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Der berühmte Herr Leibniz – Eine Biographie

"Wenn man zu sich selbst zurückkehrt, und die Talente, die man empfing, mit denen eines Leibniz vergleicht," schrieb Denis Diderot ungefähr 50 Jahre nach Leibniz Tod, dann "ist man versucht, die Bücher von sich zu werfen und in irgend einem versteckten Winkel der Welt ruhig sterben zu gehen". Man kann der so neidlosen Bewunderung des Leibnizschen Genies, die als Motto über der Leibniz-Biographie von Eike Christian Hirsch steht, nur zustimmen. Und trotzdem wird, wer das Buch gelesen hat, kaum mit Gottfried Wilhelm Leibniz tauschen wollen.

Kai Petersen |
    100 Jahre vor Goethe war Leibniz der letzte Universalgelehrte, sagt man. Kaum ein Feld, auf dem Leibniz nicht Bahnbrechendes vollbracht hätte. Philosophisch verbindet man ihn heute vor allem mit so wichtigen Schlagworten wie der "Theodicée" (der Rechtfertigung Gottes) und der "prästabilierten Harmonie", dem Einklang von Seelen- und Körperwelt. Aber Leibniz hat auch die Mathematik revolutioniert, indem er das erfand, was heute jeder Gymnasiast in der Oberstufe als Infenitesimalrechnung lernen muß. Er entdeckte das Unbewußte, betrieb als erster eine kritische Geschichtswissenschaft und leistete wichtige Beiträge zur Sprachwissenschaft. Nebenbei erfand er z.B. den Dampfkochtopf, er entwickelte eine Rechenmaschine und beschäftigte sich intensiv damit, den Bergbau zu verbessern. Leibniz war eine Erfindergeist par excellence, nach dem sich heute jeder Unternehmer die Finger lecken würde.

    Natürlich sind schon eine Unzahl von Büchern über den vor Einfallsreichtum sprühenden Geleehrten geschrieben worden. Eike Christian Hirsch geht es mit seinem Buch vor allem um den Menschen, um die Person Leibniz. Er will – wie in der Einleitung erläutert wird – "den unvergleichlichen Leibniz vielen Menschen nahebringen".

    Und die angenehm erzählende Sprache ist dafür eigentlich bestens geeignet. Eike Christian Hirsch wendet sich Leibniz in der richtigen Dosierung von Nähe und Distanz zu. Es gelingt ihm, ohne Verklärung Leibniz‘ ambivalentes Wesen aufzuzeigen. So war das gelehrte Genie zwar überaus moralisch und selbstlos – er hatte schon in jungen Jahren, den Leitspruch ausgegeben: "Hart gegen sich selbst, nachgiebig gegen andere". Und doch konnte er seine Eitelkeit nicht ganz unterdrücken. Emsig häufte Leibniz Titel und Gehälter an.

    Er war geradezu süchtig nach Arbeit. Sie war für den Rationalisten das Mittel seine Gefühle fast vollständig auszuschalten. Richtige Freundschaft kannte er nicht. Von einer Beziehung zu einer Frau ist ebensowenig bekannt. Eine Ausnahme bilden da allenfalls die Kurfürstin von Hannover und ihre Tochter Sophie Dorothea, Königin von Preussen, die für ihn fast so etwas wie Freundinnen wurden. Aber auch mit ihnen sprach er fast nur über philosophisch-gelehrte Themen.

    Doch das eigentliche Problem des Menschen Leibniz sieht Eike Christian Hirsch woanders. Die vielen, bestaunenswerten Talente haben nämlich auch ihre Schattenseite. Leibniz hatte so viele Ideen und Projekte im Kopf, das es ihm nicht gelang, sich auf das Wichtige zu konzentrieren. Der Universalgelehrte hat sich ganz einfach verzettelt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. 15000 Briefe und 80000 eng beschrieben Seiten hatten sich bei ihm angesammelt.

    Die Ironie dabei ist, dass Eike Christian Hirsch die Problematik, die in Leibniz Weitschweifigkeit liegt, erkennt und selbst einen ganz ähnlichen Fehler begeht. Er entfernt sich immer wieder zu weit von seinem eigentlichen Gegenstand und schreibt statt über Leibniz über die tatsächlich ungeheure Zahl an Fürsten, zu denen Leibniz in Kontakt stand. Symptomatisch ist da, dass Eike Christian Hirsch den Stammbaum der Welfen mit abdruckt. Denn man droht sich sonst wirklich zu verirren in dem Wirrwarr, welche Herzogin in welcher Beziehung zu welchem Herrschergeschlecht stand. Hätte Eike Christian Hirsch die Hälfte der über 600 Seiten eingespart, er hätte Leibniz sicher mehr Lesern nahegebracht. Schade, denn wo Hirsch sich auf Leibniz konzentriert, gelingt es ihm, ein lebendiges Bild von dessen Person zu zeichnen. Wenn er z.B. zeigt, dass kein Mensch einer Monade gleicht, wie Leibniz selbst. "Monade" – Leibniz‘ zentraler Begriff seiner Philosophie – darunter verstand der Denker, die Atome aus denen sich seiner Meinung nach die Welt zusammensetzt. Das besondere daran: Diese monadischen Atome der körperlichen Welt sollten selbst keine Körper, sondern seelischer Natur sein.

    Drei Eigenschaften dieser Monaden treffen nun auf Leibniz selbst besonders zu: Sie sind erstens fensterlos, d.h. Monaden nehmen keine Wirkung von außen auf. Sie leben einsam und abgekapselt wie der Mensch Leibniz. Zweitens spiegelt jede Monade aber von vorn herein die ganze Welt wieder. Auch Leibniz stand – trotz Einsamkeit - mit aller Welt in Briefwechsel, und hoffte dadurch, über alles den Überblick zu haben. Und drittens stehen die Monaden in einer göttlichen Harmonie zu einander. Ganz ähnlich war Leibniz erfüllt von der Sehnsucht nach Ordnung und Einklang, wenn er etwa die evangelische und katholische Kirche miteinander versöhnen wollte.

    Dieses Harmoniebedürfnis war wohl auch das Motiv, warum es ihn zeitlebens dazu drängte, als Berater die großen Herrscher auf den Weg der Wahrheit zu bringen. Doch für die Politik war er schon wegen seines kauzigen Auftretens ungeeignet und gerade im Alter hat er sich mit seinen politischen Initiativen eher lächerlich gemacht.

    Leibniz ist halb vergessen gestorben und nicht wie sein Zeitgenosse Isaac Newton mit großen Ehren zu Grabe getragen worden, stellt Eike Christian Hirsch am Ende des Buchs fest. Leibniz "glaubte fast bis zuletzt, das Eigentliche im Leben komme erst noch - neue Wirkungskreise täten sich auf, und er werde die wahre Erfüllung finden". Doch große Teile von Leibniz Werk sind erst lang nach dessen Tod ans Tageslicht gekommen. Und da "konnte die Fachwelt daraus nichts mehr lernen, es nur noch bewundern."