Archiv


Der Bildhauer als Zeichner

"Umstritten" muss man schon sein, wenn man sich in der deutschen Gegenwartskunst einen Namen machen will. Die Nürnberger Skulptur des Münchner Künstlers Olaf Metzel zur Fußball-WM mit dem Titel "Auf Wiedersehen" sorgte für einiges Aufsehen, bis die viel geschmähte "Schrottkunst" schließlich zum Aushängeschild für das gastfreundliche Nürnberg wurde. Derzeit findet in der Stuttgarter Staatsgalerie eine Ausstellung von Metzels Papierarbeiten statt - Entwürfe zu vielen umstrittenen Werken.

Von Christian Gampert |
    Der Bildhauer Olaf Metzel scheint einen guten Tropfen zu lieben. Signet der Stuttgarter Ausstellung ist jedenfalls ein Korkenzieher: Kurz hingetuscht, aber offenbar eines der wesentlichen Werkzeuge im Atelier. Aber nicht nur. Der Griff dieses Instruments hat jene Kreis-Struktur, die auch für andere Metzel-Arbeiten prägend ist: für das im italienischen Montalcino realisierte absurde, weil nur langsam befahrbare "Velodrom" etwa, das hier in wuchtigen Vorstudien auftaucht; besonders aber für den "Ehrenkranz" seiner Stammheim-Skulptur.

    Die Idee für diese Arbeit kam Olaf Metzel offenbar in der Stuttgarter Staatsgalerie - und insofern ist die Ausstellung am richtigen Ort: bei der Betrachtung von Jerg Rathgebs Herrenberger Altar. Das Leiden Christi, symbolisiert durch die Dornenkrone, war in Metzels Sicht den Leiden der früheren Gefängnisinsassen der RAF, der "Rote Armee Fraktion", ähnlich: Der leicht militaristische Ehrenkranz aus Beton, den er daraufhin fertigte, lehnt heute noch am Stuttgarter Kunstgebäude am Schlossgarten.

    Die empörten Reaktionen der Stuttgarter hatte Metzel damals - 1984 - schon eingeplant. Wie minuziös Metzel seine Skulpturen vorbereitet, wird nun in der Ausstellung seiner Zeichnungen deutlich: Das sind Annäherungen, Ideen, Variationen, die vor allem durch ihre Dynamik beeindrucken - und durch die Präzision und Schnelligkeit, mit der sie hingeworfen werden. Die Ehrenkranz-Skizze ist garniert mit Notizen - zum Schweißtuch der Veronika - Ansätzen und Versuchen.

    Ebenso wie die meisten anderen Zeichnungen, die mit vielerlei Material spielen: Tusche, Kreide, Acryl, Pastellfarben, Bleistift, Filzstift, Tinte, Kugelschreiber, Tesafilm - aufgetragen auf Karton, Löschblatt, Computer-, Millimeter-, Kopier- oder Transparentpapier, auf Einladungskarten, Kalenderblättern, Buch- und Zeitungsseiten, Stadtplänen.

    Nun kann man dem Kunsthistoriker Uwe M. Schneede nur zustimmen, der Metzel als "visuellen Flaneur" bezeichnet hat - dieses zeichnerische Werk hat durchaus eine eigenständige Kraft, irgendwo zwischen gestischem abstraktem Expressionismus und Figuration. Und es variiert tausend Möglichkeiten von der technizistischen Reißbrett-Skizze eines Basketballfelds - das dann in der Skulptur als völlig zersplittertes sportives Aggressions-Szenario auftaucht - und dem kompakten Aquarellstift-Dunkel des "Balletto della Crisi", das als solistisches Werk bestehen kann.

    Aber die wütend politischen Qualitäten, für die Metzel ja berühmt ist, die kommen in dieser Ausstellung nicht zum Tragen. Metzels Skulpturen brauchen den öffentlichen Raum und die Auseinandersetzung mit dem Publikum. Sein "Randale-Denkmal" aus nachgebauten Absperrgittern und Einkaufswägen musste nach erwartbaren Bürgerprotesten 1987 vom Berliner Kurfürstendamm entfernt werden. Der "Fünfjahresplan" von 1985 - ein völlig marodes Betonrelief für das Berliner Künstlerhaus Bethanien - war eine Verhöhnung des Staatswappens der DDR. Die für 12.000 Mark Abstand erworbene "Türkenwohnung", mit der Metzel berühmt geworden ist, wurde von ihm mit in die Wände gefrästen Hakenkreuzen garniert.

    Für all das sind in Stuttgart Vorstudien zu sehen - im Sinne von nach allen Richtungen wuchernden zeichnerischen Tagebuchblättern. Das reicht bis in die jüngste Zeit, zu den Kohleskizzen für eine gesichtslose Kopftuchträgerin und zu den Entwürfen für die - wie eine Hauswand in den Nürnberger Himmel ragenden - schrottreifen Stadionsitzschalen, die das Kulturprogramm zur Fußball-WM bereicherten.

    Vor den Abgeordneten-Eingang des neuen Bonner Plenarsaals, setzte Metzel 1993 eine abstrakte, aus verzinktem Stacheldraht bestehende zylindrische Figur - mit dem ironischen Titel "Meistdeutigkeit". In der Freilichtbühne des Berliner "Hauses am Waldsee" lehnt unschuldig der "Turbokapitalismus" - in Form von fünf Meter langen Zigarrenhülsen, die wie Bomben aussehen. Wie genau das ausgetüftelt ist, kann man nun an den Zeichnungen nachvollziehen - am schönsten an der "Freitreppe", einer sich spiralartig ins Nichts hochwindenden, Tatlinschen Konstruktion.

    Die Ausstellung setzt ein sehr spezialisiertes Publikum voraus: das ist ihr Anspruch und ihr Problem. Wer sie besucht, sollte den politischen Bildhauer Olaf Metzel schon kennen.