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Der Ausbruch des Tambora
Der Vulkan, der den Winter brachte

Heute vor 200 Jahren brach auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien der Tambora aus. Eine Woche lang soll in ganz Südostasien Finsternis geherrscht haben. Danach war alles mit einer Ascheschicht überzogen, die Ernten vernichtet und das Wasser vergiftet. Es war tödlichste Ausbruch in der Menschheitsgeschichte - und er sollte noch Jahre später viele zehntausend Menschenleben rund um die Welt fordern.

Von Dagmar Röhrlich | 10.04.2015
    Vulkanausbruch auf Sumatra
    Ein Vulkanausbruch auf Sumatra: Ungleich heftiger muss die Explosion des Vulkans Tambora gewesen sein. (imago stock&people)
    Auf der Insel Sumbawa beginnt Magma unter dem 4.300 Meter hohen Tambora aufzusteigen. Die Erde bebt, es grollt, manchmal quillt Asche aus. Weiter geschieht nichts.
    5. April 1815
    Eine Feuersäule schießt aus dem Gipfel des Vulkans, erhellt die Nacht, bis dichte Aschewolken sie verhüllen. Nach ein paar Stunden beruhigt sich der Tambora wieder.
    10. April 1815
    Am Abend schießen drei Feuersäulen aus dem Gipfel, vereinen sich zu einem wirbelnden Ball. Schwarze Aschemassen wälzen sich heraus. Der ganze Berg scheint sich in Lava zu verwandeln. Es regnet kochendes Wasser. Wirbelstürme entwurzeln Bäume, fegen Häuser fort und Menschen…
    Sieben Tage dauert das Inferno. Dann ist der Vulkan erschöpft.
    Der Tambora Ausbruch zähle zu den größten in historischer Zeit, erklärt Clive Oppenheimer von der University of Cambridge. Die Sprengkraft der Eruption lag bei 170 000 Hiroshima-Bomben. "Wie viel Magma freigesetzt wird, lässt sich selbst bei einem modernen Ausbruch schwer abschätzen, vor allem, wenn - wie beim Tambora - viel Material im Ozean landet. Wahrscheinlich wurden etwa 30 Kubikkilometer Magma ausgestoßen. Damit war die Tambora-Eruption etwa zehnmal heftiger als die des Pinatubo 1991."
    Die Magmakammer unter dem Tambora hat sich wohl über mehr als 4.000 Jahre hinweg gefüllt, schätzt Steven Self von der University of California in Berkeley. Er hat den chemischen Fingerabdruck der Gesteine analysiert: "Das Magma dieser Eruption war bemerkenswert homogen. Weil sich normalerweise die Zusammensetzung im Lauf einer Eruption ändert, glauben wir, dass kurz vor dem Ausbruch ein neuer Schub heißen Magmas aus dem Erdmantel aufgestiegen ist. Der hat alles durcheinander gewirbelt und wohl auch den Ausbruch ausgelöst."
    Am Ende des Ausbruchs war der Tambora anderthalb Kilometer niedriger als zuvor, sein Gipfel über der leeren Magmakammer kollabiert. Vielleicht 70.000 Menschen starben, vielleicht 100.000.
    Die Katastrophe nach der Katastrophe
    Der Tambora hatte gewaltige Mengen an Schwefelaerosolen in die Stratosphäre geschleudert. Die verteilten sich als Schleier um die Erde, reflektierten das Sonnenlicht und kühlten das Klima: "Im Falle von Tambora liegen die Abschätzungen der globalen Abkühlung zwischen einem halben Grad und 0,8 Grad Celsius. Das bedeutet natürlich einen sehr starken Verlust in der Landwirtschaft", erläutert Hans Graf von der University of Cambridge. 1816 gaben zahllose Bauern an der Ostküste Nordamerikas auf, zogen nach Westen. In Europa verhungerten damals Zehntausende oder starben an Mangelkrankheiten. Am schlimmsten traf es Asien. Über Jahre hinweg vernichteten Sommerfröste Reisernten, wechselten Dürren und Sturzregen einander ab. In Yunnan begrub niemand die Toten, und um den Magen zu füllen, aßen Menschen Lehm, erzählt Gillen D‘Arcy Wood von der University of Illinois: "In Indien wirkten sich die Klimaturbulenzen auf die Ökologie im Ganges-Brahmaputra-Delta so drastisch aus, dass dort ein neuer Cholera-Stamm entstand. Der breitete sich zunächst rund um den Golf von Bengalen aus und dann um die ganze Welt, tötete im 19. Jahrhundert Millionen Menschen."
    Die Erforschung der Ursachen
    Die Schuld traf nicht den Tambora allein. Glaziologen fanden in grönländischen und antarktischen Eisbohrkernen Ascheschichten, die von einem sehr großen und sehr explosiven Ausbruch aus dem Jahr 1809 stammen. Ein noch unbekannter Vulkan kühlte das Klima vor. Hans Graf: "Von einem einzelnen Ausbruch ist die Wirkzeit begrenzt: ein bis zwei Jahre starke messbare Wirkung und danach vorbei. Wenn wir jetzt aber, sagen wir mal, alle zwei, drei, vier Jahre so einen Ausbruch haben, dann kommt eine kurze Wirkung nach der anderen kurzen Wirkung. Diese multiplen, kurzfristigen Wirkungen können dann natürlich das Klimasystem in ein völlig neues Regime treiben.
    Das liegt an den Ozeanen: Sie reagieren langsamer als die Atmosphäre, haben die Folgen des ersten Ausbruchs noch nicht "vergessen", wenn der nächste sie weiter abkühlt. So vermuten Klimaforscher, dass vor 600 Jahren eine Serie starker Eruptionen die Kleine Eiszeit eingeleitet hat. Auch von diesen Ausbrüchen weiß man nur durch ihre Hinterlassenschaften in den Eisbohrkernen.
    Wiederholung nicht ausgeschlossen
    Nur ein tropischer Vulkan kann globale Auswirkungen haben, denn nur von dort aus breitet sich der Aerosolschleier rund um die Welt aus. Beim Ausmaß der Folgen spielt der Zustand des Klimasystems eine Rolle, erklärt Hans Graf: die Sonnenaktivität etwa oder ob gerade El-Niño herrscht. "Wir müssten praktisch ein System haben, ein Klimavorhersagesystem, dass so wie Wettervorhersagesysteme permanent läuft. Das ist eine sehr teure Geschichte. Und bis jetzt existiert so etwas noch nicht. Es gibt eine Reihe von Kollegen, ich gehöre dazu auch, die sagen: Wir brauchen so ein System, weil wir nicht wissen wann so eine große Eruption stattfinden kann."
    Heute schützt zwar eine globale Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur die Menschheit durchaus. Aber 1815 lebte etwa eine Milliarde Menschen auf der Erde, heute sind es sieben. Gillen D‘Arcy Wood: "Ein Tambora könnte die Welt wieder in eine wirtschaftliche und soziale Krise stürzen. Für die betroffene Region wäre es ein humanitäres Desaster, und durch die Klimafolgen würden Nahrungsmittel knapp."
    So ganz gefeit wäre die Menschheit auch im 21. Jahrhundert nicht gegen eine Katastrophe wie die aus dem Jahr 1815.