Der Irchel-Park wärmt sich in der Herbst-Sonne. "Geduld, bald brennt's" hat jemand mit Filzstift auf einen Papierkorb gesudelt. Hundert Meter entfernt davon werden Fahrzeuge des Militärischen Sicherheitsdienstes und dem des Kantons Zürich in Stellung gebracht. Doch die grauen Herren sind nicht wegen der Bekundung der Gedulds-Dialektik vorgefahren, sondern widmen sich dem Bunker, dem die Grünanlage als Kopfdecke dient. Die Repräsentanten der wehrhaften Schweiz prüfen wohl, was die stimmkräftigste Partei des Landes verlangt: die Tauglichkeit solcher Lokalitäten als "Asylantenunterkünfte". Passend dazu lobt die aktuelle Ausgabe der Zeitung "Blick" die "engen Verhältnisse", die den Hilfesuchenden jetzt zugemutet werden. Auch die einst so freie und gastfreundliche Schweiz ist nicht davor gefeit, zum Schurkenstaat zu mutieren.
In diesem Sinn besitzt die Uraufführung "Die Stadt der Blinden" Aktualität. Amtlich herbeigeführte "enge Verhältnisse" kamen nach Einbruch der Dunkelheit auf die Bühne des Züricher Opernhauses: die zunächst vereinzelte, dann massenweise Internierung von Menschen, die aus unerklärlichen Gründen plötzlich erblindeten. Die Betroffenen werden vorsorglich und radikal vom Rest der Bevölkerung separiert und dann, so der Plot, sich selbst überlassen. Nach und nach werden sie sich ihrer Lage bewusst. Spätestens, indem sich das Quarantänequartier übermäßig füllt und die Anlieferung der zunächst zugesicherten Verpflegungsrationen nicht funktioniert: Eine Gefangenhierarchie bildet sich heraus und verwaltet die Essensausgabe. Im Zuge der allgemein um sich greifenden Enthumanisierung verlangen "die Starken" Frauen gegen Essen.
Die mitgefangene Gattin des von Anfang an weggeschlossenen Augenarztes, als einzige sehend, setzt mit der Schere ein Exempel am Wortführer der Vergewaltiger. Die traumatische Erfahrung dieses Akts der blutigen Selbstjustiz veranlasst sie dann zu einer großen Arie. Sandra Trattnigg meistert sie ebenso bravourös wie die übrigen, die ihr Anno Schreier zugeschrieben hat.
Am Anfang war das Wort: das der Staatsmacht aus dem Lautsprecher, die ihre Anordnungen bekanntgibt. Konnte man bei den nachfolgenden Klangfanfaren und Streicherfiguren zunächst meinen, einem posthum aufgeführten, bis dato noch unbekannten Opernfragment von Richard Strauss beizuwohnen, belehrt Schreiers Tonsatz die Hörer bald, dass er aus verschiedenen Schichten des 20. Jahrhunderts schöpft, um eine vielgestaltige, jeweils text- und situationsbezogene Musik zuwege zu bringen. Zsolt Hamar dirigiert sie mit Lust an expressionistischer Nachdrücklichkeit und Gespür für illustrierende Effekte. Er macht damit zum Teil wett, was die Inszenierung im hermetisch grauen Geviert nicht leisten kann: Bedrohung und Schrecken atemberaubend machen. Am nachdrücklichsten gelingt dies mit einem auch an Altmeisterlichkeit gemahnenden Turba-Chor.
Ein Team starker Stimmen wurde in Zürich aufgeboten, aus dem die Männerpartien von Reinhard Mayr, dem Augenarzt, Peter Sonn (als Autodieb) und Thomas Tatzel (als Taxler) hervorragen, insbesondere auch die anrührende Leistung von Rebecca Olvera als "junge Frau mit der Brille", die beim Liebesakt im Hotel mit der Blindheit geschlagen wurde und sich um das besonders verlorene blinde Kind kümmert, dessen Fragen der Komponist allemal eine Akkordeon-Figur zugesellt.
So unerklärlich, wie die Erblindungs-Epidemie eintrat, verschwindet sie auch wieder. Saramago blieb skeptisch, ob die Leute durch dergleichen Erfahrung wirklich lernen. Die neue Züricher Oper wird pathetisch mit Dramaturginnen-Poesie: "Sehend wage ich kaum einen Blick zurück". Und leise verhallt die Schluss-Sentenz der Primadonna ins Dunkel: "Aber die Stadt hier unten ist immer noch da".
In diesem Sinn besitzt die Uraufführung "Die Stadt der Blinden" Aktualität. Amtlich herbeigeführte "enge Verhältnisse" kamen nach Einbruch der Dunkelheit auf die Bühne des Züricher Opernhauses: die zunächst vereinzelte, dann massenweise Internierung von Menschen, die aus unerklärlichen Gründen plötzlich erblindeten. Die Betroffenen werden vorsorglich und radikal vom Rest der Bevölkerung separiert und dann, so der Plot, sich selbst überlassen. Nach und nach werden sie sich ihrer Lage bewusst. Spätestens, indem sich das Quarantänequartier übermäßig füllt und die Anlieferung der zunächst zugesicherten Verpflegungsrationen nicht funktioniert: Eine Gefangenhierarchie bildet sich heraus und verwaltet die Essensausgabe. Im Zuge der allgemein um sich greifenden Enthumanisierung verlangen "die Starken" Frauen gegen Essen.
Die mitgefangene Gattin des von Anfang an weggeschlossenen Augenarztes, als einzige sehend, setzt mit der Schere ein Exempel am Wortführer der Vergewaltiger. Die traumatische Erfahrung dieses Akts der blutigen Selbstjustiz veranlasst sie dann zu einer großen Arie. Sandra Trattnigg meistert sie ebenso bravourös wie die übrigen, die ihr Anno Schreier zugeschrieben hat.
Am Anfang war das Wort: das der Staatsmacht aus dem Lautsprecher, die ihre Anordnungen bekanntgibt. Konnte man bei den nachfolgenden Klangfanfaren und Streicherfiguren zunächst meinen, einem posthum aufgeführten, bis dato noch unbekannten Opernfragment von Richard Strauss beizuwohnen, belehrt Schreiers Tonsatz die Hörer bald, dass er aus verschiedenen Schichten des 20. Jahrhunderts schöpft, um eine vielgestaltige, jeweils text- und situationsbezogene Musik zuwege zu bringen. Zsolt Hamar dirigiert sie mit Lust an expressionistischer Nachdrücklichkeit und Gespür für illustrierende Effekte. Er macht damit zum Teil wett, was die Inszenierung im hermetisch grauen Geviert nicht leisten kann: Bedrohung und Schrecken atemberaubend machen. Am nachdrücklichsten gelingt dies mit einem auch an Altmeisterlichkeit gemahnenden Turba-Chor.
Ein Team starker Stimmen wurde in Zürich aufgeboten, aus dem die Männerpartien von Reinhard Mayr, dem Augenarzt, Peter Sonn (als Autodieb) und Thomas Tatzel (als Taxler) hervorragen, insbesondere auch die anrührende Leistung von Rebecca Olvera als "junge Frau mit der Brille", die beim Liebesakt im Hotel mit der Blindheit geschlagen wurde und sich um das besonders verlorene blinde Kind kümmert, dessen Fragen der Komponist allemal eine Akkordeon-Figur zugesellt.
So unerklärlich, wie die Erblindungs-Epidemie eintrat, verschwindet sie auch wieder. Saramago blieb skeptisch, ob die Leute durch dergleichen Erfahrung wirklich lernen. Die neue Züricher Oper wird pathetisch mit Dramaturginnen-Poesie: "Sehend wage ich kaum einen Blick zurück". Und leise verhallt die Schluss-Sentenz der Primadonna ins Dunkel: "Aber die Stadt hier unten ist immer noch da".