Fünf Jahre vor seinem Tod 1929 begann Warburg die Arbeit an einem monumentalen Werk, einem "Bilderatlas", der den Titel "Mnemosyne" tragen sollte. Der Atlas ist Fragment geblieben. Mnemosyne heißt die Göttin der Erinnerung und ihre Hilfe braucht, wer die Mythen aufs Neue erzählen will. Mnemosyne bedeutet auch: die Erinnerung der Lebenden an die Toten. Mit dem Atlas wollte Warburg ein Inventar anlegen, das die heidnisch-antiken Gebärden verzeichnet, die für die neuzeitliche europäische Kunst stilbildend waren. Der Atlas von Gestenformen und Gebärdensprache in der Kunstgeschichte sollte einmal 2000 Abbildungen auf circa 80 Tafeln umfassen. Nur einen Teil davon hat Warburg realisiert und, was wir heute davon noch sehen können, sind lediglich photographische Überlieferungen, die nun in einer sorgfältigen, von dem Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke herausgegebenen Edition vorliegen, im Rahmen der großen Ausgabe von Warburgs Gesammelten Schriften. Eine nützliche und der laboratoriumshaften Gestalt des Mnemosyne-Atlas überaus angemessene Zugabe allerdings wäre noch eine CD-ROM gewesen. Eine Präsentation im Internet scheint Warburg selbst schon vorausgesehen zu haben, als er prophezeite, dass es - analog zum Rundfunk - bald möglich sein werde, jedes "sichtbare Phänomen" per Knopfdruck herbeizuholen.
Auf den Tafeln finden sich als Erinnerungsdokumente Zeitungsausrisse ebenso wie Photographien in beschrifteten Passepartouts. Die Heterogenität des Materials und vor allem seine im Laufe der Arbeit immer weiter ausufernde Zahl hat Warburg selbst wiederholt Schwierigkeiten bereitet, seinem Projekt einen Titel zu geben, der es auf eine griffige Formel gebracht hätte: "Ikonologie des Zwischenraums", "Denkraumschöpfüng als Kulturfunktion", "Entdeckungsreise zu den Quellen des europäischen Enthusiasmus" oder "Bilderatlas zur Kritik der reinen Unvernunft."
In Arrangements, die den zeitgenössischen Montagen von Schwitters oder Lissitzky ähneln, versucht Warburg die These zu darzustellen, dass sich die Bedeutungen von überlieferten Posen und Gesten im Lauf der Geschichte wiederholen und auch intensivieren. Sie können sich sogar gänzlich umkehren. Beispielhaft zeigt sich das für ihn in der italienischen Frührenaissance. Warburgs Interesse galt vor allem leidenschaftlichen Gefühlen, den Gebärden des Kampfes, den Gesten von Sieg und Triumph, von Verfolgung, Raub und Tod, der Klage und der Kontemplation. In seinen Arrangements der gesammelten Abbildungen sollte das dichte Netz dieser, wie er es nannte, "Pathosformeln" aus der Antike zum Vorschein kommen. Bei all dem ging er von der grundlegenden Frage aus, warum sich Menschen Kunst schaffen und welche existenzielle Funktion Kunst für sie einnimmt. Zeichen, Worte, Gebärden und Bilder geben Orientierung, so kann die Welt benannt und bezeichnet werden, die Bilder schaffen die notwendige Distanz. Mnemosyne, die Erinnerung sorgt für die Verarbeitung von Leiden und Leidenschaften durch Zeichen, Sprache und Bilder, sie entwickelt, so Warburg, was wir Kultur nennen.
Warburg hat mit seinem Atlas, der alle in der Geschichte bekannten Bildformen repräsentieren sollte, auch versucht zu zeigen, wie die Menschen immer bemüht sind, die Magie der Bilder zu brechen. Erst das Kino, so Walter Benjamin, könnte dieses Ziel erreicht haben. Warburgs Gedanke einer Summe aller Bildformen setzt sich zusammen aus der assoziativen Verknüpfung ihrer Motive. Das Spiel der Tafeln ermöglicht dem Betrachter historische Tiefenbohrungen, die gerade in der gegenwärtig zu beobachtenden symbolischen Reduktion von Bildern in der Öffentlichkeit den Blick schärfen können. Was beispielsweise heute in den Kulturwissenschaften weit verbreitet unter dem Stichwort Politische Ikonographie analysiert wird und wiederum das Verstehen der politischen Bilderkultur beeinflusst, wäre ohne Warburgs Mnemosyne-Atlas nicht möglich gewesen.
Auf den Tafeln finden sich als Erinnerungsdokumente Zeitungsausrisse ebenso wie Photographien in beschrifteten Passepartouts. Die Heterogenität des Materials und vor allem seine im Laufe der Arbeit immer weiter ausufernde Zahl hat Warburg selbst wiederholt Schwierigkeiten bereitet, seinem Projekt einen Titel zu geben, der es auf eine griffige Formel gebracht hätte: "Ikonologie des Zwischenraums", "Denkraumschöpfüng als Kulturfunktion", "Entdeckungsreise zu den Quellen des europäischen Enthusiasmus" oder "Bilderatlas zur Kritik der reinen Unvernunft."
In Arrangements, die den zeitgenössischen Montagen von Schwitters oder Lissitzky ähneln, versucht Warburg die These zu darzustellen, dass sich die Bedeutungen von überlieferten Posen und Gesten im Lauf der Geschichte wiederholen und auch intensivieren. Sie können sich sogar gänzlich umkehren. Beispielhaft zeigt sich das für ihn in der italienischen Frührenaissance. Warburgs Interesse galt vor allem leidenschaftlichen Gefühlen, den Gebärden des Kampfes, den Gesten von Sieg und Triumph, von Verfolgung, Raub und Tod, der Klage und der Kontemplation. In seinen Arrangements der gesammelten Abbildungen sollte das dichte Netz dieser, wie er es nannte, "Pathosformeln" aus der Antike zum Vorschein kommen. Bei all dem ging er von der grundlegenden Frage aus, warum sich Menschen Kunst schaffen und welche existenzielle Funktion Kunst für sie einnimmt. Zeichen, Worte, Gebärden und Bilder geben Orientierung, so kann die Welt benannt und bezeichnet werden, die Bilder schaffen die notwendige Distanz. Mnemosyne, die Erinnerung sorgt für die Verarbeitung von Leiden und Leidenschaften durch Zeichen, Sprache und Bilder, sie entwickelt, so Warburg, was wir Kultur nennen.
Warburg hat mit seinem Atlas, der alle in der Geschichte bekannten Bildformen repräsentieren sollte, auch versucht zu zeigen, wie die Menschen immer bemüht sind, die Magie der Bilder zu brechen. Erst das Kino, so Walter Benjamin, könnte dieses Ziel erreicht haben. Warburgs Gedanke einer Summe aller Bildformen setzt sich zusammen aus der assoziativen Verknüpfung ihrer Motive. Das Spiel der Tafeln ermöglicht dem Betrachter historische Tiefenbohrungen, die gerade in der gegenwärtig zu beobachtenden symbolischen Reduktion von Bildern in der Öffentlichkeit den Blick schärfen können. Was beispielsweise heute in den Kulturwissenschaften weit verbreitet unter dem Stichwort Politische Ikonographie analysiert wird und wiederum das Verstehen der politischen Bilderkultur beeinflusst, wäre ohne Warburgs Mnemosyne-Atlas nicht möglich gewesen.