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Der Bademeister

Seit hundert Jahren steht es da, das Schwimmbad in der Oderbergerstraße am Prenzlauer Berg. Es ist ein ehrwürdiger Bau: Ein großes und ein kleines Becken sind vorhanden, es gibt türkise Kacheln, schmiedeeiserne Treppengeländer und einen Lichtbogen. Pfeiler mit Löwenköpfen stützen die Galerie, auf der die Zuschauerbänke stehen. Wannenbäder gibt es in der oberen Etage. Dreitausend Gäste pro Woche besuchten in den Anfangszeiten das Schwimmbad - jetzt ist es geschlossen, und niemand kommt mehr hierher. Dazu katharina Hacker:

Maike Albath |
    "Ein leeres Schwimmbad ist schon eine Skurrilität. Wenn man ins Becken rein geht, hat man eine ganz bestimmte Art von Irritation, weil klar ist, daß die Elemente in Unordnung geraten sind, und ein staubiges Schwimmbecken finde ich besonders skurril. Weil es eben einfach nicht paßt. Und dann hat man diese große Halle, eigentlich eine sehr schöne Architektur, dabei diesen Verfall, und die bizarren Schilder, die ich zitiere, die hängen da wirklich noch oder hingen noch, als ich das letzte Mal da war. Es ist einer dieser Orte, die sehr stark Ourch ihre Abwesenheit geprägt sind. Und in dem Fall auch durch eine ganz ganz große Verlorenheit. Es wirkte bemitleidenswert, dieser ganze Ort. Sehr trist, schon sehr melancholisch."

    Von einem verlassenen Schwimmbad und seinem letzten Bewacher erzählt Katharina Hacker in ihrem neuen Roman "Der Bademeister". Das Schwimmbad existiert tatsächlich, ihren Helden, den achtundfünfzigjährigen Bademeister Hugo, hat Hacker erfunden. Hugo ist eine gebrochene Existenz. Er war schon immer schweigsam, etwas anderes als die Regeln des Badebetriebes brachte er nicht über die Lippen, auch mit seinen Kollegen sprach er kaum. Sein ganzes Leben ist er um den Beckenrand geschritten und hat aufgepaßt, ertrunken ist ihm nie jemand. Bei ihm Zuhause herrschte seine Mutter, auch mit ihr wechselte er kaum je ein Wort, aber sie sorgte für saubere Kleidung und ordentliche Turnschuhe. Mit der Schließung des Schwimmbads bricht Hugos Bezugssystem zusammen. Er wird in die Frühpensionierung geschickt, verbirgt die Schmach vor seiner Mutter und geht morgens aus dem Haus, als wenn nichts wäre. Die ersten Wochen streift er ziellos durch die Stadt, die nach und nach immer bedrohlicher wird und ihn zu verschlingen droht. Als eines Tages seine Mutter stirbt, kehrt der Bademeister bald dahin zurück, wo er hingehört. Durch den Heizungskeller dringt er in das Schwimmbad ein, wirft die Kohleöfen wieder an und richtet sich ein in dem langsam zerfallenden Gebäude. Und er fängt an zu sprechen. Daz Hacker:

    "Was ich gerne wollte, was mir auch an dem Monolog gut gefällt, ist, daß es die Möglichkeit einer Auflehnung bietet. Denn es ging mir ja darum, daß er sich eben doch auflehnt, in erfolgloser Weise, kann man vielleicht sagen - weiß ich gar nicht, würde ich mich noch nicht einmal festlegen wollen, er lehnt sich jedenfalls auf, und die Vergeblichkeit des Gestus, die aber doch seine Würde wahrt, die schien mir am besten darzustellen in der direkten Rede."

    Der Bademeister verfällt in einen verzweifelten Monolog, durchsetzt von stereotypen Wiederholungen, so monoton wie das Schwappen des Wassers am Beckenrand. Wie Beschwörungsformeln klingen seine Sätze, und erst nach und nach schälen sich Teile seiner Vergangenheit aus den Sprachkapseln heraus. In Nebensätzen deutet sich die Schuld des Vaters an, der in Naziverbrechen verwickelt gewesen zu sein scheint und Berge von Kinderschuhen in seinem Keller lagerte. Weil er in der DDR nicht wohl gelitten war und geächtet wurde, wird seinem Sohn der Besuch der Universität verweigert. Irgendwann hängt sich der Vater im Wohnzimmer auf, aber auch das ist kein dramatischer Einschnitt und gesprochen hat der Bademeister darüber mit seiner Mutter nie.

    Hacker verzichtet auf die ausführliche Darlegung der Familiengeschichte, läßt sie nur darin und wann in der Erinnerung ihres Helden aufblitzen und unterstreicht auf diese Weise die gespenstische Macht der Vergangenheit. Es bleibt dem Leser überlassen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, aber die Logik der Abfolge und die Unausweichlichkeit dieses Schicksals sind bedruckend. Denn die totgeschwiegenen Greueltaten scheinen sich direkt in dem zerstörten Inneren des Bademeisters abzulagern - er ist so etwas wie ein Echo der Verbrerhen, für die er mit seinem verpfuschten Leben sühnen muß. Dazu die Autorin: "Das Signifikante daran ist, nicht sich in konkreter Weise zu überlegen, wer hat woran Schuld, und das gegebenenfalls zu klären und sich dadurch auch in dem Fall nicht für schuldig zu erachten, weil, er war ein Kind und hat ja tatsächlich nichts getan, sondern statt dessen in so einem Unbehagen, in einer Scham, in einer Ängstlichkeit, wie auch immer, im Grunde sich auch einzurichten und dann da fatalerweise nicht mehr herauszukommen. So als hätten die Instanzen, mit denen man normalerweise moralische, auch konkrete Entscheidungen für das eigene Leben trifft, sich irgendwie zersetzt. Und dann ist da schwer weg zu kommen. Und das glaube ich, kenne ich schon."

    Äußerst subtil ist die Bedeutungsebene in den Monolog eingearbeitet, und darin liegt gerade der Reiz des Romans, denn tatsächlich ausgesprochen und erklärt wird nichts. Hacker gelii.Igt die Konstruktion eines wohnhaften Systems, in das der Leser über Hugos beteuernden RedeSchleifen eingesponnen wird und sich mit immer größerer Beklemmung voran tastet. Eine Art innerer Irrgarten entsteht - man begreift die Verzweiflung des Bademeisters, fragt sich gleichzeitig, warum er nie aufbegehrt und sein Leben in die Hand genommen hat. Die einzige Andeutung von Glück steckt in der Begegnung mit der kleinen Tochter des Kioskbesitzers Cremer, die in den Erinnerungen des Bademeisters wie ein Wesen aus einer anderf,-n, verheißungsvolleren Welt wirkt. Das Mädchen war eine Besucherin des Bades, und ihr durfte Hugo das Schwimmen beibringen, aber auch sie wurde ihm genommen. Frei entschieden hat der Bademeister Oberhaupt nie - alles ist ihm widerfahren, zugestoßen.

    Von Kapitel zu Kapitel häufen sich die grotesken Elemente, die man erst auf den zweiten Blick als ein Metapherngewebe identifiziert. Im Keller des Schwimmbads hausen nämlich Fische, die der Heizer sich dort züchtete, um sie in regelmäßigen Abständen zu verspeisen. Als der Bademeister zurückkehrt, kümmert er sich um die halbtoten Welse und wird ihnen im Verlauf seines heimlichen Aufenthaltes immer ähnlicher. Außerdem schleppt er alte Globen in das verwaiste Schwimmbad; leuchtende Weltkugeln, die aussortiert wurden, weil die Grenzen nicht mehr stimmen. Hugo gefallen die blauen Globen, auf denen die Weltmeere verzeichnet sind, er stellt sie in den Keller und knipst sie an. Ihm entziehen sich die politischen Veränderungen, er verharrt in seinen gewohnten Zeitstrukturen, die wie das Schwimmbad immer brüchiger werden.as Wasser selbst und das Baden darin haben ja eigentlich eine reinigende Funktion, aber Hugo schwimmt nicht gern, er scheint ein gänzlich unkörperlicher Mensch zu sein und verweigert sich dem Erkenntnisprozeß, der schließlich nur über die Bewußtheit der eigenen Existenz funktionieren kann.Überhaupt avanciert das Schwimmbad, das die Nazis auch als Gefängnis nutzten, nach und nach zu einer Variante des Styx - der Eingang zu einer Unterwelt der Nachwendezeit. Ein Motto des Wiener Philosophen Ludwig Wittgenstein steht Katharina Hackers Roman voran, und für die Faszination von Sprachwelten, die eine wirklichere Wirklichkeit zu besitzen scheinen als die Alltagsrealität, ist ihr Monolog ein Zeugnis. Dazu Hacker:

    "Das gehört für mich auch zu dieser Realismusfrage, diese innere - äußere Welt-Angelegenheit, die Trennung finde ich sehr fragil, und ich mißtraue ihr einfach, weil die Verschiebung und die Überkreuzung so unendlich kompliziert sind, daß ich zumindest nicht in der Lage bin, eine säuberliche Linie zu ziehen. Und was mich dann beim Schreiben interessiert, wo man ja eine gewisse Freiheit zumindest hat, beim Schreiben interessiert mich eben die Verschränkung von diesen beiden Möglichkeiten. Und die Frage ob daraus eine Stimme resultiert. Die Stimme einer Figur und meine Stimme."

    Hackers Prosa ist rhythmisiert, ihre Sprache ist einfach, klar und karg und in dieser Kargheit oft suggestiv und poetisch. Weil Katharina Hacker die Ich-Perspektive konsequent durchhält und auch auf der Handlungsebene eher das Gleichförmige dominiert, wirkt der Roman an manchen Stellen etwas zäh. Das ist der Preis für das geschlossene System. Als Leser schwankt man zwischen Faszination und Unmut, wenn der Bademeister auch gedanklich kaum mehr als den Beckenrand zu umkreisen weiß und seine Isolation niemals durchbricht, nie wütend wird oder alles kaputt schlägt. Andererseits gelingt es Hacker, die innere Erstarrung und die Einsamkeit sprachlich umzusetzen und erzählerisch zu fassen. Das neue Buch der Berliner Autorin enthält auch eine politische Aussage, denn schließlich geht es um eine Geschichte, wie sie sich nach 1989 lausendfach abgespielt haben könnte. Einrichtungen und Institutionen der ehemaligen DDR wurden plötzlich für baufällig, unzeitgemäß oder sowieso überfllüssig befunden, für die Menschen, die dort ein Leben lang gearbeitet hatten, gab es keine Verwendung mehr. Sich diesen Entscheidungen zu unterwerfe , sie als Werturteil anzunehmen, sich anzupassen und nicht einfach einen neuen Platz zu okkupieren, ist eine Haltung, die auf den Verlust eines bürgerlichen Bewußtseins verweist und typisch für unsere Zeit scheint. Dazu die Autorin:

    "Ich glaube schon, daß das einer der Hauptpunkte von sozialer Deklassierung ist. Wenn ich etwas nicht kenne, habe ich immer das Gefühl, ich kann hingehen und es mir anschauen. D.h., es ist wie bei einem Buch. Ich kenne es nicht, also nehme ich es mir und lese es, fertig. Dieses Gefühl, daß einem etwas nicht gehört, daß man keinen Rechtsanspruch hat, kann dazu führen, daß man, ein unbekanntes Terrain tatsächlich meidet. Erwiesenermaßen in dem eigenen gescheitert zu sein, so daß es einem quasi mit Recht weg genommen wird, ohne aber dadurch Zugang zu einem anderen zu bekommen, das ist wie ein Trichter: Man rollt sich immer mehr in sich zusammen und kann einfach nicht mehr aus dem näch Gefüge, was man sich einbildet oder was tatsächlich existiert, herauskommen."

    Wer keinen öffentlichen Raum mehr besetzt und ihn als den eigenen begreift, fällt heraus aus der Gesellschaft und verkriecht sich in private Wahnwelten. Ohne daß es jemandem auffiele, stromern solche Menschen noch eine Weile in den Randzonen herum, bis sie eines Tages ganz verschwinden. Der Bademeister flutet am Ende sein Schwimmbad. Er steht im Becken, wo die Fische ihre Kreise ziehen und wartet auf das kalte Wasser. Geschwommen ist er nie gerne.