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Der besondere Fall
Am Anfang schmerzte das Knie

Nicht immer ist es einfach für einen Arzt, die richtige Diagnose zu stellen. Manchmal dauert es sogar Jahre oder Jahrzehnte – wie im Fall einer heute 40-jährigen Krankenschwester: Das entscheidende Indiz war so unauffällig, dass es lange übersehen wurde.

Von Christina Sartori | 17.07.2018
    Eine Frau wird am 12.02.2009 in der Universitätsklinik Rostock mit einem PET/CT, einem Positronen-Emissions-Tomograph (PET) in Kombination mit einem Computer-Tomographen (CT), untersucht. In Deutschland sind nach einer Prognose des Berliner Robert Koch-Instituts mehr Menschen neu an Krebs erkrankt als in den Vorjahren.
    Viele Untersuchungen, viele Diagnosen, viele Medikamente – der Weg zum richtigen Befund kann lang sein (picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Maria Schwarz liebt den Sommer. Nicht weil es da abends länger hell ist oder weil Sträucher und Bäume dann grün sind. Sondern weil es dann warm ist. Denn dann hat sie weniger Schmerzen:
    "Wenn es kalt ist dann geht es mir schlechter. Also ich bin ja jemand der Wärme braucht. Im Sommer ist es dann besser."
    Seit mehr als 20 Jahren gehören Schmerzen zum Leben von Maria Schwarz. Zum ersten Mal traten sie auf, als sie noch zur Schule ging, erinnert sich die heute 40-jährige Krankenschwester, die eigentlich anders heißt.
    "Das erste Mal war 1995, da hatte ich Probleme mit meinem Knie: Schmerzen. Das war immer bei Kniebeugen oder langem laufen, stehen, sitzen, da hatte ich Schmerzen gehabt."
    Maria Schwarz war 17, und machte gerade ihr Abitur. Nebenher trieb sie viel Sport, drei, viermal die Woche, manchmal auch mehr. Vielleicht kommen die Schmerzen daher? Schließlich ging sie zum Arzt. Der macht Röntgenbilder und eine Kniespiegelung – aber: Das Kniegelenk sieht von innen und außen normal aus. Also arrangiert sich Maria Schwarz mit den Knieschmerzen.
    "Bei Bedarf habe ich dann Schmerzmedikamente genommen, bisschen gekühlt … was man so macht."
    Mit den Jahren nahmen die Schmerzen zu
    Die Schmerzen im Knie wurden nicht besser – und nach einigen Jahren breiteten sie sich sogar aus: nach und nach in ihrem gesamten Körper:
    "2001 fing es mehr an, mit Rückenschmerzen, dann kamen die Hände, Kopfschmerzen, Schulter, Füße, Hüfte, …"
    Maria Schwarz ging nun zu einem anderen Arzt, da sie inzwischen nach Deutschland gezogen war. Der konnte ihr nicht helfen und schickte sie weiter… und so ging es weiter und weiter…
    "Ich war meistens bei Orthopäden. Irgendwann mal bin ich dann zum Rheumatologen geschickt worden. Ich war bei orthopädische Rheumatologen, wo die mir nicht helfen konnten, ich musste zu internistische Rheumatologen."
    Immer wieder wurde ihr Blut untersucht, Röntgenbilder angefertigt, MRT Bilder betrachtet, sogar eine nuklearmedizinische Untersuchung wurde durchgeführt …. Doch ohne richtiges Ergebnis – dafür mit wechselnden, meist ungenauen Diagnosen.
    Viele Diagnosen, viele Medikamente – aber keine Besserung
    "Ich hatte dann auch mehrere Diagnosen bekommen: Dass es dann irgendwie erstmal Rheuma sein könnte. Dann also verschiedene: Rheumatoide Arthritis, chronische Polyarthritis, Fibromyalgie Syndrom, Osteopenie, Omathrose …"
    Manche Diagnosen sind sogar sehr abwegig. Prof. Marina Backhaus, die am Ende die richtige Diagnose gestellt hat, nennt ein Beispiel:
    "2014/2015 wurde sogar die Diagnose einer Polyarthrose gestellt, also sie war da 35 Jahre alt – also eine Polyarthrose mit 35 Jahren, das gibt es eigentlich nicht – also das ist eine komplette Fehldiagnose."
    Auch ihrer Krankenkasse fiel auf, dass keine Behandlung erfolgreich war, kein Medikament wirkte – sie schickte Maria Schwarz zum Psychologen. Vielleicht war ja ein psychisches Problem die Ursache. Aber der Psychologe stellte fest:
    "Das ich in Ordnung bin. Der hat gefragt was ich da will. Das sind dann Tests, die man dann machen muss, wie depressiv man ist oder wie auch immer. Das war ich ja nicht. Ich hatte ja nur die Schmerzen, was mich genervt hat."
    2016 war Maria Schwarz 38 Jahre alt und wünschte sich ein Kind. Aber viele Rheumamedikamente dürfen nicht während einer Schwangerschaft genommen werden. Sie benötigte eine spezielle Beratung und kommt so zu Prof. Marina Backhaus, Chefärztin der rheumatologischen Abteilung der Parkklinik Weißensee in Berlin. Die zweifelte an der aktuellen Diagnose rheumatoide Arthritis, also entzündliche Gelenkerkrankung.
    "Sie hatte eigentlich nicht das typische Befallsmuster für eine rheumatoide Arthritis, weil sie eben auch Beschwerden hatte, wo Sehnenansätze nachzuweisen sind, also am Ellenbogen, Innenseite, Außenseite. Dann hatte sie Kniebeschwerden da, wo die Quadrizepssehne an der Kniescheibe ansetzt. Ich sagte, das passt eigentlich nicht zur rheumatoiden Arthritis."
    Auch die Sehnen sind entzündet
    Mit einem speziellen Ultraschallgerät stellte Marina Backhaus fest: Tatsächlich waren nicht nur die Gelenke, sondern auch mehrere Sehnen entzündet:
    "In dem Zusammenhang zeigte sich zum Beispiel im Ellbogengelenk am Ansatz der Sehnen im Innen- und Außenbereich ganz typische Entzündungszeichen, die für einen Tennis-Ellenbogen und Golf-Ellenbogen sprachen, aber sie spielt weder Tennis noch Golf und das war beidseitig nachweisbar. Auch im Bereich der Quadrizepssehne, also Ansatz der Sehnen an der Kniescheibe im oberen Bereich, zeigte sie typische Entzündungsbereiche."
    Sehnenentzündungen kann man auf einem Röntgenbild nicht erkennen, daher hatte sie bisher kein Arzt entdeckt. Marina Backhaus befragt Maria Schwarz auch nach ihrer Familie: Gibt es da Fälle von Gelenkschmerzen oder ähnlichem?
    "Und da kam heraus: Ihr Bruder hatte eine Schuppenflechte, die Mutter hat Gelenkbeschwerden und der Vater hat chronische Rückenschmerzen."
    Endlich die richtige Diagnose
    Marina Backhaus hatte nun einen Verdacht: Schuppenflechte. Denn bei etwa jedem fünften Patienten mit Schuppenflechte ist nicht nur die Haut betroffen, sondern es sind auch Gelenke und Sehnen entzündet. Doch bei Maria Schwarz schien es keine typische Schuppenflechte der Haut zu geben. Bis die Ärztin noch einmal selber gründlich nachguckte und eine kleine Stelle fand, auf dem Kopf, unter den Haaren:
    "Um aber ganz auf sicher zu gehen habe ich sie doch nochmal zu einer Dermatologin geschickt und die hatte dann den Befund der Psoriasis bestätigt. Und so wurde dann die Diagnose einer Psoriasis Arthritis gestellt, mit Sehnenansatzbeteiligung, also einer Enthesitis, was auch eine Form der Psoriasis-Arthritis ist."
    Eine Schuppenflechte ist nicht heilbar, doch nun bekommt Maria Schwarz erstmals Medikamente, die wirken und die Schmerzen verringern. Ganz schmerzfrei wird sie aber nie leben können, auch weil sich über die Jahre hinweg der Schmerz verselbstständigt hat. Trotzdem ist sie erleichtert, dass sie nun ihre Diagnose kennt:
    "Auf jeden Fall, weil dann… man fühlt sich nicht so bisschen wie hin und her geschickt. Weil keiner weiß was, man sieht es nicht, Blutbefunde sind alle gut, keiner wusste was, zwischendurch hat man mich auch für gesund erklärt mit Schmerzen – dann ist es schon ein bisschen Erleichterung, dann weiß man was man dagegen machen kann."