Archiv


Der Auschwitz-Prozess auf DVD

Für den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war das größte Schwurgerichtsverfahren der Adenauer-Republik auch und nicht ganz zuletzt eine Volksbildung vor Gericht. Darum wurde die Anklage gegen die unterschiedlichen Funktionsträger der Lagerhierarchie erhoben, darum wurden die Créme der zeitgenössischen Historiker als Sachverständige geladen, darum bat man Schriftsteller, wie Hannah Arendt, Peter Weiss und Martin Walser als Beobachter ins Bürgerhaus im Gallus, wo in Ermangelung eines geeigneten Raumes die Verhandlungen an knapp 200 Tagen stattfanden und vielleicht, vielleicht darum nahm man die Aussagen der Zeugen auch auf Tonband auf.

Von Jochanan Shelliem |
    Vorsitzender Richter: Moment, Herr Zeuge. Sind Sie damit einverstanden, das ich Ihre Aussage auf ein Tonband aufnehme.

    Zeuge Mauritius Berner: Bitte schön.

    Vorsitzender Richter: Zur Stützung des Gedächtnisses des Gerichts?

    Zeuge Mauritius Berner: Bitte. Bitte sehr.

    Es gab eine Festlegung seitens des Bundesgerichtshofes, dass Tonbandaufnahmen in der Hauptverhandlung dann möglich sind, wenn vorab geklärt ist, zu welchem Zweck eine Tonbandaufnahme gemacht wird. In diesem Falle war die Zweckbestimmung ganz eindeutig und eingeschränkt, dass der Tonbandmitschnitt nur dem Gericht zur Verfügung steht.

    Im 5. Stock des IG-Farben Hauses in Frankfurt am Main sitzt seit einigen Jahren Werner Renz vor seinem Bildschirm und redigiert und annotiert und korrigiert die Abschriften der Tonbänder des Ersten Auschwitz-Prozesses, der am 20. Dezember 1963 im Frankfurter Stadtparlament begann. Seit fünf Jahren beschäftigt sich eine Abteilung des Fritz-Bauer-Institutes, angegliedert an die Johann Wolfgang Goethe Universität, mit den 103 Bändern, auf denen 430 Stunden Aufnahmen gespeichert sind. Aussagen, wie die des jüdischen Arztes Mauritius Berner, der während des Prozesses unter den Angeklagten den ehemaligen Pharmavertreter und Apotheker Victor Capesius, dem er an der Rampe in Auschwitz begegnet ist, erkennt. Damals – in Auschwitz an der Rampe - hatte er sich ein Herz gefasst und Victor Capesius, der neben Mengele stand, um besondere Fürsorge für seine Zwillinge gebeten. Zwillinge hatte damals Capesius gesagt, holen Sie sie zurück.
    Sie kommen zurück, und sogar Doktor Capesius nahm sie an der Hand, die zwei Kinder, und führt uns bis zum Doktor Mengele. Und an seinem Rücken stehen geblieben, sagt er mir: "Na, sagen Sie ihm." Und ich sagte wieder: "Herr Kapitän", ich wusste nicht seine Distinktion, "Herr Kapitän, ich habe zwei Zwillingskinder", wollte weiter sprechen, aber er sagte mir: "Später, jetzt habe ich keine Zeit." Und mit einer abwehrenden Handbewegung hat er mich weggeschickt. ..Doktor Capesius sagte: "Also dann müssen Sie zurückgehen in Ihre Reihe. Gehen Sie zurück." Und meine Frau und meine drei Kinder sind wieder an diesem Weg weitergegangen. Ich begann zu schluchzen, und er sagte mir auf Ungarisch: "Ne sírjon"; "Weinen Sie nicht. Die gehen nur baden. In einer Stunde werden Sie sich wieder sehen."

    Nachdem das Verfahren abgeschlossen war, hätten die Aufnahmen eigentlich gelöscht werden müssen. Denn den Juristen dienten die Aussagen nur als Hilfe zur Beweisermittlung, auch wenn, gerade im Auschwitz Prozess, wie Hanna Ahrendt schrieb, nicht die Drahtzieher der Vernichtung sondern mit den Launen und Sadismen der SS-Männer in Auschwitz der menschliche Faktorauf der Anklagebank saß. Die Bänder wurden jedoch nicht gelöscht, so Werner Renz:

    Schon im Jahre 1965, nach dem das Urteil gesprochen worden war, im August 1965 hat sich Hermann Langbein, der als Zeuge und als Berichterstatter des Prozesses, als Beobachter des Prozesses fungierte sich an das Gericht gewandt. Dieses hat ihm, weil es in Urlaub war, nach den zwanzig Monaten Prozessdauer nicht geantwortet. Er hat sich umgehend an den Justizminister in Wiesbaden gewandt, der per Erlass verfügte, dass der Tonbandmitschnitt von zeitgenössischer Bedeutung sei und deshalb aufzubewahren sei.

    Bis 1993 interessierte sich nur einmal ein Jurist für die Aufnahmen aus dem Auschwitz-Prozess. Vor dem Landgericht Siegen verlangte der Verteidiger eines mutmaßlichen NS-Verbrechers die Aussage eines Zeugen aus dem Auschwitz-Prozess als Entlastung für seinen Mandanten beizuziehen. Da erst begann man die Bänder zu suchen, fand sie in einem Schrank der Frankfurter Staatsanwaltschaft und gab sie nach Ermittlung des Zitates, an das Hessische Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden ab. Seither wussten mit der Materie befasste Juristen und Reporter von den 103 Tonbänder aus dem Auschwitz-Prozess.

    Seit fünf Jahren wertet nun das Fritz-Bauer-Institut die 430stündige Aufnahme wissenschaftlich aus. Und Werner Renz und andere Historiker sitzen im fünften Stock des IG-Farben-Hauses vor ihren Bildschirmen und transkribieren, korrigieren, annotieren die Aussagen der Zeugen, die Entgegnungen der Angeklagten und die Fragen des Gerichts. Die DVD mit etwa einhundert Stunden Ton, die sie im Rahmen der Leipziger Buchmesse vorstellen werden, enthält darüber hinaus den gesamten Text der 430 Stunden Ton und weitere historische Informationen und wird im April der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.