen auf europäischer Ebene - um das mal nett zu sagen. Jeder Wortbeitrag fing damit an, wir haben mit der deutschen Entscheidung nichts zu tun, wir wurden ja auch nicht gefragt, aber ... Und das zeigt, das es vielleicht gut ist, bei aller Notwendigkeit der Geschwindigkeit der Entscheidungen, immer auch den europäischen Gesamtzusammenhang zu sehen. Wir können Netze und Stabilität von Netzen gar nicht mehr von der europäischen Betrachtung trennen. "

    Bis zum Jahr 2022 sollen die verbleibenden neun Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Ein ehrgeiziges Ziel, so RWE-Chef Jürgen Großmann, aber:

    " "Diese Energiewende ist machbar. Daran besteht für mich kein Zweifel. Das Ziel ist aber sehr, sehr ehrgeizig. Einfach wird das nicht!"

    Dass der Weg lang und steinig wird, unterstreicht auch der Bundeswirtschaftsminister:

    "Wir haben weitreichende Entscheidungen im letzten Jahr getroffen. Aber Sie alle wissen natürlich, dass mit diesen Entscheidungen die energiepolitische Debatte nicht beendet ist, sondern dass sie jetzt überhaupt erst anfängt. Ich betone das, weil für die meisten Menschen offenbar die energiepolitische Debatte beendet ist. Denn die große Streitfrage, Ausstieg aus der Kernenergie, ja oder nein, scheint entschieden."

    Doch sollten Energieausfälle sich häufen oder die Stromkosten explodieren, dann könnten erneut Stimmen für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke laut werden. Zehn Jahre sind eine lange Zeit - und einen Ausstieg aus dem Ausstieg hatte das Land ja auch kurz vor Fukushima schon erlebt.

    Serie:
    Eine Katastrophe mit Fernwirkung - Sendereihe: "Ein Jahr nach Fukushima"