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Der Berg kreisste...

Das Atrium der Desdner Bank am Brandenburger Tor ist ein glatter, runder Innenraum, der zehn Schritte im Radius misst und sechs Stockwerke in die Höhe reicht. Es gibt in Berlin wenige Orte, die akustisch ungeeigneter für eine Konferenz- und Vortragsveranstaltung wären. Fünf Stuhlreihen vom Redner entfernt, und man muss sich anstrengen, die Nebengeräusche aus der Lobby auszublenden.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Draußen vor dem Eingang riecht es faulig. Kloakengestank wabert über den Pariser Platz. Die Gegend ist noch immer eine Baustelle. Wegen der zeitweise anwesenden Politiker (Schröder, Fischer, Thierse, Barroso, von Weizsäcker, Genscher) finden slapstickhafte Sicherheitskontrollen statt, die darauf hinauslaufen, dass sich die Anti-Terror-Türsteher nicht einig sind, welchen Eingang ein eingeladener Journalist zu nehmen habe und darüber in eine interne Diskussion verfallen.

    Aber alle Gäste sind froh, hier zu sein; diejenigen aus MOE, wie Mittel- und Osteuropa neuerdings heißt, sind sogar gerührt - und sicherlich nicht ohne Grund. Der einstige Kultur- und Stadtplanungs-Senator Volker Hassemer, wegen seines finanziellen Networkings früher auch "Hassemernemark" genannt, jetzt Vordenker des hauptstädtischen Marketings, weiß den Erinnerungsfaktor nachhaltig zu bewirtschaften. Und so kann sich Berlin zwei Tage lang als europäische Kulturstadt aufführen, zumindest vor vierhundert Konferenzteilnehmern in einem runden Saal am Brandenburger Tor.

    Peter Raue, dessen Anwaltskanzlei übrigens schräg gegenüber am Pariser Platz liegt, Peter Raue, der das MoMA nach Berlin geholt und damit ein Kultur-Event von sagenhafter Rentabilität kreiert hatte, Peter Raue ist natürlich der Prototyp eines Gesprächspartners, wie ihn sich Kulturpolitiker wünschen. Nur ging sein Wunsch nach einem phrasenfreien Diskurs auf dieser Konferenz nicht in Erfüllung.

    Kultur ist, so betrachtet, ein staatlicher Service: die Veranstaltung von Veranstaltungen. Kultur soll das Schmierfett im knirschenden Getriebe der EU-Erweiterung sein. Kultur ist das Zaubermittel, das verhältnismäßig wenig kostet und maximale Zustimmung erzeugt, denn Kultur ist immer prima. Kultur garantiert jedem, der auf diesem Ticket fährt, eine prächtige Karriere in Politik und Management.
    Wenige haben die Problematik dieser Berliner Konferenz so unbefangen ausgesprochen wie der ehemalige rumänische Kultur- und Außenminister und jetzige Rektor des Bukarester "New Europe College" Andrei Plešu. Danach ging man zur Tagesordnung über und kündigte eine europäische Kulturcharta, neue Programme und Institute zur Förderung des kulturellen Austauschs, Fundierung europäischer Kultur, Intensivierung des Austauschs und Vertiefung der Fundierung an sowie - natürlich - jede Menge Nachfolgekonferenzen.